Full text: Die Logik der Dichtung

Die epische Fiktion 
41 
Lautmaterie des Verlautbarten, sondern auf seinen Sinn. Es ist semantisch 
betrachtet darum ebenso ein Verb des inneren Vorgangs wie denken, hoffen 
usw., und ich bediene mich seiner in indirekter Wiedergabe genau wie dieser 
Verben. Ja, in diese ist dann geradezu eingeschlossen, daß das Gedachte, 
Gehoffte auch gesagt, geäußert ist, wenn ich von einer Person berichte, daß 
sie dies und das gedacht, gehofft, geglaubt habe. Aus diesem Grunde rückt 
daher auch das Verb sagen in der Fiktion in eine Ebene mit den Verben der 
inneren Vorgänge, und als das am häufigsten vorkommende vermittelt es, 
dazu im Zusammenhang mit der direkten Rede, die es einleitet, den sich am 
stärksten aufdrängenden Eindruck der Fiktion. Er sagte, sie sagte, bedeutet 
in der epischen Fiktion nicht, daß jemand, »der Erzähler« in indirekter 
Form wiedergibt was er oder sie »gesagt hat«, sondern läßt die Gestalt als 
eine sagende, ebenso wie durch die anderen Verben der inneren Vorgänge 
als denkende, glaubende, hoffende erlebbar werden. Es hat daher seine Be 
deutung, wenn sich in unserem Hochwald-Beispiel das fiktionale Präteritum 
zuerst an das Verb sagen knüpft und durch es das paradox anmutende Ver 
hältnis herstellt, daß das Präteritum den Eindruck der‘Vergegenwärtigung’ 
erzeugt. Ehe wir dieser, in noch tieferen Schichten als den bisher aüfgedeck- 
ten wurzelnden Bedeutung nachgehen, müssen wir das Verhalten des fik- 
tionalen Präteritums noch weiter untersuchen. 
Die Verben der inneren Vorgänge, und nicht zuletzt das Verb »sagen«, 
die also das entscheidende Indizium für das Verschwinden der präteritiven 
Bedeutung des Präteritums sind, deuten nun auch schon auf das Phänomen 
der erzählenden Dichtung hin, das vielleicht erstmalig überhaupt die Sprach- 
und Literaturtheorie ein Problem in dem vermeintlichen Vergangensein 
(oder Als-vergangen-gedacht-Sein) der epischen Handlung spüren ließ : die 
sogenannte ‘Erlebte Rede’. Gerade die Imperfektform dieser Wiedergabe 
des unformulierten Bewußtseinsstroms in der dritten Person ist ihr ein Pro 
blem gewesen 10 . Seine Auflösung gelang darum nicht, weil der Unterschied 
zwischen Wirklichkeitsaussage und fiktionalem Erzählen und die darin ge 
gründete Bedeutungsveränderung des Präteritums nicht bemerkt worden 
war. Die erlebte Rede ist aber die äußerste Konsequenz der Verben der 
inneren Vorgänge. Noch deutlicher als diese klärt sie darüber auf, daß in 
der Fiktion eine reale Ich-Origo durch fiktive Ich-Origines ersetzt ist und 
die Imperfektform von Wendungen wie »Wie herrlich war dieser blaue 
Himmel« oder »Sollte er sich so geirrt haben« wiederum nichts anderes als 
eben ihr fiktives Jetzt und Hier meint. 
Die erlebte Rede, die, wenn auch heute in jedem Zeitungsroman ange 
wandt, auf dem Wege der Romanentwicklung das kunstvollste Mittel der 
io. vgl. neuerdings einläßlich dazu GStorz: ‘Über den‘Monologue intérieur’ oder die‘Erlebte 
Rede’. D. Deutschunterricht ’55 H. 1,45 ff
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.