Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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ihr ausdrücklich betont, daß die räumliche Auseinanderlegung von 
Personen- und Güterverkehr wünschenswert sei und sich daher nicht 
die Nebeneinanderlegung, wie beim jetzigen Zustande, sondern die 
Hintereinanderlegung empfehle. Dagegen hatten sich außer den oben 
genannten Sachverständigen die bayrischen Eisenbahntechniker für die 
Verlegung des Bahnhofs ausgesprochen. Infolge der Erklärung der 
kgl. Eisenbahnverwaltung mußten denn für die Projekte der Sladt- 
erweiterung die Bedingungen zu Grunde gelegt werden, die bei einer 
Belassung des gegenwärtigen Bahnhofs in seiner Lage und Höhe 
zu berücksichtigen sind. 
Der Redner wies am Schlüsse seines Vortrags darauf hin, daß 
die Stadtgemeinde bei den großen Kosten, die ihr die Niedcrlegung 
der inneren Umwallung und die sich anschließenden Bauarbeiten für 
Straßen, Kanäle, Durchbrüche rc. gebracht hat, nicht in der Lage 
sei, sich an den Kosten der Umgestaltung der Bahnhofverhältnisse 
zu beteiligen, und daß sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe, 
daß die kgl. Eisenbahnverwaltung den eisernen Gürtel, welcher die 
Stadt Ulm in ihrer Entwicklung so sehr hemme, zum Heile der Stadt 
und unseres engeren Vaterlandes sprenge und in größerem Kreise 
um die Stadt ziehen werde. 
Hierauf ergriff der Vorsitzende, Stadtbaurat Kölle, das Wort. 
Er führte ungefähr folgendes aus: 
Auch die Sachverständigenkommission sei darin einig gewesen, 
daß nicht leicht kompliziertere und schwierigere Verhältnisse vorliegen 
können wie in Ulm. Hier eine richtige Lösung zu treffen, sei doppelt 
schwer, weil Ulm heute noch eine verhältnismäßig kleine Stadt und 
deshalb ihre finanzielle Leistungsfähigkeit eine recht beschränkte sei. 
Man könne aber der dortigen Stadtverwaltung das Zeugnis nicht 
versagen, daß sie sich alle erdenkliche Mühe gegeben, um aus den 
schwierigen Verhältnissen herauszukommen, auch bisher kein Opfer 
gescheut habe, um eine richtige Entwicklung ihrer Stadt anzubahnen. 
Schon die Ausgabe von 4 1 /* Mill. Ji für die Niederlegung der 
Wälle sei eine ganz beträchtliche, namentlich wenn man bedenke, 
daß günstigenfalls ein Drittel des erworbenen Areals wirklich baulich 
ausgenützt werden kann und daß die Schleifung der Wälle und die 
Herstellung der zur Erschließung des Bauterrains erforderlichen 
Straßen und Kanäle auch noch erhebliche Kosten verursachen werde. 
Es sei daher gewiß angezeigt, der Stadt Ulm nach Kräften beizu 
stehen und bei der Lösung dieser auch für die Allgemeinheit wichtigen 
und bedeutsamen Frage zu unterstützen. Die Sachverständigen seien 
mit vollem Eifer und mit Hingebung an die interessante Aufgabe 
herangetreten und man sei in gemeinsamer Arbeit zu zweifellos 
richtigen Projekten gelangt. Leider aber ständen der Verwirklichung 
fast unüberwindliche Hindernisse entgegen, da sie alle eine veränderte 
Gestaltung des jetzigen Personenbahnhofs voraussetzen, von welcher 
die kgl. Eisenbahnverwaltung bisher nichts habe wissen wollen. 
Bezüglich der Umgestaltung des Bahnhofs habe er vom technischen 
Standpunkte aus in erster Linie einer Verlegung des gesamten Bahn 
hofs, also des Güterbahnhofs mit dem Personenbahnhof, das Wort 
geredet. Er fei dabei von folgenden Erwägungen geleitet gewesen: 
Ein Blick auf den Plan zeige, daß das Hauptentwicklungsgebiet 
von Ulm gegen Westen liege, wo noch ausgedehntes, nahezu eben 
gelegenes Areal sich befinde. Mit der Schleifung der Umwalluug 
sei eine der Schranken gefallen, welche seither einer Ausdehnung der 
Stadt entgegenstanden. Hinter der Umwallung aber befindet sich 
der Bahnhof mit seinen vielen Zufahrtslinien und lege sich wie ein 
eiserner Ring gegen Westen und Norden um die Stadt, gegen Süden 
bilden die Donau und die Laudesgrenze ein natürliches Hindernis, 
so daß für die Erweiterung eigentlich nur das Gebiet im Osten 
gegen die Friedrichsau übrig bleibe, welches einesteils durch den 
Exerzierplatz, anderseits durch die öffentlichen Anlagen beschränkt 
sei. Unter diesen Umständen sei es für die weitere Entwicklung der 
Stadt nicht nur wünschenswert, sondern geradezu notwendig, daß 
gegen Westen vollständig freie Bahn geschaffen und den in der 
Längsrichtung des Thales führenden, durch den quer liegenden Bahn 
hof abgeschnittenen Straßen unbehinderte Fortsetzung gegeben weide. 
