6o
2. Wie im letzten Dezennium die K. Zentralstelle durch Schöpfung und
Erwerbung neuer Schulmodelle zur Hebung des Zeichenunterrichts thätig
gewesen ist, so hat sie auch den Bedürfnissen der verschiedenen Gebiete
des Kunsthandwerks in ihrer Sammlung der Gipsabgüsse nachzukommen
sich bemüht. In dieser Richtung galt es vor allem, eine auf alle Einzel
gebiete sich möglichst ausdehnende Ergänzung anzubahnen.
Zur Durchführung solch grosser Aufgaben konnten jedoch die zur
Verfügung stehenden mässigen Etatsmittel*) nicht ausreichen. Es blieb dem
Präsidenten der K. Zentralstelle zur Erreichung des Zwecks, die Sammlung
nach all den angegebenen Richtungen auszubilden, nichts anderes übrig, als
mittelst allmählicher Ersparnisse von Zeit zu Zeit grössere Beträge für den
fraglichen Zweck zu gewinnen. Hiedurch war es möglich, in Berlin, Paris,
Wien, Genf, Dresden, München, Düsseldorf, Bremen, Hannover, Köln, Ulm,
Stuttgart und anderen Orten grössere Einkäufe zu machen, die sich auf das
Gebiet der architektonischen Dekoration, ganz besonders aber auf
das der Kleinkunst erstreckten. Von der ersteren Gruppe erwähnen
wir beispielsweise griechische und römische Kapitale, Akroterien, an mittel
alterlichen Erwerbungen eine reiche Kollektion von Kapitalen, Konsolen,
Friesen, Rosetten u. dergl. aus der im Uebergangsstil erbauten Pfarrkirche
in Gelnhausen, sowie aus der frühgotischen Marienkirche zu Reutlingen
und der Heiligkreuzkirche zu Schwäb. Gmünd hervor; ferner Repräsentanten
von dekorativen Skulpturen französischer Kathedralen, sowie solche vom
Kölner Dom, dem Stephansdom und der Votivkirche zu Wien, von der
Stiftskirche in Stuttgart, von der Liebfrauenkirche zu Esslingen, der Kloster
kirche in Blaubeuren, der Stadtkirche zu Schorndorf u. a. m. Auch die
italienischen, französischen und deutschen Renaissance-Abteilungen wurden
durch ornamentalen Schmuck verschiedenster Art bereichert, wovon einige
nach den Aufnahmen des j- Architekten Karl Beisbarth polychrom be
handelte Büsten und Konsolen des ehemaligen Lusthauses in Stuttgart
hervorzuheben sind, deren Originale sich auf dem Schlosse Lichtenstein be
finden; ferner Teile eines interessanten Kanzelpfostens von der Kirche zu
Plochingen, zwei Karyatiden und dekorative Engelbrustbilder von der Stadt
kirche zu Freudenstadt, Architekturstücke vom Schloss in Merseburg, wie
auch eine grosse Kollektion Abgüsse von der reich geschnitzten Holzdecke
im Schlosse zu Jever und von interessanten Schnitzwerken an einem Hause
in Delft. Auch die Gebiete des Barock-, Rokoko-, Zopf- und Empire-Stils
wurden durch viele Abgüsse nach alten Holz- und Stuckskulpturen ergänzt,
darunter eine frühere Rokoko-Decke vom Schlosse in Tettnang. — Endlich
wurde der ebenfalls im Programm der Sammlung stehenden modernen Ab
teilung eine vielfache Bereicherung zugeführt, z. B. durch zwei interessante
Hermen vom j- Gedon in München und eine Anzahl meisterhaft modellierter
Ornamente des J- Bildhauers Rösch in Stuttgart.
*) In Kapitel 38 Titel 9 des Hauptfinanzetats 1895/97 sind für die Sammlung der Gipsabgüsse
jährlich nur 800 M. vorgesehen.