18
Die logischen Grundlagen
und unheimlich zusammenzurücken ... In der Mitte der sich dehnenden Paßhöhe stan
den rechts und links vom Saumpfade zwei abgebrochene Säulen, die der Zeit schon länger
als ein Jahrtausend trotzen mochten.
Diese drei Beispiele - aus der Fülle unendlich vieler - sind unter zwei
Gesichtspunkten ausgewählt: i. alle drei schildern ein Stück gegenständ
liche Wirklichkeit, eine Landschaft; 2. keines von ihnen hat die Form einer
Ich-Aussage. Diese Auswahl wurde aus didaktischen Gründen getroffen:
je einfacher die Struktur der Beispiele, desto deutlicher tritt das an ihnen zu
demonstrierende Problem hervor. Die Einfachheit dieser Beispiele bedeutet
aber nicht, daß sie mit Hinsicht auf dieses Problem einen Sonderfall dar
stellen. Wir werden sehen, daß siefür alle denkbaren Fälle paradigmatisch sind.
Von diesen Beispielen nun weist sich nur das erste unmittelbar über den
Ort im System der Sprache, oder wie wir noch sehr allgemein sagen wollen:
der sprachlichen Kundgabe, aus, an dem es beheimatet ist. Es weist sich
durch seine metrische und gereimte Form als lyrisches Gedicht, also als zum
System der Dichtung gehörig, aus: nämlich als die 2. Strophe von Eichen
dorffs >Mondnacht<. Wenn wir uns nun aber für unsern besonderen Zweck
erlauben, ein wenig pietätlos mit der Gedichtstrophe zu verfahren und durch
Umstellung einiger Wörter die metrische und gereimte Form aufzulösen,
etwa: die Luft ging durch die Felder, sacht wogten die Ähren, die Wälder
rauschten leis, die Nacht war so sternklar - so wird daraus eine schöne Prosa
stelle von ähnlicher Art wie die beiden anderen Texte. Und die Verfasser
dieser Texte wiederum hätten, wenn sie es gewollt, sie unschwer zu Gedich
ten umformen können. Aber so, wie diese Texte nun beschaffen sind und
ihren Platz im Schrifttum einnehmen, gehören sie streng voneinander unter
schiedenen Gebieten des Schrifttums, und damit des Sprachsystems, an. Ja,
es läuft zwischen ihnen sogar die Grenze hindurch, die Dichtung von Wirk
lichkeit scheidet - um dies vorläufig noch auf traditionelle Weise auszu
drücken.
Der erste Text in seiner Originalform gehört also der Lyrik an, der
zweite ist eine Briefstelle: aus einem Briefe Rilkes an Lou Andreas-Salome
vom 4. Dezember 1904 aus Charlottenlund bei Kopenhagen, der eine Schlit
tenfahrt in Schweden schildert. Der dritte Text ist der - hier etwas gekürzte-
Anfang von C. F. Meyers Roman >Jürg Jenatschn
Wenn wir nun, wie es für unsere dichtungslogischen Zwecke gestattet
ist, von der äußeren Form der Gedichtstrophe, Metrum und Reim, absehen,
so zeigt sich, daß alle drei Texte von gleicher logischer Struktur sind oder,
wie wir schon hier einschränkend sagen wollen, zu sein scheinen. Doch be
trachten wir sie so, wie wir sie hier nebeneinander gestellt haben, so weisen
sie alle drei die Form von Urteilen oder Aussagen auf. Obwohl die Begriffe
Urteil und Aussage nicht völlig bedeutungsidentisch sind, können wir den