Nr. 5 und 6
Monatsschrift des Württembg. Vereins für Badkdnde in Stuttgart.
59
Art. 64.
Ausnahmen von den durch Gesetz, Verordnung- oder Orts
baustatut unbedingt erteilten polizeilichen Vorschriften kann das
Ministerium des Innern bei dem Vorliegen gewichtiger Gründe
zulassen, wenn keine polizeilichen Bedenken entgegenstehen und
dem Rechte oder erheblichen Interessen eines dritten kein Ein
trag geschieht.
Unter den gleichen Voraussetzungen können, soweit es' sich
nicht um Fälle handelt, in welchen das baupolizeiliche Erkennt
nis dem Ministerium des Innern vorbehalten ist, Ausnahmen von
den ausschliesslich durch das Ortsbaustatut unbedingt erteilten
polizeilichen Vorschriften von den Bezirksämtern und in den
Fällen des Art. 69 von den dort bezeichneten Behörden be
willigt werden, wenn der Gemeinderat*) für die Bewilligung sich
ausspricht.
*) Siehe oben Anm. zu Art. 3.
Art. 67.
Ueber alle Bauten, welche nicht unter die Art. 65 und 66
fallen, hat die zuständige Baupolizeibehörde nach vorgängiger
Untersuchung zu erkennen.
Vor der Erteilung des erforderlichen polizeilichen Erkennt
nisses, und solange gegen dasselbe noch eine Beschwerde im
Verwaltungswege zulässig ist, darf mit der Ausführung des Baues
nur insoweit begonnen werden, als dies von der zuständigen Bau
polizeibehörde besonders gestattet wird. Die Vornahme von Grab
arbeiten bedarf einer solchen Erlaubnis nicht.
Abweichungen von dem genehmigten Bauplan ohne Bewilli
gung der Behörde sind nur in dem Falle zulässig, wenn dieselben
solche Aenderungen betreffen, welche nach Art. 65 und 66 keines
polizeilichen Erkenntnisses bedürfen.
Vom Zeitpunkt der amtlichen Bekanntmachung der beab
sichtigten Feststellung oder Abänderung des Ortsbauplans oder
einzelner Baulinien kann die Genehmigung der Errichtung neuer
oder der Erneuerung, Erweiterung oder Erhöhung bestehender
Bauten (Art. 7 Abs. 1 und 2), welche in das Gebiet der beab
sichtigten Feststellung fallen, big zur endgültigen Feststellung
versagt oder nur vorläufig und unter solchen Voraussetzungen
und Bedingungen erteilt werden, dass die Durchführung des neuen
Ortsbauplanes weder gehindert noch durch Ersatzansprüche auf
Grund der Bestimmungen in Art. 7 und 8 erschwert wird.
Art. 68.
Das polizeiliche Erkenntnis (Art. 67) kommt der Regierungs
behörde in folgenden Fällen zu:
a) bei der Herstellung neuer Gebäude an öffentlichen Plätzen
und Ortsstrassen oder Baulinien, an Landstrassen, in der Nähe
von Waldungen, Wasenplätzen, Eisenbahnlinien, öffentlichen Ge
wässern und Friedhöfen, mit Ausnahme von Schuppen, unheizbaren
Garten- und Feldhäuschen, Geschirrhütten, Abtrittgebäuden,
Schweine- und Geflügelställen;
b) bei der Herstellung oder Abänderung eigentümlicher Bau
werke, für welche die allgemeinen Vorschriften nicht ausreichen.
Im übrigen sind für das polizeiliche Erkenntnis über Neu
bauten und Bauveränderungen (Art. 67), sowie für die etwa er
forderliche polizeiliche Verfügung in den Fällen der Art. 65
und 66 die Gemeindebehörden zuständig.
im Bedarfsfall unter die Erdoberfläche zu legen, im Gegensatz
zu dem bisher üblichen Dispensationsweg im ordentlichen Ver
fahren zu beschaffen; durch ausreichende Lüftung und Beleuch
tung und durch Trockenhaltung solcher Räume wird auch der
ständige Aufenthalt von Menschen in denselben unbedenklich.
