Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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annehmen, bis sie schließlich, der phantastischen Wandlungen müde, 
sich zu einer Kugel zusammenballte. 
Von hohem Interesse sind die Untersuchungen der Gleichge 
wichtsschwankungen der Erde. 
Durch Ebbe und Flut treten so ungeheure Gewichtsverlegungen 
auf, ebenso durch große Ueberschwemmungen und Schneeansammlungen, 
daß sich rechnerisch jetzt schon ergiebt, daß diese Schwankungen auf 
die Erdaxe einen Ausschlag nach einigen Hundertstel der Bogensekunde 
hervorrufen müssen; ebenso wurden bei heftigen Eruptionen mittelst 
peinlich genauer Messungen Schwankungen der Erdaxe beobachtet. 
Wie sich die Theorien und die Ansichten der einzelnen Jahr 
hunderte geändert haben, und mehr oder weniger zuverlässig anzusehen 
waren und sind, so stand es auch mit der Definition der abstrakten 
Maßeinheiten, die aus unserer Erde zu Vergleichen der räumlichen 
Ausdehnung angewendet und sodann auf meßbare endliche Entfer 
nungen des Universums ausgedehnt wurden. Um kund zu thun, daß 
dieser oder jener Siern Millionen und selbst Milliarden von Meilen 
von unserer Erde entfernt ist, in jenem unbegrenzten Raum seine 
Bahn durchläuft, müssen wir, wenn wir diese Entfernungen, die durch 
physikalische Gesetze und Wahrnehmungen allein zu messen möglich 
wurde, auf ein garantiert genaues Maß zurückführen, welches sich 
für die Gegenwart wie für spätere Geschlechter constant erhält, indem 
es sich bezüglich seiner positiven oder negativen Veränderungen stets 
rechnerisch genau definieren läßt. Dieses Maß ist das Meter, der 
40 000 000 te Teil des Erdumfanges. 
Mittelst der Anwendung der Trigonometrie der Ebene und 
des Raumes können die räumlichen Beziehungen der Erde zu den 
fernen Welten und dieser zu einander in Einklang gebracht werden 
und man kann die Weltkörper im Geiste vor sich ihre nächtlichen 
Wanderungen vornehmen lassen und dieselben in die nördlichen und 
südlichen Breiten verfolgen. Hinsichtlich der Anschauungen, welche 
die Alten von den Bewohnern anderer Planeten hatten, möge erwähnt 
werden, daß auf dem Gebiete der Astronomie die phantastischsten 
Hypothesen aufgestellt wurden. So erörterte z. B. Huyghens, 
der berühmteste Forscher auf dem Gebiete der Mathematik und Physik 
seiner Zeit (gegen Ende des 17. Jahrhunderts) u. a,, daß die Größe 
der Planetenbewohner in umgekehrtem Verhältnis zur Größe des 
Gestirns selbst stehen müsse. Dem entsprechend wurde in jener Zeit 
auch die Frage wissenschaftlich erörtert, ob der Verstand der auf 
andern Gestirnen lebenden Geschöpfe abhängig von der Entfernung 
von der Sonne anzunehmen sei. 
Es wirft sich jetzt die Frage auf, in welchem Umfange die Be 
obachtungen mittelst der großen Fernrohre der modernen Sternwarten 
zu einigermaßen greifbaren Annahmen über die fernen Welten Be 
rechtigung geben. In dieser Beziehung bieten die Beobachtungen, 
welche an dem uns am nächsten liegenden Gestirn, dem Mars, ge 
macht sind, ein besonderes Interesse. Geheimnisvoll ist zur Zeit noch 
und wird es wohl vorerst noch bleiben, welche Bedeutung den 
scheinbaren Kanälen des Mars und den beim Zusammenlauf mehrerer 
derselben sich bildenden erweiterten Becken, welche je nach der Ent 
fernung von uns und der Zeitdauer sich oft innerhalb einiger Tage 
verdoppeln und dann ebenso schnell ganz verschwinden und an einer andern 
Stelle wieder auftreten, zuzuschreiben ist. ES sind Vermutungen auf 
getaucht, welche allerdings wissenschaftlicher Begründung entbehren, 
daß Mars diese Wasserbauten seinen irdischen Individuen ähnlichen 
Bewohnern zu verdanken habe, und wenn dieses je zutreffen sollte, 
so wäre das Jngenieurwesen, die Wasserbaukunst und die Kulturtechnik 
auf jenem Planeten den unsrigen weit überlegen, da auf solche Ent 
fernungen unsere Wafferlauf-Korrektionen nicht ein so umfangreiches 
Netz erkennen lassen würden. So lange übrigens die beobachteten 
schnurgeraden Kanäle, welche durch ihre eigenartige Regelmäßigkeit 
in erster Linie solchen Annahmen Vorschub leisteten, nicht constant 
bleiben, ist anzunehmen, daß natürliche, d. h. von der Natur selbst 
geregelte Umwälzungen dieselben bedingen. Die Annahme, daß auf 
dem Mars bei der Ebbe die Kanäle sich als einfache Linien dem 
Blicke zeigen, daß aber bei der Flut die Ufer überspült werden und 
dann die Nebenkanäle, welche als Schutz gegen die andringenden 
Waffermaffen angesehen werden könnten, von diesem Element ange 
füllt werden, kann wohl als nach irdischen Verhältnissen beurteilt 
angepaßt erscheinen. 
Zum Schluffe möge der Wunsch ausgesprochen werden, daß 
es der Wissenschaft und der Technik bald gelingen möge, diese Rätsel 
zu lösen und endlich die Natur des Mars sicher zu erkennen. 
Äerausgegetren vom Würltemd. verem für Daukunde. Für denselben: Cberbaurat a. D. v. Ärockmann. — Druck von Alfred Müller <fc Co. — Verlag von L. Weisels 
chofbnchhandlung, sämtlich in Stuttgart.
	        

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