Einleitung
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Dieser logischen Struktur oder Gesetzmäßigkeit sind sich die schaffenden
Dichter selbst nicht bewußt, so wenig wie wir denkend und sprechend uns
der logischen Gesetze bewußt sind, denen wir folgen müssen, um uns ver
ständlich zu machen. Dem Interpreten der Dichtung aber geben diese Ge
setze, einmal aufgedeckt, Schlüssel zu manchen verborgenen Türen an die
Hand, hinter denen die Geheimnisse des dichterischen Schaffensprozesses
und damit der Dichtungsformen selbst verborgen sind. Wenn wir im Fol
genden nun die Dichtung als Kunst der Sprache zu analysieren versuchen,
so wird hier Sprache mit Bezug auf die Dichtung nicht im engeren ästheti
schen Sinne der ‘dichterischen’ Sprache, des ‘Wortkunstwerks’ verstanden,
sondern als dichtende Sprache, d.h. untersucht mit Hinsicht auf die logi
schen Funktionen, die sie lenken, wenn sie die Formen der Dichtung her
vorbringt.
Hierin aber ist - wie zur Vermeidung jeglichen Mißverständnisses beson
ders betont sei - enthalten, daß auch der Begriff Dichtung im ästhetisch
weitesten, d.h. positiven und negativen Sinne zu verstehen ist: die Sprache
ist dichtend auch dort, wo nur ein Zeitungsroman, ein Operettenlibretto,
ein Primanergedicht ihr Resultat ist. Denn die logischen Gesetze des dich
tenden Sprachvorganges sind unabhängig davon, ob bei den Formen, die er
hervorbringt, der Begriff der Dichtung als Kunst im ästhetischen Sinne er
füllt ist oder nicht. Die logischen Gesetze sind hier absolut, die ästhetischen
relativ, sie sind Gegenstand der Erkenntnis, nicht wie diese der Wertung.
Dies aber hindert nicht - wie schon angedeutet und sich vielfach in den fol
genden Untersuchungen bemerkbar machen wird -, daß die Erkenntnis der
logischen Strukturverhältnisse der ästhetischen Wertung oftmals dienlich
sein kann. Es tritt damit nur um so deutlicher heraus, daß der Ort der Dich
tung im System der Kunst bedingt ist durch ihren Ort im System der Sprache
und damit des Denkens.