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Bedürfnis. Oberbürgermeister Heim mochte aber in diese Frage um
so weniger mehr eintreten, als er die Absicht hatte, sobald der Münster
turm vollendet sei, sein Amt auf jüngere Schultern übergehen zu
lassen; er begnügte sich damit, die Bedürfnisfragc anzuregen, indem
er die Ausführung gleichzeitig als eine Aufgabe für seinen Nach
folger bezeichnete.
So war es denn eine der ersten Sorgen des neuen Oberbürger
meisters Wagner, diese Aufgabe in die Hand zu nehmen. Es schien
ihm jedoch zweckmäßiger, anstatt die Kosten, welche der Bau erheischte,
ganz oder teilweise der Stadt aufzubürden, lieber den Versuch zu
machen, mittels Gründung einer Aktiengesellschaft die Bürgerschaft
durch direkte Beteiligung des Einzelnen mit seinem Geldbeutel in
unmittelbare Beziehung zu dem Unternehmen zu bringen und
auf diese Weise das Interesse der Ulmer für die Sache in erhöhtem
Maße heranzuziehen.
Eine Aufforderung zur Beteiligung brachte rasch ein Grund
kapital von Jl 200000 zusamm en und so konnte zu den nötigen
Vorarbeiten geschritten werden.
Zunächst beschäftigte die Platzfrage die Gemüter und es zeigte
sich bald, daß die Ansichten über dieselbe in dem neu gebildeten
Jnitiativkomite der Gesellschaft weit auseinander gingen. Selbst die
Meinungen der bauverständigen Mitglieder des letzteren waren nicht
unter einen Hut zu bringen. Während die einen sich für den Platz
an der Bahnhofstraße an der Stelle der abgebrannten Mühle erwärmt
hatten und hiemit dem Eingang in die Stadt dieses öffentliche Ge
bäude sichern wollten, waren andere mehr für etwas entferntere Plätze
in der mit Anlagen versehenen Olgastraße, in der Gegend der Syrlin-
straßc eingenommen, weil sie fürchteten, die Bahnhofstraße sei zu eng
für ein solches Gebäude und die Lichtzuführung nicht genügend.
Andere hatten den Wunsch, es möchte ein Bauplatz gewählt werden,
der die Möglichkeit böte, eine Gartenwirtschaft mit dem Saalbau
zu verbinden.
Es wurde daher beschlossen, einen auswärtigen unbeteiligten
Sachverständigen, der sich mit ähnlichen Gebäuden praktisch beschäftigt
habe, um ein Gutachten in der fraglichen Angelegenheit anzugehen
und es wurde an mich die Anfrage gerichtet, ob ich in der Lage und
bereit sei, mich dieser Aufgabe zu unterziehen.
In diesem Stadium bin ich in die Baufrage des Ulmer Saal
baues eigetreten, indem ich zunächst für alle drei Plätze Skizzen an
fertigte, um zu untersuchen, was sich auf jedem der ins Auge gefaßten
Grundstücke erreichen lasse.
Es zeigte sich dabei, daß der eine auf der Stelle der alten
Stadtmauer an der Olgastraße gelegenen Bauplatz bezüglich der
Nebenräume eine große Beschränkung auferlegte, daß dagegen die
beiden andern Plätze den Raum für ein zweckentsprechendes Programm
boten; daß ferner auf dem Grundstück an der Olgastraße ein freier
Platz vor dem Gebäude erübrigt werden könnte, der sich als Wirt
schaftsgarten ausnützen ließ, während die Situation durch die Nähe
der beiderseitigen Nachbargrundstücke, bei welchen eine künftige Ueber-
bauung nicht ausgeschlossen war, die Lichtverhältnisse weniger günstig
ließ, als diejenigen auf dem Grundstück an der Bahnhosstraße. Für
dieses letztere Grundstück sprach außerdem noch der Umstand, daß die
Bahnhofstraße, als direkte Verbindung zwischen dem Bahnhof einerseits,
sowie dem Münsterplatz und Marktplatz andrerseits eine Hauptverkehrs
ader von Ulm bildet und deshalb nicht nur für die Wirtschaft, diese
notwendige Vorbedingung für das Gedeihen des ganzen Unter
nehmens, die günstigsten Aussichten bot, sondern insbesondere auch
die Möglichkeit in sich schloß, durch eine Anzahl nach Größe und
Ausstattung auf der Höhe der heutigen Anforderungen stehender Ver
kaufsläden eine sichere Rente für einen beträchtlichen Teil des Anlage
kapitals zu erzielen. Unter diesen Gesichtspunkten mußte sich das
sachverständige Gutachten für den Platz an der Bahnhofstraße aus
sprechen und es wurde auch im großen Komite mit erheblicher Majorität
beschlossen, den in städtischem Besitz befindlichen und zu annehmbarem
Preis angebotenen alten Mühlenplatz nebst den zur Ergänzung nötigen
kleineren Grundstücken für die Saalbaugesellschaft zu erwerben und
auf dem ebenfalls in dem Gutachten empfohlenen Wege einer öffent
lichen Konkurrenz sich volle Klarheit über das Erreichbare auf diesem
Bauplatze zu verschaffen.
