20. Mai 1906
BAUZEITUNG
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Zement hat die Eigenschaft, immer kleiner
zu werden, so daß in den Stoß- und Lager
fugen Risse entstehen. Das ist im Innern
der Gebäude von geringer Bedeutung, da
die Innenmauern den Witterungseinflüssen
fast ganz entzogen sind. Bedenklicher wird
die Sache schon an den Fronten der Ge
bäude, geradezu verhängnisvoll aber bei
völlig freistehenden Bauteilen, wie z. B. bei
Schornsteinen, Türmen, Gartenmauern u. s. w.
Das Reißen der Schornsteine wird allen mög
lichen Ursachen zugeschrieben, sogar die
Sonne soll schuld haben; in Wahrheit ist es
aber der Zement. Sobald die Fugen einige
Risse erhalten haben, dringt das Wasser in
dieselben ein; es bilden sich im Winter kleine
Eiskristalle, welche bekanntlich ein größeres
Volumen als das Wasser annehmen, infolge
dessen die Fugen erweitern, den Mörtel
heraussprengen u. s. w. So schreitet natur
gemäß die Zerstörung des Schornsteins
immer weiter fort, und auch die Ver
wendung von Eisenringen vermag diese
schädliche Wirkung des Zements nicht
ganz zu beseitigen. Viele Ingenieure,
die mit der Ausführung von Pabrikschornsteinen betraut
werden, scheinen diese schädliche Wirkung des Zements
überhaupt nicht zu kennen, während Architekten, die mit
ihren Backsteinfronten unangenehme Erfahrungen ge
macht haben, heute schon bedeutend vorsichtiger geworden
sind. Erfahrene Architekten lassen heute Verblendstein
fronten sicher nicht mehr mit Zementmörtel fugen. Ge
wöhnliche Kalkfugen bleiben unverändert, während die
Zementfugen die erwähnten Ausblühungen hervorrufen,
welche die ganze Front entstellen.
Im übrigen bedarf es gar nicht einmal der Mitwirkung
des Wassers, um einen in Zementmörtel gemauerten
Schornstein zu zerstören. Der Zement ist sehr hart,
starr und spröde, und wenn er erst zu reißen beginnt,
dann lockert sich auch der Verband. Wenn dann solch
ein Schornstein oder ein Turm zu schwanken beginnt,
bricht alles unten kurz und klein. Hasak sagt, daß er
aus diesen Gründen Dampfschornsteine und Türme nie
mals in Zement, sondern in Weißkalkmörtel ausführe,
Projekt zu einem Schulgebäude von Architekt Gebhardt-Stuttgart
und daß sich der gewöhnliche Rüdersdorfer Kalk als
ganz vorzüglich bewährt habe. Allerdings müsse man
dann den Schornstein um einen halben Stein stärker
machen, aber dann reißt er auch nicht und hält viel besser
warm.
Im Laufe der Verhandlungen betonte nun ein andrer
Sachverständiger, daß er die gleiche Erfahrung gemacht
habe; das preußische Ministerium schreibe aber ausdrück
lich eine Mörtelmischung von einem Teil Zement, zwei
Teilen Kalk und sechs bis acht Teilen Sand vor. Nun
hat natürlich das Ministerium die Verwendung von
Zement vorgeschrieben, weil die Fabrikanten und Bau
meister bestrebt waren, aus Sparsamkeitsrücksichten die
Schornsteinwände möglichst dünn zu machen. Aber man
sollte doch nun endlich einsehen, daß dies ein grober
Fehler ist; man sollte nicht die Verwendung von Zement
für Schornsteinbauten vorschreiben, sondern vielmehr diese
verkehrte Anwendung des Materials verbieten. Ander
seits ist ja die Möglichkeit gegeben, Schornsteine aus