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Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baokunde in Stuttgart.
No. 7
Nummer 113 als Antwort auf unsere Ausführungen: „Geht aber
z. B. der Kanal bis Esslingen, so hat doch das Oberland bis
Esslingen dieselben verbilligten Tarife, wie die Esslinger. Eine
Benachteiligung des Oberlandes ist ausgeschlossen; wie es Preussen
geplant hat, wird man selbstverständlich auch bei uns
mit Ausnahme-Eisenbahntarifen gegenüber dem nicht
am Kanal gelegenen Land (und es ist dies auch im Neckarkreis
der grössere Teil) sehr leicht einen gerechten Ausgleich
herbeiführen können, indem man sie so stellt, dass z. B. der
Frachtsatz von Ravensburg nach Köln für diejenigen Güter, die
ab und bis Esslingen mit Schiffen befördert werden, verhältnis
mässig ebensosehr, wie von Esslingen aus, verbilligt wird.“ Damit
anerkennt das Oberndorfer Blatt, dass Rücksicht auf die nicht
am Kanal gelegenen Gegenden genommen werden muss; es macht
also einen ganz bedeutenden Schritt in der von uns angegebenen
Richtung; wir sind der festen Ueberzeugung, dass noch mehrere
solcher Schritte in unserem Sinne von allen Kanalfreunden ge
schehen. Auch bekannte Kanalfreunde (Lühning u. a.) stehen
auf unserem Standpunkte; sie fordern nicht nur die Grund
erwerbungskosten für die Beteiligten, sondern auch Gewährleistung
der Verzinsung durch „grössere Verbände, welche den grösseren
Nutzen von der Anlage haben“. Der „Schwarzw. Bote“ erklärt
dies allerdings an anderer Stelle in hochtrabender Weise als
„Unsinn“! Man hört jetzt schon nichts mehr von der zuerst er
hobenen Forderung, dass der Kanal um jeden Preis gebaut werden
müsse. Unseres Erachtens hat der preussische Kanalpolitiker Sym-
p h e r die Voraussetzungen für die Anlage eines Kanals ganz
zutreffend in folgender Weise zusammengefasst: „Ein künstlicher
Wasserweg ist in wirtschaftlicher Beziehung nur dann gerecht
fertigt: 1. wenn er die bereits vorhandenen Transporte billiger
befördern kann oder neue Transporte ermöglicht, indem er neue
Industrien hervorruft oder vorhandenen grösseren Wert gibt und
so einen solchen Nutzen abwirft, dass nicht nur die Unterhal
tn n g s - und Verwaltungskosten und die Zinsen des
Anlagekapitals gedeckt werden, sondern auch diejenigen
Verluste einen Ausgleich finden, welche für andere Verkehrs
wege aus der Anlage des neuen Wasserweges entstehen, und
2. die Vorteile aus der neuen Anlage des Wasserweges nicht auf
andere Weise besser erreicht werden können. Eine Folge dieser
doppelten Bedingung ist, dass ein ihnen entsprechender Wasser
weg nötigenfalls im stände sein muss, Gebühren zu tragen, welche
die Kosten der Unterhaltung und der Verzinsung des Anlage
kapitals decken, obgleich diese Möglichkeit nur theoretisch)!!)
noch zu beweisen sein wird. Jeder Entscheidung des Baues einer
neuen Schiffahrtsstrasse muss deshalb eine eingehende Prüfung
ihrer wirtschaftlichen Berechtigung vorangehen. Eine derartige
aufmerksame Vorprüfung ist nicht nur wünschenswert, sondern
durchaus notwendig, um die gute Verwendung der Staatsgelder
zu sichern und um nicht diejenigen Wasserstrassen zu diskontieren,
welche wirklich nützlich und fähig sind, gute Dienste zu leisten.“
Da Sympher selbst ein grosser Kanalfreund ist und als Autorität
vielfach auf diesem Gebiete genannt wird, so werden auch unsere
württembergischen Kanalfreunde sich dessen Anschauung anbe
quemen und wir wollen nun an der Hand der Sympherschen Thesen
die Sache näher beleuchten.
a) Die Gebühren auf dem Kanal.