Diese Konkurrenz hat etliche 30 zum großen Teil sehr schöne
Entwürfe zu tage gefördert, von welchen drei preisgekrönte hier zur
Einsicht ausgehängt sind.
Wie bei den meisten Konkurrenzen, mußten auch bei dieser eine
große Zahl architektonisch sehr hervorragender Arbeiten beim ersten
Durchgang ausgeschossen werden, weil sie eine im Verhältnis zu der
gebotenen Bausumme viel zu große Grundfläche überbauten und damit
meistens auch in Konflikt mit den polizeilichen Bestimmungen über
nachbarliche Abstände und Lichtrecht geraten waren, so daß sie für
die Ulmer Verhältnisse unausführbar gewesen wären, oder weil An
lagen gewählt waren, die sich für die in Aussicht zu nehmenden ver
schiedenartigen Gebrauchsarten nicht eigneten.
So mußten z. B. alle diejenigen Anlagen fallen, bei welchen
das Podium nicht, ohne den Saal zu berühren, für die bei größeren
Aufführungen Mitwirkenden erreichbar, oder keine genügenden Aufent
halts- und Versammlungsräume für dieselben vorgesehen waren.
Bei alledem ist die Konkurrenz nicht ohne den wünschenswerten
Erfolg gewesen, sondern hat zur Klärung der Baufrage wesentlich
beitragen.
Die Ausarbeitung des für die Ausführung bestimmten Entwurfes
wurde mir übertragen. Meine Bedenken hiegegen, die mich zunächst
veranlaßt hatten, dem Komite meine direkte Mitwirkung bei diesen
Arbeiten zu verweigern, da sich eine solche mit meiner Teilnahme
am Preisgericht nicht vertrage, wurden von dem Vorsitzenden des
Komites, Herrn Oberbürgermeister Wagner, nicht acceptiert. Er
machte gegen diese Bedenken geltend, daß der Preisträger des in erster
Linie in Betracht kommenden Projektes, welches auch in seinen Haupt
zügen zur Ausführung gelangen solle, Herr Stadtbaumeister Roman,
nicht in der Lage sei, sich der Ausführung anzunehmen und im
Komite selbst den Vorschlag gemacht habe, dieselbe in meine Hände
zu legen. Nachdem sich alsdann auch der Geheime Baurat Professor-
Wagner in Darmstadt, dem ich die Angelegenheit zur Beurteilung
vorgelegt hatte, dahin aussprach, daß bei der vorliegenden Sachlage
eine Verletzung der bei Konkurrenzen einzuhaltenden Grundsätze nach
seiner Ansicht nicht darin gefunden werden könne, stellte ich mich den:
Koniite für die Ausführung zur Verfügung, indem ich mir vorbehielt,
diejenigen Aenderungen, welche sich bei der Durcharbeitung als not
wendig oder nützlich zeigten, vornehmen zu dürfen.
Ich konnte mich mit der gegebenen Totalanlage um so eher ein
verstanden erklären, als sie, was den Hauptstock betraf, sich eng an
meine ursprünglichen Skizzen anschloß und auch die Hauptmassen,
sowie die Teilung der Fassade mit ihren beiden Giebeln schon in
meiner ersten Aufstellung enthalten waren.
Ein wesentlicher Unterschied bestand nur in der Verwendung des
Parterrestocks, der in meinen Skizzen ursprünglich fünf große Läden
enthielt, wodurch die Bierhalle nicht ganz so groß geworden war, als
in der Ausführung, und das mit der Bierhalle verbundene Cafe
mit Billard ganz fehlte.
Die Läden hatten nämlich in Ulm große Aufregung unter den
Geschäftsleuten hervorgerufen, denen von Gegnern des Saalbaues
mitgeteilt worden war, es solle ihnen durch die Läden eine große
Judenkonkurrenz auf den Hals geladen werden. Um diesem Gerücht
die Spitze abzubrechen, wurde vom Komite beschlossen, lieber die
Bierhalle zu erweitern und ein Cafe mit Billard an die Stelle der
großen Läden zu setzen. So wurde bis auf zwei kleine Läden der
ganze Parterrcraum, soweit ihn das Hauptvestibül, Treppenhaus und
Garderobe übrig ließen, für wirtschaftliche Zwecke verwendet.
Die auf solcher Grundlage ausgearbeiteten Pläne fanden im
Herbst 1894 die Genehmigung des Komites. Im Frühjahr 1895
wurde mit den Grabarbeiten begonnen, nachdem vorher die notwendig
gewordene Verlegung des Blaukanals vollzogen war. Im Laufe des
Jahres 1895 wurde der Rohbau in der Hauptsache vollendet und im
Jahr 1896 der innere Ausbau so gefördert, daß anfangs Dezember
des genannten Jahres die Wirtschaft eröffnet werden und im Januar
1897 die Einweihung des Saales mit allen seinen Nebenräumen
stattfinden konnte.