Das Höherlegungsprojekt vermöge dieser Forderung nur zum Teil 
und in unvollkommener Weise zu entsprechen, da es den Durchgang 
nur einzelner weniger Straßen und auch dieser mittelst längerer 
tunnelartiger Ueberdeckung ermöglicht. 
Aber auch vom Standpunkte der Eisenbahnverwaltung aus sei 
seines Dafürhaltens der Verlegung des Bahnhofs der Vorzug gegenüber 
der Höherlegung zu geben. Zunächst sei ohne weiteres klar, daß 
die Ausführung der Verlegung sehr einfach und ohne jegliche Schwierig 
keiten (Provisorium rc.) erfolgen könnte, während die Höherlegung 
unter Aufrechterhaltung des vollen Betriebs zwar nach Ansicht der 
Sachverständigen nicht unmöglich, aber doch mit erheblichen Umständen 
und Schwierigkeiten verbunden wäre Um das Verlegungsprojekt 
aber voll und ganz zu würdigen, müsse man noch die Verhältnisse 
in Neu-Ulm mit berücksichtigen. 
Es könne niemand im Zweifel darüber sein, daß der Nieder 
legung der Festungswälle in Ulm in kurzer Zeit auch diejenige in 
Neu-Ulm nachfolgen müsse. Alsdann handle es sich dort ebenfalls 
um eine Umgestaltung des schon jetzt unzulänglichen Bahnhofes. Solche 
lasse sich auch nur durch Hinausrücken und Verlängern bewerkstelligen. 
Damit müsse aber die jetzige Zufahrtslinie von Neu-Ulm nach Ulm 
verlassen und eine neue Einfahrt nach Ulm auf einer weiter flußauf 
wärts gelegenen Brücke gesucht werden. Dies weise mit Notwendigkeit 
auch auf eine Schwenkung des Ulmer Personenbahnhofs in die Längs 
richtung des Blauthales hin. Dabei brauche man sich die Station 
nicht bei Söflingen zu denken, letztere würde sich vielmehr ganz gut 
in der Nähe des Blaubeurer Thores anbringen lassen, ungefähr an 
der Stelle, an welcher sie sr. Zt. vom Gouverneur v. Prittwitz in 
Aussicht genommen war. Bei einer derartigen Lage des Persouen- 
bahnhofs würde auch keine wesentliche Verschiebung der bestehenden 
Interessen und Rechtsverhältnisse eintreten können; auch die Mehr 
länge von einigen Kilometern, welche die Verbindungsbahn von Uln, 
und Neu-Ulm erhalten würde, könne nicht in Betracht kommen. Auf 
einen Umstand wolle er noch besonders aufmerksam machen. 
Der Verlegungsplan lasse sich nur jetzt, später aber nicht mehr 
zur Ausführung bringen. Wenn einmal der Stadtbauplan festgestellt ist 
und die Ueberbauung der vorgesehenen Quartiere entlang des ge 
planten Güterbahnhofs, im sogen. Bleicher-Haag, ihren Anfang ge 
nommen haben, seien einer nachträglichen Ausdehnung und Umge 
staltung des Bahnhofs alle Wege abgeschnitten und es bleibe der 
Eisenbahnverwaltung nur die lästige Höherlegung übrig. 
Zur Krage der Itadterweiterung von Stuttgart hat der Stutt 
garter Aerztliche Verein vom hygienischen Standpunkt aus Stellung 
genommen. Seine Anschauungen sind in folgenden Sätzen zu 
sammengefaßt: 
1) Der Stuttgarter Aerztliche Verein erkennt in der geschloffenen 
Bauweise und dem Bestreben, den Boden der Stuttgarter Markung 
zu Wohnungszwecken möglichst auszunützen, wie sie die Rettich'sche 
Schrift empfiehlt, sowie in den daselbst vorgetragenen Ansichten über 
Ventilation einen direkten Widerspruch mit den durch Erfahrung und 
Wissenschaft allgemein festgestellten und anerkannten Lehren der öffent 
lichen Gesundheitspflege. 
2) Insbesondere die Erstellung von Massenquartieren, sogenannten 
Mietskasernen, erachtet der Verein infolge der dadurch bedingten Zu- 
sammenhäufung vieler Menschen und der vielfach unzulänglichen 
Belichtung und Lüftungsmöglichkeit der einzelnen Wohnräume als 
schädlich für die Volksgesundheit. 
3) Der Verein tritt für eine in den neueren Teilen der Stadt 
weiträumige Bauart und abgestufte Bauweise ein, wie eine solche in 
dem neuen Stadterweiterungsprojekt des früheren Stadtbaurats Kölle 
aufgestellt ist. 
Cnde des Jahrgangs 1900. 
cheronngegeden vom Württemd. Herein für tiantmnde. Für denfeloe«; Äaninspektor Reihling. — illruck non Alfred Müller * ®o. — ilnug non 3. «leife's 
Hofdnchhandlnng, firmUirtj in Stuttgart.
	        

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