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ihr ausdrücklich betont, daß die räumliche Auseinanderlegung von
Personen- und Güterverkehr wünschenswert sei und sich daher nicht
die Nebeneinanderlegung, wie beim jetzigen Zustande, sondern die
Hintereinanderlegung empfehle. Dagegen hatten sich außer den oben
genannten Sachverständigen die bayrischen Eisenbahntechniker für die
Verlegung des Bahnhofs ausgesprochen. Infolge der Erklärung der
kgl. Eisenbahnverwaltung mußten denn für die Projekte der Sladt-
erweiterung die Bedingungen zu Grunde gelegt werden, die bei einer
Belassung des gegenwärtigen Bahnhofs in seiner Lage und Höhe
zu berücksichtigen sind.
Der Redner wies am Schlüsse seines Vortrags darauf hin, daß
die Stadtgemeinde bei den großen Kosten, die ihr die Niedcrlegung
der inneren Umwallung und die sich anschließenden Bauarbeiten für
Straßen, Kanäle, Durchbrüche rc. gebracht hat, nicht in der Lage
sei, sich an den Kosten der Umgestaltung der Bahnhofverhältnisse
zu beteiligen, und daß sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe,
daß die kgl. Eisenbahnverwaltung den eisernen Gürtel, welcher die
Stadt Ulm in ihrer Entwicklung so sehr hemme, zum Heile der Stadt
und unseres engeren Vaterlandes sprenge und in größerem Kreise
um die Stadt ziehen werde.
Hierauf ergriff der Vorsitzende, Stadtbaurat Kölle, das Wort.
Er führte ungefähr folgendes aus:
Auch die Sachverständigenkommission sei darin einig gewesen,
daß nicht leicht kompliziertere und schwierigere Verhältnisse vorliegen
können wie in Ulm. Hier eine richtige Lösung zu treffen, sei doppelt
schwer, weil Ulm heute noch eine verhältnismäßig kleine Stadt und
deshalb ihre finanzielle Leistungsfähigkeit eine recht beschränkte sei.
Man könne aber der dortigen Stadtverwaltung das Zeugnis nicht
versagen, daß sie sich alle erdenkliche Mühe gegeben, um aus den
schwierigen Verhältnissen herauszukommen, auch bisher kein Opfer
gescheut habe, um eine richtige Entwicklung ihrer Stadt anzubahnen.
Schon die Ausgabe von 4 1 /* Mill. Ji für die Niederlegung der
Wälle sei eine ganz beträchtliche, namentlich wenn man bedenke,
daß günstigenfalls ein Drittel des erworbenen Areals wirklich baulich
ausgenützt werden kann und daß die Schleifung der Wälle und die
Herstellung der zur Erschließung des Bauterrains erforderlichen
Straßen und Kanäle auch noch erhebliche Kosten verursachen werde.
Es sei daher gewiß angezeigt, der Stadt Ulm nach Kräften beizu
stehen und bei der Lösung dieser auch für die Allgemeinheit wichtigen
und bedeutsamen Frage zu unterstützen. Die Sachverständigen seien
mit vollem Eifer und mit Hingebung an die interessante Aufgabe
herangetreten und man sei in gemeinsamer Arbeit zu zweifellos
richtigen Projekten gelangt. Leider aber ständen der Verwirklichung
fast unüberwindliche Hindernisse entgegen, da sie alle eine veränderte
Gestaltung des jetzigen Personenbahnhofs voraussetzen, von welcher
die kgl. Eisenbahnverwaltung bisher nichts habe wissen wollen.
Bezüglich der Umgestaltung des Bahnhofs habe er vom technischen
Standpunkte aus in erster Linie einer Verlegung des gesamten Bahn
hofs, also des Güterbahnhofs mit dem Personenbahnhof, das Wort
geredet. Er fei dabei von folgenden Erwägungen geleitet gewesen:
Ein Blick auf den Plan zeige, daß das Hauptentwicklungsgebiet
von Ulm gegen Westen liege, wo noch ausgedehntes, nahezu eben
gelegenes Areal sich befinde. Mit der Schleifung der Umwalluug
sei eine der Schranken gefallen, welche seither einer Ausdehnung der
Stadt entgegenstanden. Hinter der Umwallung aber befindet sich
der Bahnhof mit seinen vielen Zufahrtslinien und lege sich wie ein
eiserner Ring gegen Westen und Norden um die Stadt, gegen Süden
bilden die Donau und die Laudesgrenze ein natürliches Hindernis,
so daß für die Erweiterung eigentlich nur das Gebiet im Osten
gegen die Friedrichsau übrig bleibe, welches einesteils durch den
Exerzierplatz, anderseits durch die öffentlichen Anlagen beschränkt
sei. Unter diesen Umständen sei es für die weitere Entwicklung der
Stadt nicht nur wünschenswert, sondern geradezu notwendig, daß
gegen Westen vollständig freie Bahn geschaffen und den in der
Längsrichtung des Thales führenden, durch den quer liegenden Bahn
hof abgeschnittenen Straßen unbehinderte Fortsetzung gegeben weide.
