Die epische Fiktion
entsprechen mathematisch bzw. physikalisch genau den begrifflichen Raum
angaben hinter, vor oben, unten, rechts, links usw., die das Hier der Origo
zur Raumkoordinate (bis in die Unendlichkeit des Universums) erweitern.
Es sind nun gerade die deiktischen Adverbien, und zwar sowohl die Zeit-
wie die Raumadverbien, besonders geeignete Kriterien, die Beschaffenheit
der Fiktionsstruktur, den logischen Charakter ihrer Nicht-Wirklichkeit zu
beleuchten. Und sie sind es um ihres deiktischen Charakters willen; denn es
ist dieser, der sich seiner Natur gemäß nicht wahrhaft in der Fiktion durch
setzen, nicht wie aller andere Wirklichkeitsstoff in echten Schein verwan
delt werden kann. Dies läßt sich nun primär besser an den Raum- als an den
Zeitadverbialen zeigen, denn ein ‘Zeigen’ im Raume ist ein echtes Zeigen,
ein Zeigen in der Zeit nur ein übertragenes.
Es hängt nun hiermit zusammen, daß die Raumadverbien stärker als die
der Zeit benützt wurden, das Problem des anschaulichen Vorstellens dar
zulegen, das ja zweifellos ein zentrales Problem der erzählenden Dichtung
ist. So verfährt K. Bühler in seiner >Sprachtheorie< (1930). Aber weil auch
er, wie alle anderen Sprachtheoretiker, nicht zwischen wirklichen und fik-
tionalen Darstellungsverhältnissen unterschieden hat, wurde seine Theorie
in Bezug auf die letzteren falsch. Dies fällt nun auf den ersten Blick darum
nicht auf, weil die Raumdeiktika sich in sprachlich-grammadscher Hinsicht
nicht so kompliziert verhalten wie die Zeitdeiktika. Sie sind nicht wie diese
in ihrer Anwendung durch die Tempora gelenkt. Und es fehlt deshalb das
so beweiskräfdge Indizium für die fiktionalen Verhältnisse: die nur dort
mögliche Verbindung der Zeitdeiküka mit dem Präteritum. Wörter wie
hier, dort, links, rechts, Westen, Osten usw. sind in grammaüscher Hinsicht
sozusagen frei; es gibt keinen syntaktischen oder verbalen Kontext, in dem
sie nicht stehen könnten. Keine Verbindung von der Art »morgen war
Weihnachten« macht auf ein besonderes Verhalten der räumlichen Bestim
mungen aufmerksam und gibt Ansatzpunkte für einen Beweis. Der Satz
»Rechts stand (steht) ein Schrank« ist grammatisch in jedem Kontext rich
tig, im Baedeker so gut wie im Roman. Eben dieser Umstand hat Bühler
dazu verführt, eine gewissermaßen allgemeingültige ‘Versetzungstheorie’
aufzustellen, um zu demonstrieren, wie das anschauliche Vorstellen, oder,
was dasselbe ist, Erzählen, die ‘Deixis am Phantasma’ vor sich geht. Diese
Verhältnisse werden an dem Verhalten der Ich-Origo des Sprechenden (und
Empfangenden) gezeigt, welchen Begriff wir, wie oben erwähnt, Bühlers
Sprachtheorie entnommen haben. Die Adverbien ‘hier’ und ‘dort’ werden
dadurch gekennzeichnet, daß das ‘hier’ (und jetzt) eine »Versetzung Moham
meds zum Berge«, d. i. eine Versetzung der Ich-Origo an den geschilderten
Ort ausdrückt, das ‘dort’ dagegen ein Verharren Mohammeds an seinem
Orte. Diese Versetzungstheorie demonstriert Bühler an dem Beispiel eines