i Hamburger, Logik
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EINLEITUNG
Problem und Aufgabe einer Logik der Dichtung
In der folgenden Arbeit wird der Versuch gemacht, aus dem Gebiete der
allgemeinen Dichtungsästhetik eine Logik der Dichtung herauszusondern.
Dies Verfahren muß zunächst darum als ein solches kenntlich gemacht wer
den, weil j ede theoretische Erörterung der Dichtung, mit welchem ihrer vielen
Aspekte sie sich auch befaßt, zur Ästhetik der Dichtung rechnen kann. Denn
insofern Kunst Gegenstand der Ästhetik und nicht der Logik, Gebiet des
Gestaltens und nicht des Denkens ist, könnte die Rede von einer Logik der
Dichtung als überflüssig, ja geradezu als verwirrend erscheinen. Es ist aber
in der Sonderstellung der Dichtung im System der Kunst begründet, daß
dieser Unterschied dennoch gemacht werden kann, ja daß es eine Logik,
oder ein logisches System der Dichtung gibt. Gelingt es, dies aufzuweisen,
so zeigt sich damit zugleich auch, daß zwischen den logischen und den
ästhetischen Problemen der Dichtung eine zwar strukturell tief gelagerte,
dem oberflächlichen Blick verborgene Grenze verläuft. An dieser Grenze
kann es mit Hinblick auf die Erkenntnis und die Interpretation von Dich
tung verschiedenartig aussehen. Es kann sich, wie wir vielfach feststellen
werden, so verhalten, daß unter Umständen der Logiker der Dichtung, nach
dem er das seine getan, zurücktreten und die weitere Arbeit der Dichtungs
erhellung dem Ästhetiker überlassen muß. Aber auch dies kann eintreten,
daß der Ästhetiker die (verborgene) Logik der Dichtung nicht außer acht
lassen darf, will er zu adäquater, die Phänomene erfassender ästhetischer
Beurteilung kommen. Wann und in welcher Weise diese verschiedenen Mög
lichkeiten des interpretierenden Verhaltens eintreten, kann erst am Ende
unserer Untersuchung, oder doch während ihres Ganges, sich heraussteilen:
wenn die Grenze selbst sichtbar geworden, d. h. das spezifisch logische
System der Dichtung entwickelt worden ist.
Daß es ein solches gibt, ist, wie schon erwähnt, in der Sonderstellung der
Dichtung begründet, die sie von allen anderen Künsten unterscheidet. Sie
unterscheidet sich von diesen dadurch, daß sie mit einem Gestaltungsmaterial
arbeitet, das zugleich auch das Medium ist, in dem sich das spezifisch mensch
liche Leben überhaupt vollzieht: die Sprache. Bezeichnen wir die Dichtung
als sprachliche Kunst, so hat das, wie ja auch stets gespürt worden ist, einen