Full text: Die Logik der Dichtung

Die filmische Fiktion 
¡41 
der Scheidung und Unterscheidung der teils sprachlichen, teils darstellenden 
Funktionen, die die Fiktionsgebilde erzeugen. 
Wir glaubten auf diesem Wege zeigen und beweisen zu können, daß die 
erzählte Fiktion aus dem gleichen dichterisch gestaltenden Antrieb hervor 
wächst wie die dramatische (wie es schon Aristoteles gesehen hat), der Epi 
ker primär nicht erzählt um des Erzählens willen, sondern um eine fiktive 
Menschenwelt zu erschaffen - und dies unbeschadet der Tatsache, daß die 
gestaltende Erzählfunktion sich scheinbar verselbständigen, sozusagen ihrer 
fiktionserzeugenden Aufgabe vergessen kann. Daß dennoch das Strukturge 
setzt der Fiktion sich rein bewahrt, und eben diese Verselbständigung als in 
den meisten Fällen humoristischen Schein enthüllt, wurde zu zeigen versucht. 
Und unter diesem Gesichtspunkt gehört auch die Filmfiktion in den lo 
gischen Bereich der literarischen Fiktion, wenn auch an einen der epischen 
und dramatischen nicht gleichberechtigten Platz. Auch sie ist als solche nicht 
bedingt durch das technische Mittel der bewegten Photographie, das die 
Erzählfunktion teilweise ersetzt, sondern gleichfalls durch den dichtenden 
Mimesistrieb. Und damit sei nunmehr vorweisend, aber zugleich das Fik 
tionskapitel abschließend, nochmals unsere einleitende Betrachtung über die 
Begriffsbildung Dichtung und Wirklichkeit berührt. Der Gesichtspunkt der 
Dichtungslogik, die das Thema dieses Buches ist, könnte es vergessen las 
sen, daß die mimetischen Werke mehr sind als durch die Denk- und Sprach- 
gesetze so und so strukturierte Gebilde, nämlich eben Dichtung, Kunst. 
Mimesis ist das ästhetische Gesetz, unter dem sie stehen, das sie hervortreibt. 
Mimesis heißt »Nachahmung« der Wirklichkeit, es ist das antike Wort für 
Fiktion, wenn es auf literarische Gebilde angewandt ist, und es wurde ge 
zeigt, daß schon Aristoteles eben diesen Sinn damit verbunden hat. Der Be 
griff der Nachahmung hat in den Theorien der Poetik einen allzu naturali 
stischen Anstrich bekommen. Verbinden wir mit ihm den Sinn der Fiktion, 
der Nicht-Wirklichkeit und des Scheins, erweitert er sich und offenbart, daß 
die Scheinwirklichkeit, die sich in den verschiedenen Arten der fiktionalen 
Gattung mit verschiedenen gestalterischen Mitteln aufbaut, eben darum 
weil sie Schein, Nicht-Wirklichkeit ist, die Seinsweise des Symbols hat. Die 
Wirklichkeit selbst ist nur, aber bedeutet nicht. Nur das Nicht-Wirkliche hat 
die Macht, das Wirkliche in Sinn, Bedeutung zu verwandeln. 
Das Symbolsein der Fiktion gehört als solches nicht in die logische Be 
trachtung der Dichtung. Aber wie es sich von dem Symbolcharakter der 
zweiten großen Gattung der Dichtung, der lyrischen, unterscheidet, schließt 
sich in bestimmterer Weise erst auf, wenn die logische Struktur der Dich 
tung nicht verdeckt bleibt. Erst nach Betrachtung der lyrischen oder exi 
stentiellen Gattung kann daher noch einiges auch über den Symbolcharakter 
der fiktionalen Gattung gesagt werden.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.