Zu Art, 64.
Nach Art. 70 des Entwurfs ist der Ortsbautechniker be
rufen, die Gemeindebehörde bei Ausübung der Baupolizei zu be
raten und zu unterstützen. Dies kann unseres Erachtens nur dann
in geeigneter Weise geschehen, wenn dieser Beamte bezüglich
der Behandlung von Baufragen durch die Gemeindebehörde auf
dem laufenden erhalten wird. Er wird nach Art. 3 in erster
Linie zu hören sein, wenn es sich um die Errichtung eines neuen
oder die Abänderung eines bestehenden Ortsbaustatuts handelt;
er kann aber nur dann ein .sicheres und zuverlässiges Urteil
über den Wert oder Unwert der Bestimmungen des Ortsbaustatuts
abgeben, wenn ihm die Gründe für die Dispensationserteilungen
bekannt werden; dazu kommt, dass derartigen Fragen mitunter
eine über den einzelnen Fall hinausreichende Bedeutung inne
wohnt, die in erster Linie von dem berufenen Techniker erkannt
und gewürdigt werden sollte.
Zu Art. 67.
Der Abs. 4 dieses Artikels greift empfindlich in das dem
Grundeigentümer zustehende Baurecht (Art. 1) ein. Wir sehen
die Notwendigkeit, die Finanzen der Gemeinden durch eine Be
schränkung dieser Freiheit zu schonen, vollständig ein, wir halten
aber andererseits die Gemeindebehörde für verpflichtet, den zu
ihren Gunsten geschaffenen Ausnahmezustand tunlichst zu kürzen.
Wird eine Frist, die wir mit einem Jahr als angemessen erachten,
in das Gesetz aufgenommen, so kann sich der Baulustige hienach
einrichten und der Verwaltung ist die erforderliche Zeit gegeben,
die Feststellung des betreffenden Ortsbauplanes herbeizuführen.
Wird von einer Fristsetzung abgesehen, so ist zu befürchten,
dass die Feststellung des Bauplanes da und dort zum Schaden
einer gesunden Bautätigkeit und zum Nachteil der Grundeigen
tümer jahrelang ohne Not hingehalten wird.
Zu Art. 68.
Der vorgeschlagene Abs. 2 soll den obersten Baubeamten
die Gewähr der vollberechtigten Mitgliedschaft in der Stadtver
waltung sichern. Wir tragen kein Bedenken, einer ausreichend
technisch beratenen Stadtverwaltung das Recht der Genehmigung
von Neubauten an öffentlichen Plätzen und Ortsstrassen zuzu
erkennen, wenn durch die Stadtverfassung nach der rechtlichen wie
nach der technischen Seite Sicherheit für eine einwandfreie ver
trauenerweckende Prüfung der Baugesuche gegeben ist. Hie
durch wird der Vorteil einer rascheren Geschäftserledigung er
reicht und den Stadtverwaltungen eine Erweiterung ihrer Zu
ständigkeit in Bausachen zugewiesen, auf welche sie dank dem
Umfang und der Leistungsfähigkeit ihrer bautechnischen Aemter
Anwartschaft haben.
Dass die derzeitige Stellung der obersten technischen Be
amten der württembergischen Gemeindeverwaltungen selbst in der
Hauptstadt des Landes für die Geltendmachung ihres Einflusses
auf wichtige bauliche Fragen eine durchweg ungenügende und
unbefriedigende ist, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung.
Nicht die persönlichen Wünsche der betreffenden Beamten, son
dern die wachsende Erkenntnis der Stadtvertretungen hat in den
letzten Jahren dazu geführt, dass in einer grossen von Jahr zu
Jahr steigenden Zahl deutscher Städte entsprechend der Bedeu
tung und Wichtigkeit der technischen Aemter für das Gemein
wohl deren Vorstände in die Stellung vollberechtigter Mitglieder der
Stadtverwaltungen eingerückt sind. Sollen den Stadtvertretungen
künftig Aufgaben auf dem Gebiet der Bauordnung zugewiesen
werden, für welche seither die staatlichen Behörden zuständig