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Dir Wasserversorgung und die Kanalisation -er Stadt Psorcheim
Vortrag, gehalten am 7. Mai 1898, von Prof. vr. Lueger.
Die Stadt Pforzheim bezicht seit 1875 ein sehr klares, frisches
Wasser aus der im Grösselthale (Württemberg) gelegenen Quelle, das
von der Einwohnerschaft nicht nur dieser Eigenschaften wegen, sondern
auch wegen seiner großen Weichheit (ca. 2 deutsche Härtegrade) sehr
hoch geschätzt wird. Die Ergiebigkeit dieser Quellen geht aber in
trockenen Zeiten — leider gerade dann, wenn der Bedarf am größten
ist — auf ca. 20 Sekundenliter zurück, während sie im Frühjahr
und Herbst häufig 100 Sekundenliter und mehr zu liefern vermögen.
Die Einwohnerschaft Pforzheims ist auf ca. 35000 angekommen;
da sie fortwährend zunimmt, mußten andere Wasserbezugsquellen auf
gesucht werden. In der badischen Umgebung der Stadt finden sich
keine Quellen von irgend welchem Belang, wohl aber in der Württem
bergischen, welche letztere jedoch nicht in Betracht kommen können,
da deren Ableitung kaum gestattet werden dürfte (Quellen der Enz,
der Würm rc.). Dem Vortragenden wurde deshalb der Auftrag,
Wasser zu erschließen, wenn möglich recht weiches. Das letztere
war aber nicht auffindbar, da alle Bohrungen im oberen Enzthal
und im Würmthal nur solche Schichten des Buntsandsteins durch
setzten, die wenig klüftig und mit sehr thonhaltigem Bindemittel be- j
haftet waren. Nur am Fuße des Friedrichsberges gelang es, einen
mächtigen, den Infiltrationen im sog. Hagenschieß zu verdankenden
Grundwasserstrom auszuschließen. Die Wahrscheinlichkeit, daß hier
die zur Ergänzung der Grösselthalwasserleitung erforderlichen 80 Se-
knndenliter Wasser gewonnen werden können, wurde durch den vom
25. Februar bis 24. März ununterbrochen Tag und Nacht fortge
setzten Pumpversuch zur Gewißheit erhoben. Es ergaben sich aus
6 im Buntsandstein 60—100 m tief abgebohrtcn 200—300 mm
weiten Brunnen bei einer mittleren Spiegelsenkung von ca. 4'/» m
konstant 92 Sekundenliter; auch ist es wahrscheinlich, daß durch An
lage von noch mehr Brunnen östlich des letzten das Quantum erheblich
erhöht werden kann. Chemische und bakteriologische Untersuchungen
des Wassers, das krystallhell ist und eine konstante Temperatur von
9 ° C. zeigt, waren hygienisch befriedigend. Beanstandet wurde nur
von der an das weiche Grösselthalwasser gewöhnten Einwohnerschaft
der Härtegrad (ca. 10—14 deutsche Grade), der von der Ueberlagerung
des Einzugsgebietes mit Muschelkalk herrührt. Die Enz, welche an
der neuen Brunnenanlage vorbeizieht, zeigt nur 6 deutsche Härte
grade. Die Bohrlöcher durchtieften im Mittel 6—7 m Alluvien,
dann eine verschieden (15—25 m) starke undurchlässige Schichte
thonigen Sandsteins und gelangten unterhalb derselben in den klüftigen,
thonfreien, wasserführenden Buntsandstein.
Mit dem so gewonnenen Wasser kann das Bedürfnis von 50 000
Einwohnern befriedigt werden, ohne die und mit den Grösselthal-
quellen. Das von dem Vortragenden aufgestellte Projekt mußte diesen
zwei Anforderungen Rechnung tragen, weil, wie bekannt, die Grössel-
thalquellen nach den Anschauungen der Hygieniker nicht einwandfrei
sind und denselben — nach Ansicht des Vortragenden ohne zureichende
Beweise — die Entstehung des Typhus in der Stadt zugeschrieben
ivurde. Das in einem aufgelegten Plan verdeutlichte Projekt sieht
deshalb die Einrichtung vor, die ganze Stadt von den Bohrlöchern
aus versorgen zu können. Es teilt die Stadt in zwei Hochzonen
und eine Tiefzone ein, letztere unter Beibehaltung des bestehenden
Reservoirs der Grösselthalleitung, während zwei neue Reservoire für
die Hochzonen vorgesehen sind. Alle drei Reservoire können im
übrigen — dank des groß gewählten Durchmessers der Leitung vom
Grösselthale — mit Grösselthalwasser gespeist werden. In trockenen
Zeiten dient das letztere nur der Speisung der Hochzonen, für die
es ausreicht; in einem Teile des Frühjahres und Herbstes reicht es
für die ganze Stadt. Das Wasser aus den neuen Bezugsquellen
muß maschinell auf ca. 90 m für die Tiefstadt und ca. 120 m für
die Hochstadt gehoben werden. Es ist deshalb der Besitz und der
Bestand der Grösselthalleitung von höchstem finanziellen Werte und
die Stadt, wenn auch Vorsorge für die gänzliche Ausschaltung dieses
Wassers getroffen ist, denkt nicht daran, die alte Bezugsquelle auf
zugeben.
