Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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Der Architekten- und Ingenieur-Verein in Mannheim 
teilt mit, daß er seinen Namen in Architekten- und Ingenieur- 
Verein Mannheim-Ludwigshafen abgeändert habe. 
Der Verein hat sich seiner Zeit in Gemeinschaft mit dem 
Württembergischen Bezirksverein deutscher Ingenieure mit dem neuen 
Wasserrechtsgesetze eingehend befaßt und eine Aeußerung an die 
K. Staatsregierung, sowie an die Ständeversammlung abgegeben, 
wobei zur Ergänzung dieses Gesetzes ein Flußbaugesetz beantragt 
wurde. Nachdem das Flußbaugesetz im Entwurf erschienen ist, sollte 
dieser von der für das Wasserrechtsgesetz bestellten Kommission gleich 
falls in Gemeinschaft mit dem Württembergischen Jngenieurverein 
beraten werden. Der Vorsitzende teilt mit, daß er Hiewege die 
nötigen Einleitungen getroffen habe; dabei bringt er noch zur Kennt 
nis, daß er sich an den Herrn Ministerialrat Fecht in Straßburg 
mir der Bitte gewendet habe, im Verein einen Vortrag über die 
Organisation des kulturtechnischen Dienstes in Elsaß-Lothringen zu 
halten. Derselbe habe aber abgelehnt, da er mit Rücksicht auf seine 
dienstliche Stellung nicht in der Lage sei, einen Vortrag im Verein 
zu halten; dagegen werde er demnächst eine ausführliche Arbeit über 
die fragliche Organisation veröffentlichen. 
Hierauf erstattet Regierungsbaumeister Blümer einen Bericht 
über die mit verschiedenen Unfallversicherungs-Gesellschaften gepflogenen 
Verhandlungen, welche bezwecken, den Vereinsmitgliedern bei Ver 
sicherungen gegen Unfall gewisse Vorteile zu gewähren. An Hand 
einer tabellarischen Uebersicht erläutert der Referent die bei den 
verschiedenen in Betracht kommenden Unfallversicherungsgesellschaften 
giltigen Prämiensätze und kommt auf Grund der angestellten Er 
hebungen zu dem Antrag, mit der Magdeburger Unfallversicherungs 
Gesellschaft einen Vertrag abzuschließen, welcher den Mitgliedern im 
Fall eines Versicherungsabschlusses einen Rabatt von 15°/», und 
dem Verein einen solchen von 2Vr°/o an den gewöhnlich giltigen 
Einheitssätzen gewährt. Der Vertragsentwurf kommt zur Verlesung 
und erklärt sich der Verein ohne weitere Debatte mit dem Vertrags 
abschluß einverstanden. Der Vorsitzende dankt dem Referenten für 
seine mühevolle und dankenswerte Arbeit. 
Nach Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten bespricht Herr 
Regierungsbaumeister Feil den von der Firma Böklen L Feil 
ausgearbeiteten Entwurf einer zweiten evangelischen Kirche 
in Cannstatt und teilt hierüber Folgendes mit: 
Die evangelische Kirchengemeinde in Cannstatt schrieb zur Ge 
winnung von Plänen für eine neue Kirche mit 1200 Sitzplätzen 
einen allgemeinen Wettbewerb aus. Bei diesem Wettbewerb sind im 
ganzen 37 Pläne eingekommen, von denen die Arbeiten der Architekten 
Reinhardt & Süssengut in Berlin mit dem ersten, des Archi 
tekten Ratzel in Karlsruhe mit dem zweiten und der Architekten 
Böklen & Feil in Stuttgart mit dem dritten Preis ausgezeichnet 
wurden. Die Bearbeitung der Ausführungspläne wurde den Archi 
tekten Böklen 8c Feil übertragen. Es wurde von seiten der 
Kirchenbau-Kommission hiebei die Forderung gestellt, daß die Kirche 
statt der im Preisausschreiben angenommenen 350 000 Ji, nur 
280 000 JL soften solle. Da eine so bedeutende Kostenersparnis 
nicht durch eine bloße Vereinfachung der Bauformen möglich war, 
so mußte eine Verringerung der Sitzplätze von 1200 auf 1100 
vorgenommen werden, wodurch eine Einschränkung der räumlichen 
Ausdehnung, sowohl nach der Grundfläche, als nach der Höhenent 
wicklung möglich war. 
Die Kirche kommt an die Waiblingerstraße in die Nähe des 
Uffkirchhofs zu liegen. 
