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Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukonde in Stuttgart.
No. 5
Donauwasser, wenn sie einmal, und wenn auch nur kurze
Zeit, über Spaichingen gelaufen wären, das Primtal, insbeson
dere auch im Hinblick darauf, dass die Wasser dort den geolo
gischen Schichten entgegengelaufen wären, sehr rasch ausgetieft
hätten. Von einer Rückkehr ins alte Tal hätte nicht mehr die
Rede sein können, die oberste Donau würde bei dieser An
nahme heute noch über Spaichingen nach Rottweil Hiessen.
Wenn aber eine Hypothese umgestürzt wird, müssen gegen
teilige Anschauungen begründet werden, und.so musste ich mich
entschlossen, meine vor Jahren gemachten Beobachtungen über
die Entstehung der Talweitungen 'von Riedlingen und Rotten
acker bekannt zu geben.
Wenn ich mich als Laie in der Geognosie auf ein fremdes
wissenschaftliches Gebiet begeben habe, so geschah dies nicht
ohne Grund. Bekanntlich ist der Abtrag der Gesteinsschichten
in den verschiedenen geologischen Zeiten ebenso wichtig und
jedenfalls genau ebenso umfangreich wie die Neubildung der
Schichten. . Zur Schilderung des Vorganges der Schichten
abtragungen, die in der Hauptsache durch die mechanische
Wirkung des Wassers bewerkstelligt wird, ist aber doch wohl
der Hydrotechniker ebenso gut berechtigt wie der Geologe
von Fach.
Bekanntermassen hat uns das Jurameer, das sich ganz
allmählich aus dem heutigen Schwaben zurückzog, in mulden
förmigen, vom Wellenschlag wenig berührten seichten Einbuch
tungen die heute so wertvollen Zementmergel, auf die sich die
Industrien des Blau-, Schmiech- und Brenztals gründen, als
Abschiedsgeschenk hinterlassen.
Von diesen Zementmergeln ab, die nur bei uns die ober
sten Juraschichten bilden, in England aber z. B. durchaus nicht
der Schlussperiode des Jura entsprechen, liegt das heutige
württembergische Unterland ununterbrochen, das Oberland bis
zur Miozänzeit trocken.
Die ungeheuren Erdumwälzungen zu Beginn der Kreide
zeit und die damit verbundenen, gewaltigen Veränderungen in
der Verteilung von Land und Meer, die daraus am deutlichsten
erhellen, dass die Kreide beinahe auf allen mesozoischen For
mationsgliedern und sogar an vielen Stellen auf Urgebirgen
unmittelbar auflagert, lassen das ganze heutige Schwaben inso-
ferne unberührt, als es auch zur Kreidezeit Festland bleibt, haben
aber durch ausgedehnte Spaltenbildungen und durch die damit
zusammenhängende Zerstückelung der mesozoischen Schichten
in zahllose Schollen und Bergkeile zu der nunmehr ansetzenden
Abtragung dieser Schichtengesteine ganz erheblich und ganz
wesentlich beigetragen.
In drei zeitlich verschiedenen Etappen beginnt alsdann durch
ungeheure, wohl mit der fortschreitenden Abkühlung der Erde
zusammenhängende, von Nord nach Süd gerichtete Drücke die
Auffaltung der Alpen, das Absinken des vindelizischen Gebirgs,
jener unendlich lange bestandenen Scheidewand zwischen den deut
schen und alpinen Meeresablagerungen des Trias und des Jura und
der wohl 1000 m mächtige vollständige Schichtenabbruch entlang
der Donauspalte. An diesen Abbruch schliesst sich alsbald die
Wiederauffüllung durch das einbrechende Miozänmeer an. Nun
mehr wird die schwäbische Alb, im Gegensatz zum Franken
jura, der stabil bleibt, zur Miozänzeit gehoben und gleichzeitig
mit südöstlichem Fallen schief gestellt. So sehen wir zu Ende
der Miozänzeit, nach Ablauf des grossen, von der Rhone bis
nach Niederösterreich reichenden, nach und nach ausgesüssten
Miozänsees, die Donau und ihre von der Alb herabkommenden
Nebenflüsse annähernd auf ihre heutige Tiefe ausgenagt und
finden die über grosse Teile von Bayern, Württemberg, Baden
und Eisass gelagert gewesenen Juraschichten bereits abgetragen.
Ein Blick auf die Karte zeigt ein Ruinenfeld von unbe
schreiblichem Umfang und unsagbarer Zertrümmerung. In wie
viel Millionen, in wieviel Milliarden von Jahren diese Zer
störung vor sich gegangen ist, wer vermag es zu sagen? Den
einzigen Massstab, an dem wir die Grösse des Abtrags messen
können, bieten uns die 1000 und mehr Meter mächtigen Kreide-
und Tertiärablagerungen.
