Die logischen Grundlagen
künstlerische Phantasie« 20 als Kriterium dieser Unterscheidung aufstellt.
Denn keineswegs ist sie die Instanz, die imstande wäre zu verhindern, daß
die Kunst sich aufzulösen beginnt und ihren Übergangspunkt in die Prosa
des ‘wissenschaftlichen’, d. i. theoretischen Denkens erhält. Es ist ja auch
unmittelbar ersichtlich, daß dieser unbestimmte psychologische Begriff un
brauchbar für die Feststellung der stringent logischen Verhältnisse ist, die
Hegel in dem angeführten wichtigen Satze anleuchtet, ohne sie freilich be
friedigend zu analysieren und aufzuklären. Er hat in seiner Ästhetik den an
gegebenen Wirklichkeitsbegriff nicht weiter entwickelt, an dem das System
der Dichtung zu orientieren ist und damit die bereits richtig konzipierte
‘Seinsweise’ der Dichtung als Teil des allgemeinen Vorstellungs- und Sprach
systems nicht zu Ende gedacht.
Aber schon sein Ansatz ist wichtig genug, um auf ihn auch sozusagen hin
ter dem Rücken moderner Dichtungstheorien zurückzugehen, die in dieser
Richtung weitergedacht haben und die Dichtung als Teil des allgemeinen
Sprachsystems behandeln. Dies gilt in erster Linie für Hegels neuzeitlichen
Jünger Benedetto Croce. Ohne etwa in diesem besonderen Punkte von
Hegel seinen Ausgang zu nehmen, hat dieser in seiner Ȁsthetik als Wissen
schaft vom Ausdruck und allgemeine Sprachwissenschaft« (deutsch 1930)
gewissermaßen durch ein Diktat die von Hegel gesehene Problematik be
seitigt. Jegliche Gefahr der Auflösung der Dichtung in die »Prosa des
wissenschaftlichen Denkens« beseitigt Croce durch die Zweiteilung, die er
im Bereiche der Erkenntnis und ihrer sprachlichen Manifestation überhaupt
vomimmt: die Teilung in eine ‘intuitive’ und eine ‘theoretische’ (logische)
Erkenntnis. Intuitive Erkenntnis ist die Erkenntnis individueller Einzel
dinge, logische Erkenntnis ist die Erkenntnis des Allgemeinen, wobei die
erstere sich in Bildern, die letztere in Begriffen vollzieht resp. solche hervor
bringt. Die intuitive Erkenntnis und die ihr zugeordnete Bildsprache, der
Ausdruck (Expression) ist dabei denkbar weit gefaßt. Jeder Satz, in dem
wir ein individuelles Ding oder Ereignis beschreiben, ist bereits eine Intui
tion und damit eine Expression. Eine Intuition liegt etwa vor, wenn wir
»dieses Glas Wasser« sagen, während die Aussage »das Wasser« ein allge
meiner Begriff ist. Croce eliminiert also die Begrifflichkeit des Sinnes einer
Aussage, sobald diese sich auf ein individuelles Phänomen bezieht und nicht
aui einen Begriff (unter den individuelle Phänomene fallen). Von diesem
Ausgangspunkt (dessen Problematik an sich hier nicht zur Rede steht) ist
es begreiflich, daß Croce alle Aussagen der Dichtung als Intuitionen oder
Expressionen bezeichnen muß. Denn Dichtung beschreibt nicht allgemeine
Begriffe, d.h. sie ist nicht theoretische Erkenntnis, sondern sie beschreibt
20. ebd. III, 228 : „Wir können diesen Unterschied allgemein so fassen, daß es nicht die Vorstellung
als solche, sondern die künstlerische Phantasie sei, welche einen Inhalt poetisch mache.“
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