18. August 1906
BAUZEITUNG
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in ein Geschäftshaus und bekommen hier
die weise Lehre: so magst du dir dein
Zimmer einrichten. Noch einmal: es
handelt sich nicht um Räume in einzigen
Exemplaren für einzige Personen, sondern
vielmehr um Vorlagen, die eventuell so
und so oft vervielfältigt werden, oder
die als Vorbild für eine weitere gestaltende
Tätigkeit wirken sollen. Nun denke man
sich, daß ein solches Zimmer, und sei es
noch so ausgezeichnet, sei es von August
Endeil oder von einem andern erfindungs
reichen Meister, in Deutschland x-mal
wiederkehre, so wie etwa Denkmäler
eines Fürsten in so und so vielen Exem
plaren wiederholt werden! Es gibt ja
möglicherweise Leute, die ihre größte
Freude daran hätten, wenn in ganz
Deutschland ein einziges Interieurschema durchgeführt
wäre.
Es ist damit wie mit der Kleidung. Sie kann für
die einzelne Person von Fall zu Fall angefertigt sein,
und sie kann als sogen. „Konfektion“ ein für allemal
und beinahe für jeden beliebigen Menschen bereitgehalten
werden. Eine solche Schneiderkonfektion in die Interieur
kunst übersetzt, gibt die Interieurkonfektion. Wie dort,
so kann es auch hier geschehen, daß ein irgendwo ge
gebenes Vorbild überall wieder begehrt wird. Da trägt
dann jeglicher, der etwas gelten will, die, einmal ein
geführte Mode. Es ist schon viel, wenn er das Schema
derselben nach seinem eignen Körper modifizieren läßt.
Die echte Konfektion erspart diese Mühe, und sie kann
es in der Zimmerausstattung ebenso tun wie in der
Kleiderausstattung. Der Stolz, etwas zu tragen, was in
gleicher Weise alle Welt trägt, kann auf
die Innendekoration übergreifen und dem
einzelnen Wohner die größte Freude dann
entstehen lassen, wenn er sein Haus so
hat, wie alle Welt es hat; wobei die „alle
Welt“ etwa auch nur eine sehr kleine
Welt sein könnte.
Die höchste Freude dieser Art mag
dann entstehen, wenn das große Publikum
eine als Vorbild auftretende Leistung
der angewandten Kunst begafft hat, und
wenn nun einer sich dies für seine Häus
lichkeit heimholt. Daß dabei alle Intimität,
alle Persönlichkeit u. s. w. dahinschwindet,
wird dieser Freude am wenigsten Ab
bruch tun. Wie wenig das gerade für
Deutschland paßt, bedarf wohl nicht
erst einer Auseinandersetzung. Die Groß
industrie wird davon vielleicht den größten
Vorteil haben. Wie denn auch in Amerika die einmal er
folgreiche Firma den Markt dadurch beherrscht, daß
beispielsweise den gleichen Hut sämtliche Menschen tragen,
die von dem Einflüsse dieser Firma irgendwie erreich
bar sind.
Als die moderne Innenkunst noch nicht eigentlich zur
Entfaltung gelangt war, hatte bereits die unter dem Niveau
des Künstlertums stehende Geschäftswelt das Prinzip der
Wohnungskonfektion festgelegt. Man konnte ganze
Wohnungen oder wenigstens ganze Zimmer auf einmal
kaufen, frischweg vom Möbellager oder speziell vom
Schaufenster. Eine Reaktion dagegen trat erst durch
einige wenige und dann eben durch die Entfaltung der
modernen Interieurkunst ein. Was im ganzen gekauft
sein wollte, das sollte wenigstens künstlerisch sein. Dies
mal heiligten die Mittel den Zweck. Auf diese Weise
haben wir gewiß viel Gutes bekommen; es wurden Probleme
aufgestellt und in eine beträchtliche Höhe gesteigert, und
es kam ein Reichtum von Lösungsversuchen. Das soll
uns davor behüten, daß wir etwa wieder in ein entgegen
gesetztes Extrem fallen, daß wir das einmal errungene
Stück Tradition verachten, daß wir sozusagen gegen die
Moderne unhistorisch werden.
Doch es gilt einen höheren Standpunkt als den der
Modernität oder der Unmodernität. Vor allem wird es
gut sein, die frühere Geschichte der Kunst zu fragen,
wie weit sie den Grundsatz kannte, daß ganze Interieurs
in geschlossenem Zuge von dem einzelnen Künstler ent
worfen wurden. Eine kunstgeschichtliche Untersuchung
darüber mit Bevorzugung der klassischesten Perioden
angewandter Kunst würde sich jedenfalls lohnen. Wir
können ihr an dieser Stelle nur durch ein paar An
deutungen vorgreifen.
Ausgeschlossen müßte davon die Innenarchitektur und
Dekorationsmalerei größerer Art bleiben. Wir sprechen