Für die ehemalige grosse Ausdehnung der schwäbischen
Juradecke haben uns Steinmann und Branco unwiderlegliche
Beweise erbracht. Ersterer hat bei Alpersbach nördlich vom
Feldberg in 1000 m Höhe Juranagelfluh gefunden und Branco
hat in einem tertiären Vulkanembryo bei Scharnhausen in der
Nähe von Hohenheim Trümmer von weissem Jura entdeckt.
Ferner geben hiefür all die unzähligen, mit Kappen von wider
standsfähigerem Material bedeckten Einzelberge und Vorberge
untrügliche Zeugnisse.
Aber auch alle Albflüsse, die bis zu der heutigen Wasser
scheide hinaufreichen, sind beredte Zeugen dieses stetig fort
schreitenden Abtrags, denn ihre Täler endigen an dieser Scheide
wie abgeschnitten, ohne Talabschluss als Talstumpen.
An der Wasserscheide zwischen Ebingen und Lautlingen
hat die Bahnlinie über 11 m tiefe Kiese angeschnitten. Den
Kiesen sind Epsilonmarmore und rötliche Deltastücke beige
mengt, die an den anstossenden Hängen nicht vorkommen.
Früher hat man angenommen, dass diese Kiese durch Schmiecha
aufwärts geschobenes Gletschereis abgelagert worden seien. Dies
ist unrichtig. Die Wasser, die sie angeschwemmt haben, sind
dem heutigen Eyachlauf entgegen, aber hoch über ihm, von
Balingen her der Donau zugeflossen und haben die Kiese als
Flussgeschiebe an ihre jetzige Stelle gebracht.
Das Ebinger Tal ist nun wohl dasjenige württembergische
Albtal, an dem die fortschreitende Talkürzung, die Entwurze
lung, am augenfälligsten schon aus der Karte gezeigt werden
kann, es ist aber durchaus nicht die bedeutendste Talruine
unter den Quertälern der Alb.
Als solche sind vielmehr die zwei sog. natürlichen Durch
brüche durch die Alb, die heutigen Doppeltäler des Faulenbachs
und der Prim zwischen Tuttlingen und Spaichingen und der
Brenz und des Kochers zwischen Heidenheim und Aalen zu
! bezeichnen.
Bei Denkingen, nördlich von Spaichingen, liegen am Alb
hang, 90 m über dem heutigen Primtal, Gerölle von Buntsand-
j steinen, die aus dem Schwarzwald stammen und in der
geognostischen Karte von Tuttlingen als Gl., d. h. „Glazial“,
bezeichnet sind. Diese „grosse Höhe über dem Primtal“ hat
Rektor Haag zu der Vermutung veranlasst, dass sie von der
Donau her an ihre jetzige Stelle gelangt seien. Dies ist un
richtig, es sind Geschiebe aus dem Eschachtal, dessen Wasser
früher der Donau zugingen. Die Höhenlage dieser Schotter
stimmt mit der Verlängerung der Sohle des Faulenbachtals,
Tuttlingen-Spaichingen, vollständig überein, und ein Nachprüfen
der, der etwa bei der Durchfahrt durch den Bahnhof Spaichingen
eine Umschau in der Richtung nach Norden hält, wird von dort
aus in überzeugender Weise über die am Fusse des Steilabfalls
der Alb sich kulissenförmig vorschiebenden Erhebungen hinweg
die Sohle der nunmehr abgeschwemmten Verlängerung des
früheren Faulenbachtals mit einem Blick übersehen und sich
von dem früheren Vorhandensein dieses alten Flusstals über
zeugen.
Ebenso ist das tatsächliche Vorhandensein von Vorterrassen
bald am linken, bald am rechten Hang des Kochers auf der
Talstrecke Königsbronn-Aalen, sowie die allmähliche Zunahme
ihrer Höhe in dieser Richtung schon vom Eisenbahnwagen aus
erkennbar. In ganz eigentümlicher Weise lässt sich dort auch
der Wechsel, der sich in der Abflussrichtung des Haupttales
vollzogen hat — nach Penck der Uebergang vom Folgefluss
zum Gegenfluss —, an den Mündungsstellen der Nebentäler,
insbesondere der wasserführenden, erkennen. Die Wasser des
bei Oberkochen mündenden Wolfertstales (Fig. 1) nahmen früher
ihren Weg gegen Süden in der Art durch den Ort Oberköchen,
dass die heutige Ortskirche am linken Ufer gelegen war, wäh
rend sie später, 500 m davon entfernt, nach Norden durch
gebrochen sind. Ganz ähnlich liegt der Fall in Unterkochen
(Fig. 2). Die Wasser des weissen Kochers flössen früher über
den heutigen Sattel, der halbinselförmigen Landzunge zwischen
dem derzeitigen Lauf des Kochers und weissen Kochers, auf
dessen vorderer erhöhten Spitze die Kirche steht, der Brenz zu
und haben sich alsdann mit dem Wechsel der Abflussrichtung
des Haupttales den näheren Durchbruch gegen Aalen verschafft.