Der Typhus ist in Pforzheim schon mehrfach aufgetreten, be
sonders vor Errichtung der Grösselthalleitung. Der Vortragende
sucht die Ursache dieser Krankheit in dem engen Zusammenwohnen
vieler Menschen und dem Mangel einer ausreichenden gesunden Ernäh
rung bei der arbeitenden Bevölkerung; auch fehlt eine Entwässerung,
die das schädliche Schwanken des Grundwassers in den tief gelegenen
Stadtteilen verhindert. Nach letzterer Richtung hin will die Stadt
durch Ausführung eines von dem Vortragenden generell ausgearbeiteten
Kanalisationsprojektes Abhilfe schaffen. Das Projekt ist durch einen
aufgelegten Plan verdeutlicht und beabsichtigt, die Uebelstände zu
beseitigen, die seither durch Einleitung der Schmutzflüssigkeiten in das
zeitweise wenig Wasser führende Flußbett der Enz innerhalb der
Stadt besonders im Sommer entstanden sind. Es läßt durch eine
Anzahl von Regenauslässen die Hochfluten in die Enz ab, wenn diese
selbst viel Wasser führt; im übrigen sollen alle Schmutzwasser bis
zu einer Stelle unterhalb des Eutinger Wehres transportiert und
dort der Enz übergeben werden, wo letztere, von industriellen Anlagen
nicht mehr abgeleitet, ihr volles Wasserquantum das ganze Jahr
hindurch führt. Prinzip ist, die Scheitel der Kanäle 2,5—3 m unter
Straßenfläche zu legen, um das Grundwasser auf konstantem tiefen
Niveau zu halten und die Keller entwässern zu können. Die Regen
auslässe sollen erst in Thätigkeit treten, wenn zu dem maximalen
Trockcnabflußqnantum mindestens das dreifache an Regenwasser zu
getreten ist; in der Regel ist jedoch das Verdünnungsverhältnis
größer. Als Maß für die von den Kanälen abzuleitende Regenflut
sind angenommen: in den mit mehr oder weniger starken Gefällen
begabten Gebieten der Hochstadt 50—75 Liter, in der flachgclegenen
Tiefstadt 20—30 Liter pro Hektar und Sekunde, in zwischenliegenben
Gebieten entsprechende Uebergangswerte. Die Querschnitte der Kanäle
sind so berechnet, daß bei ganzer Füllung derselben jeder mindestens
so viel Wasser weiterbefördert, als ihm die rückwärts liegenden zu
bringen, so daß auch bei sehr starken Wolkenbrüchen in den Kanälen
kein Rückstau stattfindet, sondern nur eine Verzögerung im
Abflusse von den Straßenflächen, Höfen rc. sich einstellt, die in solchen
selten eintretenden Fällen ganz unbedenklich ist. Bis zu Lichtweiten
von 600 mm sind Steinzeugröhren angenommen, die von 400 mm
ab zur Sicherung gegen Beschädigung eine 120 mm starke Beton
umhüllung erhalten. Alle größeren Kanäle sind aus Beton mit einer
Küvette aus Steingut gedacht. Diesbezügliche Zeichnungen setzt der
Vortragende in Umlauf. Bei dem in Grundwasser zu verlegenden
Hauptkanal von rund 1,8 m Weite und 2800 m Länge wird zunächst
ein Drainrohr von 300 mm mittlerer Weite in Steinpackung gelegt;
die letztere bildet die Fundamentsohle des Betonkanales. Auf diese
in der Regel noch nasse Sohle, werden fertige Betonblöcke gelegt,
in welchen die Küvette ausgespart ist, so daß die eigentliche Kanal-
betonierung im Trockenen erfolgen kann. Ist sie hergestellt, so ver
legt man nachträglich die Küvette aus Steinzeug in ein Zement-
Mörtelbett. Steinzeugröhren und Steinzeug-Küoetten sind in Pforzheim
unentbehrlich, weil die Abgänge der Goldwarenfabriken teilweise Säuren
enthalten. Das ganze Kanalsystem bildet ein Netz, dessen Maschen
nur gradlinige Strecken zwischen Einsteigeschachten enthalten, um neben
der reichlich vorgesehenen Spülung auch leicht Reinigung von Hand
vornehmen zu können. An dem unteren hochwasserfreien Ende des
Hauptentivässerungskanals ist eine Reinigungsanlage gedacht, die aber
lediglich die Suspensionen des Wassers zurückhält, zu deren Fällung
keine Chemikalien, sondern nur Verlangsamung des Ablaufs und
grobe Kiesfilter verwendet werden. Dadurch bleibt das in die Enz
austretende Wasser unbeschwert und die Rückstände im Klärbecken
sind landwirtschaftlich brauchbar; die in dem geklärten Wasser ent
haltenen Bakterien hält der Vortragende für viel weniger schädlich,
als die das organisierte Leben im Flußwasser zerstörende, bei der