FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN EL
SAS S - LOTHRINGEN*
STUTTGART, 18. AUGUST 1906
Inhalt: Das Interieur. — Entwurf zu einer Studierstube. — Zwei Entwürfe zu Dielen. — Grundsätze
des Städtebaues. — Kleine Mitteilungen. — Personalien. — Bücher. — Gaskrone
-HALisrmisi.
Alle Rechte Vorbehalten
Das Interieur
Von Dr. Hans Schmidkunz, Berlin-Halensee.
In der Anlageweise von Städten kennen wir zwei
hauptsächliche Typen; den der gewordenen oder ge
wachsenen und den der gegründeten Stadt. Bei jenem
handelt es sich um ein allmähliches Entstehen, bei diesem
um ein künstliches Machen nach einem vorbedachten
Plan. In Deutschland sind die Städte des Südens und
Westens vorwiegend solche des ersten Typus, die Städte
des Nordens und Ostens vorwiegend solche des zweiten
Typus. Indessen dringt dieser neuerdings auch in Gegenden
vor, in denen er vordem nicht nur nicht zu Hause war,
sondern auch mehr denn jetzt als ein Eindringling be
trachtet worden wäre. Allerdings sind es hauptsächlich
nur Erweiterungen von Städten, die dort auf solche künst
liche Art vorgenommen werden.
Diese künstliche Anlage paßt sich aber nicht von Fall
zu Fall den Verhältnissen an, sondern geht von einem
ziemlich gleichbleibenden Schema aus, wie wir es nament
lich aus der ostelbischen Stadt kennen. Mit dem Bau
bureau, welches die Verwirklichung des Schemas in dem
einzelnen Falle besorgt, verbünden sich jetzt die bekannten
polizeilichen Bauordnungen. So haben wir nun den merk
würdigen Vorzug, daß wir wenigstens überall in einer
und derselben Stadt, doch auch oft in mehreren Städten,
selbst verschiedener Gegenden, die gleichen Gestaltungen
des Straßennetzes genießen. Ob nun gerade 22 m die
Höhe der Häuser und die Breite der Straßen bestimmen
oder ob ein andres Schema durchgeführt wird, macht
nicht mehr viel aus.
Wer einigermaßen ein Gefühl dafür hat, daß auch die
Anlageweise von Städten eine Kunst für sich ist, flüchtet
in ältere, weniger schematisch angelegte Stadtteile oder
Städte. Und noch lieber flüchtet er in das Interieur
seines Hauses, das voraussichtlich von einem solchen
Schematismus nichts kennt. Dürfen wir uns die para
doxen Bezeichnungen erlauben, nach welchen wir neben
einem Wohnungsinterieur von einem Straßeninterieur
sprechen, so lassen sich beide auch auf ihre künstlerische
Würdigkeit hin vergleichen. Ob es einmal dazu kommen
wird, daß das Interieur des Hauses ebenfalls nach irgend
einem solchen „Schema F“ gestaltet wird wie das städtische
Interieur?
Einstweilen wollen wir uns vor einem falschen Gegen
sätze hüten, der entsteht, wenn wir die zwei Typen der
gewordenen und der gemachten Stadt in ihrem Ver
hältnisse zueinander mißverstehen. Die gewordene Stadt
wurde keineswegs dem sogenannten Zufall überlassen.
Vielmehr haben an ihr menschliche Willen mit üeber-
legung und Kunstverstand gebaut, aber von Stück zu
Stück, nicht mit einem Entwurf ein für allemal. Die
Bewohner der Stadt und ihre künstlerischen Vertreter
haben sich das Interieur da draußen nach dem Verlauf
ihrer Bedürfnisse, nach individuellen Ansprüchen ge
schaffen. Das ging ungefähr ebenso, wie man sich sein
Haus einrichtet: nicht „zufällig“, jedoch keineswegs ein
für allemal, und noch weniger nach einem Schema, das
ein Fremder vorgelegt hat. Und wie unsre älteren Städte
ein trauliches Straßenheim geworden sind, so sind die
Innenräume der alten Burgen, der alten Bauernhäuser
und alten Bürgerhäuser zu traulichen Wohnstätten ge
worden. Daß dabei die Traulichkeit mit der Zweckmäßig
keit zusammenging, war aller Wahrscheinlichkeit nach
den damaligen Schöpfern solcher Interieurs eine Selbst
verständlichkeit.
Denken wir uns nun, daß die viel bewunderten alten
Fürstenstuben, Bauernstuben u. s. w. in gleicherweise an
gelegt worden wären wie die Außenräume, d. h. also
wie die Gestaltung der städtischen Straßenbilder u. s. w.
in denjenigen Fällen, in denen nicht ein Werden, sondern
ein vorherbestehendes Schema gewaltet hat! Wir würden
die reichhaltige Entfaltung des Kunstgewerbes und der
Dekoration schwerlich so besitzen, wie wir sie jetzt aus
der Tradition bekommen haben. Dabei könnte die
schematische Entwertung in einer völlig kunstarmen
Weise geschehen; sie könnte aber auch mehr oder
weniger von künstlerischer Schöpferkraft in sich tragen.
Der Fall würde dann so sein, daß man sich seine
Wohnungseinrichtung entweder schlechtweg von einem
Künstler machen ließe oder daß man sie einer solchen
Schöpfung eines Künstlers wenigstens nachbildete. Jeden
falls kann dabei Künstlertum wirken. Auch im Städte
bau hat sich über jene zwei Typen hinaus neuerdings
ein dritter entfaltet, der die Vorzüge der beiden zu ver
einigen sucht: die vorbedachte und vollständige Gründung
einer Stadt oder eines Stadtteiles nach einem fertigen
Plane, jedoch auf Grund eines schöpferischen Künstler
tums mit individueller Anpassung an den gegebenen Fall.
Gleiches dürfte auch manchmal in der Wohnungs
kunst vorgekommen sein. Indessen fühlen wir hier schon,
daß unsre vergleichsweise Behandlung des städtischen und
des häuslichen Interieurs einen Sprung zeigt. Das letztere