Die fiktionale oder mimetiscbe Gattung
einer Romanwelt und -handlung diese aufbaut. Als so und nicht anders er
zeugend gedeutete wird sie vom Leser empfangen und verstehend nacher
lebt. Die filmische Erzählung weist dagegen bloß auf, so sehr auch der Film
regisseur dem Bilde deutende Funktionen einlegen mag. Denn weil eine
solche Deutung nicht begrifflich verfestigt, sondern - wie die Dinge der
Naturwirklichkeit - der Wahrnehmung überantwortet ist, ist das Erlebnis
des Filmbildes ebenso wie das der Naturwirklichkeit jedem einzelnen Zu
schauer als sein individuelles Erlebnis überlassen.
Wir sind soweit, das Verhältnis des Films zu dramatischer und epischer
Dichtung exakt bestimmen zu können. Das bewegte Bild ist die Ursache
dafür, daß der Film sowohl episierte Dramatik wie aber auch dramatisierte
Epik ist. Der Faktor des Bewegtseins der filmischen Photographie macht
diese zu einer Erzählfunktion, die auch den Schauspieler weitgehend zu
einer epischen Figur macht. Der Faktor des Bildseins der Photographie be
schränkt die Menschengestaltung des Films dennoch auf die dramatische,
d. i. dialogische Form und beraubt dazu die Schilderung der dinglichen
Welt ihrer ursächlichen Struktur. Dramatik und Epik verschmelzen im Film
zur Sonderform der episierten Dramatik und dramatisierten Epik, beides in
einem - eine Verschmelzung, in der auf eigentümliche aber strukturell-er
kenntnistheoretisch exakt begründete Weise jeder der beiden Faktoren zu
gleich erweitert und begrenzt ist.
Auf die Darlegungen dieses Kapitels zurückblickend sei abschließend und
zusammenfassend nochmals die logische Struktur der literarischen Fiktion,
der fiktionalen Gattung, ins Auge gefaßt. Es liegt im System der Sprache
begründet, daß wir ihre Analyse mit der epischen Fiktion beginnen mußten,
wie auch, daß diese den Hauptanteil dieses Kapitels für sich in Anspruch
nahm. Sie ist nicht nur das logisch und sprachlich reichste Fiktionsgebilde,
sondern sie bietet auch als einziges die Möglichkeit, den Begriff der litera
rischen Fiktion exakt zu entwickeln. Nur im Vergleich der Funktionen und
Eigenschaften des fiktionalen Erzählens mit denen des historischen Erzäh
lens, oder der Wirklichkeitsaussage, des ‘epischen Ich’ mit dem echten Aus
sagesubjekt, konnte sich das Wesen des Nicht-Wirklichen oder des Fiktions
feldes, das nicht das Erlebnisfeld eines Erzählers, sondern das Produkt der
Erzählfunktion ist, herausstellen. Alle Fiktionsgebilde sind damit durch die
unüberschreitbare Grenze definiert, die das fiktionale Erzählen vom histo
rischen trennt. Denn wenn auch bei der dramatischen und der filmischen
Fiktion diese Grenze nicht mehr sichtbar ist, weil die Erzählfunktion durch
andere, dem Wahrnehmungsgebiete angehörige Funktionen ersetzt ist, so
ist sie als logisches Kriterium doch auch für diese Fiktionsgebilde noch be
stimmend und aufschließend. Das historische Aussagen diente also, wie das
in allen Einzeluntersuchungen zu Tage trat, als Katalysator zum Zwecke