BATUZEOUN
WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN ELr
SASS - LOTHRINGEN*
STUTTGART, 12. MAI I90G
NUMMER 19
Inhalt: Wagner-Sohule 1902/03 und 1903/04. — lieber die Gartenstadtbewegung. — Die Baugewerbliche
Ausstellung im Landesgewerbemuseum Stuttgart. — Mitgliederversammlung des Württembergiscben Bau-
beamten-Yereins. — Projekt zu einem Schulhaus in Alttann. — Jagdschloß Hermsberg. — Vereinsmit
teilungen. — Bauteohnisohe Rundschau. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. —Personalien. — Bücher.
^(TCrn-
Alle Rechte Vorbehalten
Wagner-Schule 1902/03 und 1903/04
Die in dem Verlag der Baumgärtnerschen Buch
handlung in Leipzig erschienenen Projekte, Studien und
Skizzen aus der Spezialschule für Architektur des Ober
baurats Otto Wagner in Wien (siehe unter Bücher) sind
in den Arbeitsjahren 1902/03 und 1903/04 entstanden.
Sie geben ein getreues Bild dessen, was in diesem Zeit
räume von der Wagner-Schule geleistet worden ist. Es
ist jedoch nicht die Absicht der Veröffentlichung, ledig
lich die Nebeneinanderstellung fertiger Leistungen zu
geben. Es soll weniger als das, es soll mehr gegeben
werden. Weniger; denn es sind Schulprojekte, die wir
der Oeffentlichkeit vorlegen, und es ist damit gesagt, daß
sie keine fertigen Leistungen sind, sondern unreif, un
vollendet; sie sind Bestrebungen, sind ein Bemühen,
nicht ein sicheres Können, sondern ein eifriges Suchen,
ein hoffnungsfreudiges Streben, ein ernstes, beharrliches
Wollen. Der Schwerpunkt und der ideelle Wert solcher
Leistungen liegt nicht in der vollzogenen Ueberwindung
der Schwierigkeiten, nicht in dem errungenen Fortschritt
gegenüber dem vorangegangenen Stadium, sondern in
dem Ausblick und der Anbahnung des weiteren Fort
schritts, in der Uebung und Stählung zu neuem Schaffen,
zu neuem Bingen. Aber darin liegt zugleich ein Mehr
gegenüber einer Publikation, die fertige Leistungen vor
setzt. /Nicht zu einer wohlbesetzten Tafel können wir
einladen, wir bieten nicht ein Hilfsbuch, aus dem der
Praktiker sich das Nützliche fertig herausnehmen und
verwenden mag: das können und das wollen wir auch
gar nicht geben; — sondern mehr als das: Flugblätter
sollen es sein, die wir in die Welt hinausschicken, ein
Aufruf, eine Propaganda für den Gedanken der modernen
Kunst, die ja nicht eine abgeschlossene, in sich beruhende
und rückblickende, sondern eine sich entwickelnde, vor
wärtsblickende und -schreitende, stets werdende Kunst ist.
Von diesem modernen Geist des steten Fortschrittes
sind die Arbeiten in der W agner-Schule geleitet.DieSchaffens-
kraft der Schule hat ihre Basis in der Erkenntnis, daß der
einzige Ausgangspunkt alles künstlerischen Strebens das
moderne, immer wieder sich erneuernde Leben sein soll;
diesem entsprießt die Aufgabe, welche die Kunst durch
die Künstler zu lösen hat. Zweck der Wagner-Schule ist es,
sich im Schauen, Wahrnehmen, Erkennen der mensch
lichen Bedürfnisse zu üben und die so gefundene Auf
gabe künstlerisch zu lösen. Diesen Prinzipien gemäß
beschäftigt sich die Schule mit praktischen Projekten,
an deren künstlerischer Durchbildung sie arbeitet. Doch
liegt es nicht in ihrer Absicht, durch diese Studien etwa
einen Typus zu schaffen, auf diesem Wege einen
„modernen Stil“ zu suchen; die sprossende Kraft der
Schule wurzelt vielmehr in der Individualität jedes
einzelnen; völlig künstlerische Freiheit ist die
Losung der Wagner-Schrde und — die einzige Herrin
der Kunst ist die Notwendigkeit. In dieser
Richtung wirkt das Streben der Schule, nicht aber dahin,
Bestehendes, für uns Moderne Unpassendes zu kopieren,
sich in alten Kunstformen zu üben und diese mit ge
ringen Aenderungen als neu aufzutischen. Nicht etwas
für ewige Zeiten Bleibendes ist in der Kunst zu schaffen,
nicht ein Typus, ein Vorbild, ein Muster, eine Schablone,
mit deren Hilfe man Kunstwerke fabrizieren kann; der