Das Höherlegungsprojekt vermöge dieser Forderung nur zum Teil
und in unvollkommener Weise zu entsprechen, da es den Durchgang
nur einzelner weniger Straßen und auch dieser mittelst längerer
tunnelartiger Ueberdeckung ermöglicht.
Aber auch vom Standpunkte der Eisenbahnverwaltung aus sei
seines Dafürhaltens der Verlegung des Bahnhofs der Vorzug gegenüber
der Höherlegung zu geben. Zunächst sei ohne weiteres klar, daß
die Ausführung der Verlegung sehr einfach und ohne jegliche Schwierig
keiten (Provisorium rc.) erfolgen könnte, während die Höherlegung
unter Aufrechterhaltung des vollen Betriebs zwar nach Ansicht der
Sachverständigen nicht unmöglich, aber doch mit erheblichen Umständen
und Schwierigkeiten verbunden wäre Um das Verlegungsprojekt
aber voll und ganz zu würdigen, müsse man noch die Verhältnisse
in Neu-Ulm mit berücksichtigen.
Es könne niemand im Zweifel darüber sein, daß der Nieder
legung der Festungswälle in Ulm in kurzer Zeit auch diejenige in
Neu-Ulm nachfolgen müsse. Alsdann handle es sich dort ebenfalls
um eine Umgestaltung des schon jetzt unzulänglichen Bahnhofes. Solche
lasse sich auch nur durch Hinausrücken und Verlängern bewerkstelligen.
Damit müsse aber die jetzige Zufahrtslinie von Neu-Ulm nach Ulm
verlassen und eine neue Einfahrt nach Ulm auf einer weiter flußauf
wärts gelegenen Brücke gesucht werden. Dies weise mit Notwendigkeit
auch auf eine Schwenkung des Ulmer Personenbahnhofs in die Längs
richtung des Blauthales hin. Dabei brauche man sich die Station
nicht bei Söflingen zu denken, letztere würde sich vielmehr ganz gut
in der Nähe des Blaubeurer Thores anbringen lassen, ungefähr an
der Stelle, an welcher sie sr. Zt. vom Gouverneur v. Prittwitz in
Aussicht genommen war. Bei einer derartigen Lage des Persouen-
bahnhofs würde auch keine wesentliche Verschiebung der bestehenden
Interessen und Rechtsverhältnisse eintreten können; auch die Mehr
länge von einigen Kilometern, welche die Verbindungsbahn von Uln,
und Neu-Ulm erhalten würde, könne nicht in Betracht kommen. Auf
einen Umstand wolle er noch besonders aufmerksam machen.
Der Verlegungsplan lasse sich nur jetzt, später aber nicht mehr
zur Ausführung bringen. Wenn einmal der Stadtbauplan festgestellt ist
und die Ueberbauung der vorgesehenen Quartiere entlang des ge
planten Güterbahnhofs, im sogen. Bleicher-Haag, ihren Anfang ge
nommen haben, seien einer nachträglichen Ausdehnung und Umge
staltung des Bahnhofs alle Wege abgeschnitten und es bleibe der
Eisenbahnverwaltung nur die lästige Höherlegung übrig.
Zur Krage der Itadterweiterung von Stuttgart hat der Stutt
garter Aerztliche Verein vom hygienischen Standpunkt aus Stellung
genommen. Seine Anschauungen sind in folgenden Sätzen zu
sammengefaßt:
1) Der Stuttgarter Aerztliche Verein erkennt in der geschloffenen
Bauweise und dem Bestreben, den Boden der Stuttgarter Markung
zu Wohnungszwecken möglichst auszunützen, wie sie die Rettich'sche
Schrift empfiehlt, sowie in den daselbst vorgetragenen Ansichten über
Ventilation einen direkten Widerspruch mit den durch Erfahrung und
Wissenschaft allgemein festgestellten und anerkannten Lehren der öffent
lichen Gesundheitspflege.
2) Insbesondere die Erstellung von Massenquartieren, sogenannten
Mietskasernen, erachtet der Verein infolge der dadurch bedingten Zu-
sammenhäufung vieler Menschen und der vielfach unzulänglichen
Belichtung und Lüftungsmöglichkeit der einzelnen Wohnräume als
schädlich für die Volksgesundheit.
3) Der Verein tritt für eine in den neueren Teilen der Stadt
weiträumige Bauart und abgestufte Bauweise ein, wie eine solche in
dem neuen Stadterweiterungsprojekt des früheren Stadtbaurats Kölle
aufgestellt ist.
Cnde des Jahrgangs 1900.
cheronngegeden vom Württemd. Herein für tiantmnde. Für denfeloe«; Äaninspektor Reihling. — illruck non Alfred Müller * ®o. — ilnug non 3. «leife's
Hofdnchhandlnng, firmUirtj in Stuttgart.