Full text: Die Logik der Dichtung

Das System der Wirklichkeitsaussage und der Ort der Lyrik 
> Sturm und Drang < die Sesenheimer und die Liligedichte, die großen Hym 
nen, Gelegenheitsgedichte, Stammbuchverse, und wieder aus der ersten 
Weimarer Zeit und der Zeit der Klassik Natur- und Weltanschauungslyrik, 
Epigramme, Xenien, Elegien, Lehrgedichte neben Gelegenheitsgedichten 
auf Personen und Ereignisse aller Art. Ja, sehen wir nur eine so kleine Ein 
heit wie > Gelegenheitsgedichte aus dem Weimarer Kreis < an, so finden wir 
neben einem Hochgedicht wie > Ilmenau < die >Begrüßung des Herzogs Karl 
August in Verkleidung als Bauen. Zusammengefaßt ist es für unser, das lo 
gische Problem der Lyrik aufschlußreich, daß in derselben Gedichtsamm 
lung, in der >An den Mond< und etwa >Urworte, Orphisch< auch die Verse: 
Wenn dem Papa sein Pfeifchen schmeckt, 
Der Doktor Hofrat Grillen heckt 
und sie Karlinchen für Liebe verkauft, 
die Lotte herüber hinüber lauft 
stehen. Sei es immer, daß sie aus einem Briefe an Kestner von Januar 1773 
stammen, sie sind in die Goethesche Gedichtsammlung aufgenommen. Wo 
bei die weitere Beobachtung aufschlußreich ist, daß eine so unbefangene 
Auffassung dessen was in die »Gesammelten Werke« eines Lyrikers gehört, 
in den Werken moderner Lyriker nicht mehr anzutreffen ist - sei es, daß sie 
keine Gelegenheitsgedichte, Stammbuchverse, Tafellieder, Willkommens 
huldigungen mehr verfassen oder, wenn sie es tun, diese jedenfalls nicht in 
ihren Werken abdrucken. Dies ist aufschlußreich, weil es einerseits zeigt, 
daß sich offenbar das Bewußtsein von dem Kunstcharakter der Lyrik stärker 
durchgesetzt hat, anderseits aber eben diese ‘Reinheit’ lyrischer Sammlungen 
nur ein Gradunterschied zu einer solchen bunten Sammlung wie der Goe- 
theschen ist, die ja denn immerhin auch die eines Lyrikers ist. Und sie zeigt 
uns also auf die ungekünsteltste Weise, daß das lyrische Aussagegebiet prin 
zipiell nicht vom nicht-lyrischen unterschieden ist. Hiermit hängt es denn 
auch zusammen, daß wir, freilich pietätlos die ästhetische Form zerstörend, 
jedes lyrische Gedicht in eine Prosaaussage auflösen können und prinzipiell 
jeder Aussageinhalt in die Form eines Gedichtes gebracht werden kann (wie 
eben schon eine Sammlung wie die Goethesche und andere dieser Epoche 
zeigen). Dieses also sind die äußeren Anzeichen für die logische Struktur des 
lyrischen Gedichtes, die Tatsache, daß die Lyrik als Dichtungsgattung ihren 
Ort im allgemeinen Aussagesystem der Sprache hat. 
Welches aber sind die Kriterien, die die lyrische Dichtung zu Dichtung 
machen. Wie hebt sich die lyrische Aussage von der allgemeinen nichtlyri 
schen ab ? Ist hier Hegels Satz gültig, daß die Poesie und im besonderen die 
Lyrik (denn, wie schon erwähnt, bedeutete Poesie bei Hegel alle Dichtung) 
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ii Hamburger, Logik
	        

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