Nur mit einem leichten Lächeln kann man die Worte ver
nehmen, die im Landtage aus volksparteilichem Munde gefallen
sind und von einem „gut rentieren“ sprechen. Unter „gut ren
tieren“ versteht man doch im allgemeinen nicht nur das Auf
bringen der laufenden Kosten und des landesüblichen Zinses,
sondern auch eines Ueberschusses, der in die allgemeine Staats
kasse Hiessen würde. Nun hat aber bereits die Reichsver
fassung diesem „gut rentieren“ einen Riegel vorgeschoben,
indem sie in Artikel 54 bestimmte: „Auf allen natürlichen Wasser
strassen dürfen Abgaben nur für die Benützung besonderer An
stalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind, er
hoben werden. Diese Abgaben, sowie die Abgaben für die Be
fahrung solcher künstlicher Wasserstrassen, welche
Staatseigentum sind, dürfen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen
Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten
nicht übersteigen.“ Den Sinn dieses Artikels gewinnt man von
der historischen Seite her, worüber G. Cohn in seinem „System
der Np+ ; '“^ na lökr )m j e “ (1898, dritter Band, Seite 836) sagt: „Er
wiüaufräumen i allen den inneren Wasserverkehr belastenden
bgaben, die nicht c Entgelt für Aufwendungen im Dienste des
asserverkehrs sim’es sollen also alle finanzpolitischen und wirt
schaftspolitischen Zölle im Innern fallen. Er will ferner die Höhe
der zulässigen Abgaben nach oben hin begrenzen durch das Mass
der Kosten: bei natürlichen Wasserstrassen für die Benützung
besonderer Anstalten; bei künstlichen Wasserstrassen für Herstel
lung und Unterhaltung derselben. Indem er auf diese Weise die
Obergrenze für die Wasserzölle zieht, lässt er den Wünschen nach
einem weitergehenden Grade von Unentgeltlichkeit die Bahn
offen. Die Folgezeit hat das bestätigt. Ueber die Vorschriften des
Artikels 54 hinaus sind Anlagen, die vom Staat und Gemeinden
mit grossen Kosten zum Besten des Schiffahrtsverkehrs herge
stellt worden sind, wie Häfen, Umladevorrichtungen, Schleusen,
dem Verkehr unentgeltlich dargeboten werden; oder die wirklich
erhobenen Gebühren sind meist so gering, dass nicht einmal die
Unterhaltungskosten gedeckt werden, von einer Verzinsung des
Anlagekapitals keine Rede ist. Diese finanzielle Behandlung ist
denn auch auf die künstlichen Wasserwege, die mit grossen
Kosten hergestellten oder herzustellenden Kanäle und kanalisier
ten Flüsse übertragen worden.“ Die Kanalfreunde sind auch ge
treulich dieser Verfassungsbestimmung gefolgt; in den weitesten
Kreisen derselben ist völlige Beseitigung der Kanalabgaben ge
fordert worden. Der fünfte internationale Binnenschiffahrts
kongress zu Paris 1892 sprach sich in seiner Schlussresolution dahin
aus, „dass der Verkehr auf den Wasserstrassen, soweit als möglich,
keinen Abgaben unterworfen sein soll“. Auf diesem Kongress
wurde auch mitgeteilt, dass der Zuschuss zu den Kanälen der
deutschen Staaten in den Jahren 1880—1890 sich jährlich auf
24 Millionen Mark beläuft, für jeden Kilometer auf 2200 M.,
und das allein zu den Unterhaltungskosten ohne jede Verzin
sung. Alles war auf besagtem Kongresse einig, dass diese Ab
gaben eine Einnahmequelle des Staates nicht sein dürfen! die
Gebühr dürfe nur so gross sein, dass der Wasserweg immer
noch billiger bleibe als der Landweg! Wenn man an die Eisen
bahnen auch solche Anforderungen stellen würde? Da ist es
leicht zu sagen: der Wasserweg ist billiger als der Landweg.
Die Notwendigkeit solcher Gebühren wird von vielen Seiten be
stritten, wie wir schon oben sagten. „Dies ist eine grosse Un
gerechtigkeit, da manche Steuerzahler überhaupt keinen Nutzen
von der Anlage, andere sogar Schaden davon haben,“ gesteht
selbst der Kanalfreund Lühning. Gewiss hat der Staat für billlige
Verkehrswege zu sorgen, aber diese müssen ihre Unkosten selbst
aufbringen. Auch die Gemeinden sind berechtigt, bei den Inter
essenten für die Erhaltung und Verzinsung ihrer Anlagen bei
Kanälen Abgaben zu erheben; die Gas- und Elektrizitätssteuer
würde sonst ganz ungerecht sein. Ueber die Höhe dieser Ab
gaben sind die Kanalfreunde selbst der verschiedensten Ansicht;
im allgemeinen hört man nur: das muss von Fäll zu Fall ent
schieden werden. Man erhebt Förderungen, dass nur 0,2 Pf. pro
Tonnenkilometer erhoben werden dürfen (Sympher), andere gehen
bis 1,1 Pf. pro Tonnenkilometer (Lühning). Jedenfalls muss die
Gebühr sowohl nach den Anlage- als Betriebskosten sich richten;
als Verzinsung ist 3Vs % des Anlagekapitals anzunehmen, als
Betriebskosten x / 2 —■*/* °/o und zur Tilgung Vio °/°; die Gesamt
gebühren hätten somit mindestens 4Vs—6 % des Anlagekapitals
im allgemeinen einzubringen. Nehmen wir nun an, dass der Staat
für den Neckarkanal noch 40 Millionen Anlagekapital auszusetzen
hat, so sind 5 °/o hievon 2 Millionen. Die Gebühren müssten dem
nach jährlich so viel abwerfen, ohne dass das Unternehmen „gut
rentiert“, was ja durch Reichsgesetz ausgeschlossen ist. Wer
nun etwa meint, 2 Millionen Mark Kanalgebühren sei sehr wenig,
den erinnern wir daran, dass auf sämtlichen deutschen Wasser
strassen jährlich (nach dem Durchschnitt 1880—1890) nicht mehr
als 2 Millionen Mark erhoben wurden. Soll nun ebensoviel der
kleine Neckarkanal Mannheim-Heilbronn abwerfen, so müssen die
Gebühren pro Tonnenkilometer eine Höhe erreichen, die den
Wassertransport nicht mehr viel billiger erscheinen lässt als
den Schienentransport. Sollen jedoch die Gebühren des projek
tierten Kanals sich in gleicher Höhe mit denen auf anderen
künstlichen Wasserstrassen bewegen, so muss einfach das ge
samte Anlagekapital des Staats ä fonds perdu gegeben werden;
dann sind noch 600000 M. Gebühren nötig, was immerhin für
den Kanal noch kleine Gebühren sind. Aus diesem Gesichtspunkt
ist auch das Anerbieten einer unbekannten englischen Privat
gesellschaft erklärt; diese ist nicht an Artikel 54 der Reichs
verfassung gebunden und kann den Wassertransporttarif so ge
stalten, dass er doch noch um 0,25—0,2 Pf. pro Tonnenkilometer
billiger ist und so der Kanal unsere Eisenbahnen schwer schädigt.
In England erhalten in der Tat auch die Kanalgesellschaften