28. Juli 1906
BAUZEITUNG
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Leider wird die Zeit auch, dieses freund
liche Eckhaus hinwegräumen, möchte dann
eine ähnliche schöne Lösung an seine Stelle
treten! An diesem Beispiele ist noch deut
lich zu sehen, wie man mit aufdringlichen
Plakaten die Schönheit einer Fassade be
einträchtigen kann. Die rote Farbe der
selben auf dem hellen Putzanstrich kann
die Photographie leider nicht wiedergeben.
Von dem zierlichen ehemaligen Portal fügen
wir eine Abbildung bei. Ein sehr reiz
volles ähnliches Beispiel ist ganz in der
Nähe, Gartenstraße 29, zu finden.
Ruhe und Vornehmheit steht auf letz
terer Fassade geschrieben, deren fast ein
zigen Schmuck das feingegliederte Portal mit
den einfachen, aber geschmackvollen Fenster
gittern bildet. Man vergleiche damit unsre
neuen, anspruchsvollen Hausfronten, hinter
denen oft nichts ist, das auf solch über
ladenes Aeußere Anspruch erheben kann.
Möchten beide Häuser bei einer etwaigen
äußeren Renovierung einem Meister in die
Hände kommen, der ihre Art zu würdigen
versteht. Bei entsprechender Reinigung und Farbgebung
würden die Stuttgarter Bürger staunen, was aus den
„alten Bauten“ ohne vorgetäuschte Verzierungen, Erker
und Giebel zu machen ist. Das weitere Beispiel, ein
schlichtes, kleines Haus, ist schon ganz von Riesenbauten
umschlossen. Aber doch atmet in seinen Formen ein
zufriedener, bescheidener Geist. Mit welch einfachen
Mitteln wurde das Aeußere belebt! Ein freier Treppen
aufgang und ein gebrochenes Dach mit einfachen Fenstern
sind der ganze Schmuck. Es würde um das Bild mancher
kleineren Stadt besser stehen, wenn dortige Baumeister
von diesen Motiven lernen wollten, anstatt Großstadt
paläste mit unverstandener Ornamentverwendung zum
Verdruß von Generationen in die Welt zu setzen. Kl.
Schutz des Städtehildes
Im Juniheft der „Mitteilungen des Bundes ,Heiniat
sch utz“‘ finden wir folgende Betrachtung, die auch für
unsre Verhältnisse manchen beachtenswerten Wink
enthält:
Gegen die Verunstaltungen der Straßen und Plätze
in geschlossenen Ortschaften gerichtet ist ein Gesetz
entwurf, der dem preußischen Herrenhause zugegangen
und dem Vernehmen nach unmittelbar von
dem Kaiser angeregt worden ist. In der
Sitzung vom 28. Mai ist der Entwurf von
dem Hause mit einer gleichzeitigen Reso
lution auf baldige Vorlage eines Denkmal
gesetzes angenommen, bei der endgültigen
Lesung am 30. Mai allerdings wieder von
der Tagesordnung abgesetzt worden. Trotz
dem unterliegt es nach den rednerischen
Kundgebungen in den Sitzungen keinem
Zweifel, daß das Gesetz zur Durchführung
gelangen wird. Damit würde der Vernich
tungskrieg, der seit Jahrzehnten gegen unsre
Straßen- und Stadtbilder geführt wird, zum
Stillstand gebracht werden können, wenn
die örtlichen Bestimmungen des Gesetzes
sachgemäß zur Durchführung gelangten.
Ganz sicher dürfen wir indessen nicht sein,
da viele Gemeindeverwaltungen, die zu der
Aufstellung eines Ortsstatutes berufen sein
sollen, es schon so einrichten werden, daß
demselben die allzu scharfen Zähne aus
gebrochen werden. Sind doch gerade Zer
störungen des Stadtbildes in letzter Zeit
Portal obigen Hauses
. -.'fa'-SW.
Wohnhaus in Stuttgart, Gartenstraße 29
häufig von diesen Hütern der Stadt ausgegangen oder
geplant worden (Kuhtor in Danzig, Turnschanze in
Solothurn u. a.). Möglicherweise wird man hei der Aus
führung des Gesetzes noch auf diese Gefahr beizeiten
Rücksicht nehmen. Jedenfalls ist aber der Anfang zu
einer Besserung gemacht. Die Entwicklung wird schon
von selbst auf die Schwächen aufmerksam machen, die
das Gesetz kaum alle vermeiden kann. Hoffentlich er
halten wir auch in absehbarer Zeit einen gesetzlichen
Schutz des offenen Landes, der durch örtliche Ord
nungen von größerem oder geringerem Umfange sicher
gestellt werden müßte. Der jetzt vorliegende Gesetz
entwurf, der übrigens für Berlin in dem sogenannten
Fassadenrecht — einer dem preußischen Könige zu
stehenden Beeinflussung der Fassaden wenigstens in be
stimmten Straßen und an älteren Bauten — eine Art
Vorläufer hat, lautet in seiner vorgelegten Fassung;
„§ 1. Für eine geschlossene Ortschaft kann durch
Ortsstatut festgesetzt werden, daß Bauausführungen, die
die Straßen und Plätze verunstalten, nicht vorgenommen
werden können. Insbesondere können an Straßen und
Plätzen von hervorragend geschichtlicher oder künst
lerischer Bedeutung Bauten und bauliche Veränderungen
verboten werden, sofern durch sie die Eigenart des