Der Grundriß zeigt die neuerdings für protestantische Kirchen 
mehrfach in Anwendung gebrachte zweischiffige unsymmetrische Anlage 
mit breitem Hauptschiff und schmälerem Seitenschiff, in welchem die 
Hauptempore untergebracht ist. Diese Anordnung hat im vorliegenden 
Falle den Vorzug, daß beim Hauptvormittagsgottesdienst die Kirchen 
besucher abgewendet von den hell beleuchteten Fenstern sitzen, was 
im Programm vorgeschrieben war. Dem Haupt- und Seitenschiff 
gliedert sich gegen die Waiblingerstraße eine Vorhalle mit darüber 
liegender Orgelempore an; der Turm ist an der Ecke der Waiblinger- 
und Teckstraße situiert. An das Hauptschiff schließt sich der recht 
winklig geschlossene Chor an. In die Ecke zwischen Chor und 
Seitenschiff legen sich Vorraum und Emporentreppe, weiter ein großer 
Konfirmandensaal, sowie die Sakristei samt Nebenräumen an. Die 
Architektur zeigt frühgothische Formen; der geringeren Kosten wegen 
soll in der Hauptsache Backstein mit sparsamer Verwendung von 
Hausteinen in Anwendung kommen. Die Jnnenräume werden ge 
wölbt, die Gewölberippen in Backstein erstellt, die Gewölbekappen 
geputzt. Mit der Ausführung soll im Frühjahr 1898 begonnen 
werden und hofft man die Kirche in drei Baujahren zu vollenden. 
Im Anschlüsse hieran bespricht der Vortragende noch das von 
der Firma Böklen 8c Feil im Vorjahr zur Ausführung gebrachte 
Geschäftshaus an der Eberhards- und Thorstraße in Stuttgart. 
Der Vorsitzende dankt dem Vortragenden für seine interessanten 
Mitteilungen und ergreift sodann selbst noch das Wort zu einer kurzen 
Beschreibung des in Berlin neu erbauten großen Warenhauses der 
Firma Wertheim an der Leipzigerstcaße. Das Haus hat eine 
Frontlänge von 60 m und eine Tiefe von 75 m, besitzt 5 Stock 
werke, in welchen sämtlich verkauft wird und zu deren Ersteigung 
6 Fahrstühle und 5 Treppen angeordnet sind. Die gesamte Anlage 
ist, wie aus den aufgehängten Zeichnungen ersichtlich ist, mit allen 
modernen Einrichtungen versehen und in der Gesamtausstattung sehr 
großartig angelegt. Der Bauaufwand für dieses Warenhaus beträgt 
7 Millionen. Der Entwurf stammt von den Architekten Messel L Alt 
gelt in Berlin, welchen auch die Leitung der künstlerisch vollendeten 
Bauausführung übertragen war. Die Mitteilungen werden mit all 
seitigem Beifall aufgenommen. 
Die Balmger Hochwasser-Katastrophe. 
Hydrographische Darstellung des Eintritts und des Verlaufs des Hochwassers der Eyach, der Schmiecha und der Schlichem in der Zeit vom 4. bis 7. Juni 1895. 
Vortrag von Bauinspektor Roller, gehalten am 8. Januar 1898. 
1. Beschreibung des Geländes und geognostische Beschaffenheit. 
Der vom 4. bis 7. Juni 1895 durch Gewitter, Wolkenbrüche 
und Ueberschwemmungen schwer betroffene Teil Württembergs liegt 
in dem rechten Winkel, welchen die hohenzollerischen Lande bilden 
und umfaßt zu beiden Seiten der europäischen Wasserscheide die 
oberen Thäler der Eyach, Schmiecha und Schlichem. 
Die Höhe der das Gebiet umgrenzenden Wasserscheidelinien be 
trägt in dem Eisenbahneinschnitt zwischen Lautlingen und Ebingen 
738 m und steigt bis auf die Hochebene des Plettenbergs auf 
1002 m. — Die Thalsohlen der Eyach bei Margrethausen, der 
Schlichem unterhalb Hausen a. Th. und der Schmiecha bei Ebingen 
liegen auf einer Höhe von 700 m, so daß die Hanghöhe bis zu 
300 m beträgt. 30,6 °/o des Gebiets sind bewaldet, es enffpricht 
dies der mittleren Bewaldung Württembergs. 
Das Hauptmassio der Berge bilden in der Gegend die a und 
ß Schichten des weißen Jura. 
Der äußerst kräftig ausgebildete Gebirgsfuß besteht aus Braun 
jura, welcher zum großen Teil mit schönen Waldungen bedeckt ist. 
Der Bcaunjura erhebt sich plötzlich und unvermittelt aus der 
vorgelagerten Lias-Ebene und bildet teilweise kuppenförmige Vor 
berge, er weist wenig wetterbeständige Steinbänke, aber viel thonige 
uad mergelige Schichten auf und ist zu Rutschungen sehr geneigt. 
In den Jahren 1787 uad 1851 kamen im Schlichemthal über
	        
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