13. JANUAR 1906
BAUZEITUNG
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lang durch die beiden Bauschauabteilungen von dem ge
meinsamen technischen Bauschauvorstand in der wöchent
lich einmal stattfindenden Sitzung der Baupolizeiabteilung
des Gemeinderats vorgetragen.
Die Zahl der wöchentlich anfallenden Baugesuche über
steigt oft das halbe Hundert; es erscheint selbstverständ
lich, daß hei der kurz bemessenen Zeit (gewöhnlich
2—3 Stunden), welche in der gemeinderätlichen Sitzung
auf die Baugesuche verwendet wird, der Vortrag in vielen
Fällen nur einen formellen Charakter trägt.
Die Baupolizeiabteilung des Gemein derats setzt sich aus
Gemeinderatsmitgliedern zusammen, welche ebensowohl
Bauverständige als auch Laien sein können. Die Laien
können je nach der Zusammensetzung des Gemeinderats
sogar in überwiegender Mehrzahl vorhanden sein. Da
aber die Entscheidung über ein Baugesuch in den meisten
Fällen nur nach eingehendem Studium der Pläne erfolgen
kann, so ist zu bezweifeln, ob es bei einem so kurz be
messenen Vortrag möglich ist, daß sich die Gemeinderats
mitglieder ein sicheres Urteil, welches ausschlaggebend
sein soll, bilden können.
In den meisten Fällen dürfte es genügen, wenn das von
den Bauschaumitgliedern Unterzeichnete Gutachten den
Gemeinderatsmitgliedern zur Kenntnisnahme vorgelegt
würde. Welchem Zweck es dienen soll, ein besonders
ausführliches Protokoll über ein Baugesuch aufzustellen,
wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen Bauschau und
Gemeinderat nicht bestehen, ist nicht verständlich. Das
Protokoll kann doch dann auch nichts andres enthalten,
als was schon im Bauschaugutachten aufgenommen ist.
Gerade in dieser Behandlung dürfte ein Punkt der Ver
zögerung der Baugesuche zu erblicken sein. Die Ab
fassung der Protokolle nach der Gemeinderatssitzung
durch die Verwaltungsbeamten erfordern einen großen
Aufwand an Zeit und Geld, und anderseits fördern diese
Protokolle in den meisten Fällen nichts andres zutage als
das Bauschaugutachten.
Baueingaben, über welche der Gemeinderat nach den
gesetzlichen Bestimmungen die Erkenntnis nicht hat
(Neubauten an öffentlichen Straßen und Plätzen), werden
mit dem Gutachten der Bauschau, den Protokollauszügen
und den sonstigen bei der Gemeindebehörde anfallenden
Akten durch Vermittlung der Stadtdirektion an das
Kgl. Ministerium des Innern weitergegeben. Die Mini-
sterialabteilung für das Hochbauwesen unterzieht die
Baueingahen einer weiteren gründlichen Prüfung und
gibt dieselben bei etwaigen Anständen durch Vermitt
lung der Gemeindebehörde an den Gesuchsteller zur Er
ledigung zurück. Die Zeitdauer, welche zur Genehmigung
eines Baugesuches durch das Ministerium erforderlich
ist, ist sehr verschieden. Es können Monate vergehen,
bis die endgültige Genehmigung über ein Bauprojekt aus
gesprochen wird. Aus diesem Grunde wird vom Mini
sterium häufig auf Ansuchen provisorische Bauerlaubnis
bis Terrainhöhe, Sockelebene, Stockhöhe u. s. w. erteilt.
Aus dieser kurzen Beschreibung dürfte hervorgehen, daß
die Hauptursache hei der Verzögerung der Baugesuche
in Stuttgart in dem umständlichen und weitläufigen Ver
waltungsapparat liegt. Die Gemeindeverwaltung kann
einen Teil dazu beitragen, diesen Apparat zu vereinfachen.
Die Entgegennahme und Vorprüfung der Baueingaben,
die Beratung der Nachbarn hei Einsichtnahme der Bau
pläne sollten im Interesse einer raschen und sachgemäßen
Erledigung einem erfahrenen technischen Beamten über
tragen werden. Einem technischen Beamten ist es leicht,
sich diejenigen Verwaltungskenntnisse anzueignen, welche
zur Behandlung von Baugesuchen nötig sind, dagegen ist
es einem Verwaltungsbeamten unmöglich, sich die er
forderlichen technischen Kenntnisse zu verschaffen. Dabei
soll nicht gesagt werden, daß die Verwaltungsbeamten
bei der Baupolizeibehörde überflüssig wären — es sollen
ihnen nur diejenigen Funktionen zugewiesen werden,
denen sie tatsächlich gewachsen sind. Es ist ein Unding,
wenn Verwaltungsbeamte Baugesuche wegen technischer
Mängel in der Konstruktion, wegen Pehlens von Maßen
in den Plänen und Fehlens von statischen Berechnungen
zurückgeben. Dadurch ist für die Beschleunigung nicht
nur nichts gewonnen, sondern die Behandlung der Bau
gesuche wird geradezu verzögert. Einem Verwaltungs
beamten wird es niemals möglich sein, und wenn er
noch so lange im Baupolizeidienst tätig war, ein Bau
gesuch in technischer Hinsicht erschöpfend und einwand
frei prüfen zu können. Es wird manches verlangt, was
für die Behandlung nicht dringend nötig ist, während
ein großer Teil von technischen Mängeln überhaupt nicht
gefunden wird und der Gesuchsteller auf solche erst bei
Prüfung durch den technischen Beamten aufmerksam
gemacht werden kann.
Bei dieser Behandlungsweise ist es in Stuttgart fast zur
Hegel geworden, daß ein Baugesuch von derselben Be
hörde verschiedene Male je mit einem Teil Ausstellungen
zurückgegeben wird, bis es endlich in endgültige Behand
lung genommen wird.
Bei Entgegennahme der Baugesuche durch einen tech
nischen Beamten könnten dieselben sofort einer gründ
lichen Vorprüfung unterzogen werden; dadurch würde
eine wesentlich gleichmäßigere Behandlung erzielt. Es
könnte von Anfang an auf die dem Baugesuch anhaften
den Mängel hingewiesen werden, ohne daß das Baugesuch
schon wochenlang in Behandlung stände. Der Gesuch
steller könnte die Gelegenheit wahrnehmen, das Baugesuch
sofort zu ergänzen, und würde damit die Aussicht auf
baldige Genehmigung gewinnen.
Auch im Gemeindeinteresse müßte einer solchen gründ
lichen Vorprüfung durch einen technischen Beamten das
Wort geredet werden. Ein Baugesuch, welches unpünkt
lich ausgearbeitet ist, aber doch nicht abgewiesen werden
kann, erfordert doppelt so großen Zeitaufwand wie ein
von einem pünktlichen erfahrenen Architekten aus
gearbeitetes Baugesuch. Warum soll aber die Gemeinde
die Kosten einer solchen erschwerten Prüfung tragen?
Mittelbau des Kursaals in Cannstatt. Aus Nr. 34, Jahrg. II]