Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1906)

18. August 1906 
BAUZEITUNG 
261 
in ein Geschäftshaus und bekommen hier 
die weise Lehre: so magst du dir dein 
Zimmer einrichten. Noch einmal: es 
handelt sich nicht um Räume in einzigen 
Exemplaren für einzige Personen, sondern 
vielmehr um Vorlagen, die eventuell so 
und so oft vervielfältigt werden, oder 
die als Vorbild für eine weitere gestaltende 
Tätigkeit wirken sollen. Nun denke man 
sich, daß ein solches Zimmer, und sei es 
noch so ausgezeichnet, sei es von August 
Endeil oder von einem andern erfindungs 
reichen Meister, in Deutschland x-mal 
wiederkehre, so wie etwa Denkmäler 
eines Fürsten in so und so vielen Exem 
plaren wiederholt werden! Es gibt ja 
möglicherweise Leute, die ihre größte 
Freude daran hätten, wenn in ganz 
Deutschland ein einziges Interieurschema durchgeführt 
wäre. 
Es ist damit wie mit der Kleidung. Sie kann für 
die einzelne Person von Fall zu Fall angefertigt sein, 
und sie kann als sogen. „Konfektion“ ein für allemal 
und beinahe für jeden beliebigen Menschen bereitgehalten 
werden. Eine solche Schneiderkonfektion in die Interieur 
kunst übersetzt, gibt die Interieurkonfektion. Wie dort, 
so kann es auch hier geschehen, daß ein irgendwo ge 
gebenes Vorbild überall wieder begehrt wird. Da trägt 
dann jeglicher, der etwas gelten will, die, einmal ein 
geführte Mode. Es ist schon viel, wenn er das Schema 
derselben nach seinem eignen Körper modifizieren läßt. 
Die echte Konfektion erspart diese Mühe, und sie kann 
es in der Zimmerausstattung ebenso tun wie in der 
Kleiderausstattung. Der Stolz, etwas zu tragen, was in 
gleicher Weise alle Welt trägt, kann auf 
die Innendekoration übergreifen und dem 
einzelnen Wohner die größte Freude dann 
entstehen lassen, wenn er sein Haus so 
hat, wie alle Welt es hat; wobei die „alle 
Welt“ etwa auch nur eine sehr kleine 
Welt sein könnte. 
Die höchste Freude dieser Art mag 
dann entstehen, wenn das große Publikum 
eine als Vorbild auftretende Leistung 
der angewandten Kunst begafft hat, und 
wenn nun einer sich dies für seine Häus 
lichkeit heimholt. Daß dabei alle Intimität, 
alle Persönlichkeit u. s. w. dahinschwindet, 
wird dieser Freude am wenigsten Ab 
bruch tun. Wie wenig das gerade für 
Deutschland paßt, bedarf wohl nicht 
erst einer Auseinandersetzung. Die Groß 
industrie wird davon vielleicht den größten 
Vorteil haben. Wie denn auch in Amerika die einmal er 
folgreiche Firma den Markt dadurch beherrscht, daß 
beispielsweise den gleichen Hut sämtliche Menschen tragen, 
die von dem Einflüsse dieser Firma irgendwie erreich 
bar sind. 
Als die moderne Innenkunst noch nicht eigentlich zur 
Entfaltung gelangt war, hatte bereits die unter dem Niveau 
des Künstlertums stehende Geschäftswelt das Prinzip der 
Wohnungskonfektion festgelegt. Man konnte ganze 
Wohnungen oder wenigstens ganze Zimmer auf einmal 
kaufen, frischweg vom Möbellager oder speziell vom 
Schaufenster. Eine Reaktion dagegen trat erst durch 
einige wenige und dann eben durch die Entfaltung der 
modernen Interieurkunst ein. Was im ganzen gekauft 
sein wollte, das sollte wenigstens künstlerisch sein. Dies 
mal heiligten die Mittel den Zweck. Auf diese Weise 
haben wir gewiß viel Gutes bekommen; es wurden Probleme 
aufgestellt und in eine beträchtliche Höhe gesteigert, und 
es kam ein Reichtum von Lösungsversuchen. Das soll 
uns davor behüten, daß wir etwa wieder in ein entgegen 
gesetztes Extrem fallen, daß wir das einmal errungene 
Stück Tradition verachten, daß wir sozusagen gegen die 
Moderne unhistorisch werden. 
Doch es gilt einen höheren Standpunkt als den der 
Modernität oder der Unmodernität. Vor allem wird es 
gut sein, die frühere Geschichte der Kunst zu fragen, 
wie weit sie den Grundsatz kannte, daß ganze Interieurs 
in geschlossenem Zuge von dem einzelnen Künstler ent 
worfen wurden. Eine kunstgeschichtliche Untersuchung 
darüber mit Bevorzugung der klassischesten Perioden 
angewandter Kunst würde sich jedenfalls lohnen. Wir 
können ihr an dieser Stelle nur durch ein paar An 
deutungen vorgreifen. 
Ausgeschlossen müßte davon die Innenarchitektur und 
Dekorationsmalerei größerer Art bleiben. Wir sprechen
	        

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