Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1906)

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FÜR WÜRTTEMBERG 
BADEN HESSEN ELr 
SASS- LOTHRINGEN 
Inhalt; Das Interieur. ■— Entwurf zu einer Diele. — Reiseaufuahmeu aus Bremen. —- Der Prinzregenten- 
Brunnen im Staatsgebäude der Bayrischen Jubiläums-Ausstellung in Nürnberg. — Fallstricke im Sub 
missionswesen. — Kongreß für protestantischen Kirchenbau in Dresden. — Wettbewerbe. — Kleine Mit 
teilungen. — Personalien. — Bücher. 
~ - •HWJSI’BINI' 
Alle Rechte Vorbehalten 
(Schluß) 
Das Interieur 
Von Dr. Hans Schmidkunz, Berlin-Halensee 
Am ehesten würde sich unser Interieurprinzip historisch 
erwiesen finden in dem bekannten Hauptwerke: „Das 
deutsche Zimmer“ von Georg flirth (dritte Auflage, 
München 1886). Doch das, was wir suchen, finden wir 
auch hier nicht im eigentlichsten Sinne. Das Buch be 
handelt vorwiegend die einzelnen Leistungen der Interieur 
künste, also Möbel u. s. w., und diejenigen Vorlagen, die 
noch am meisten der modernen Nachfrage nach Interieurs 
genügen, sind gegenwärtige Neukonstruktionen, die sich 
nur eben im Geiste der damaligen Zeit halten wollen. 
Aus der französischen Renaissance fesselt unsre Auf 
merksamkeit (Seite 310 ff.) am ehesten der bekannte Innen 
künstler A. du Cerceau (ca. 1510 bis ca. 1580). Die Ab 
bildungen jedoch, welche der Verfasser bringt, sind in 
der Hauptsache wieder Möbel; also Einzelstücke, nicht 
fertige Interieurs. 
Nun aber tritt Seite 312 ein Künstler auf, der dem in 
Rede stehenden Prinzipe doch zu entsprechen scheint. Nur 
ist dieser Künstler eigentlich eine Künstlerin, und diese 
Künstlerin eigentlich eine Hausfrau: die Marquise von 
Rambouillet. Ein Umstand, der für unsre gesamten Aus 
führungen von geradezu grundlegend charakteristischem 
Werte ist. 
Für einen großen Teil der damaligen dekorativen 
Kunst hat jene Frau so viel Bedeutung, daß dabei die 
Bezeichnung „Stil Rambouillet“ besser zutrifft, als die 
bekannte Bezeichnung „Louis XIII.“. Die genannte 
Marquise war es, welche die Anordnung der Interieurs 
zeichnete; von ihr stammen Bestandteile der Wohnung, 
wie z. B. die Alkoven. 
In der historischen Darstellung von Hirth folgen nun 
wieder Einzelkünstler. Voran stehen Jean Le Pautre 
(um 1650). Er hat viele Entwürfe geschaffen; doch wird 
es nicht recht klar, wie weit sie je ein Ganzes sind. Hirth 
behandelt den genannten Künstler auf Seite 316 ff. und 
bringt auf Seite 373 ff. zugehörige Abbildungen. Wir 
sehen hier größere Säle, darunter einen wuchtigen Vor 
saal ; doch wieder nichts von der heute beliebten kleineren 
Zimmerkunst. Auch Künstler wie der Augsburger Rat 
hausschöpfer Elias Holl (Seite 318) ziehen an uns ohne 
Ertrag für das gegenwärtige Problem vorüber. 
Etwas näher kommt uns Jean Berain (Seite 324), der 
von 1671 an bemerkbar wird. Doch auch seine Entwürfe 
sind wieder mehr Einzelkunst. Dabei bemerkt der Ver 
fasser: „Es sind im wesentlichen dieselben Formen, welche 
wir auch in den Gartenparterres Andre Le Nötres 
finden . , und macht besonders auf die „Blumenbeet 
linien“ aufmerksam. Möglich, daß wir heute einem ent 
gegengesetzten Verhältnis entgegengehen, d.h. daß Formen, 
die auf dem Boden der Innenkunst gewachsen sind, von 
da aus in die Gartenbaukunst eindringen; wenigstens 
führt uns ein Gang von einem modernen Gartenzimmer 
in eine moderne Gartenanlage nicht weit aus den groben 
Quadraten und ähnlichen Gestalten heraus, die wir im 
Zimmer genießen müssen, koste es auch die Einbettung 
von Pflanzen in viereckige Gefäße mit „Zimmerbettlinien“. 
In dem Werke von Hirth finden wir nun vorwiegend 
Reproduktionen von Interieurs, welche als Muster aus 
der Wirklichkeit einer vergangenen Zeit genommen sind, 
was immer ihr Ursprung sein mag. Dazu kommen natür 
lich auch die Interieurs auf Gemälden. Was es in dem 
Buch an eigentlichen Produktionen der Interieurkunst 
gibt, weicht so gut wie immer wesentlich von den gegen 
wärtigen Bestrebungen ab. In dieser Weise werden wir 
an klassischen Namen vorheigeführt, wie denen eines 
Dürer und Burgkmair. Immerhin ändert sich mit dem 
Beginne des Rokoko die Lage einigermaßen zugunsten 
des fertigen Interieurs. Eine Hauptkraft in der Ent 
stehung dieses Stiles war auch eine Hauptkraft in der 
Entfaltung der Interieurkunst: J. A. Meissonier (Seite 408 f.). 
Wir sehen z, B. ein Entresol, eine Beletage und sogar 
eine eigentliche Zimmerdekoration. Die zukünftige histo 
rische Durchforschung unsers Themas mag an ihm und 
an künstlerisch Verwandten, den bekannten Ornament 
zeichnern und Dekorateuren jener Zeit, immerhin einige 
günstigere Materialien als sonst finden. Aus etwas 
späterer Zeit schließt sich hier Chodowiecki an. 
Wie dann die Interieurkunst zurückgiug, nicht ohne 
eine besondere Blüte im österreichischen Biedermeierstil, 
und wie allmählich eine Besserung eintrat, darüber können 
wir heute mannigfache Literatur, zumal seit 1880, nach- 
lesen (auch der Artikel „Zimmerausstattung“ in Meyers 
Konversationslexikon, 4. Auflage, 1890, Seite 905 ff., 
gibt eine gute Uebersicht). Wir erfahren, daß die ein 
heitlich geregelte Zimmerausstattung erst seit dem An 
fänge der 1870er Jahre ein selbständiges Gebiet geworden 
ist. Bei dem früheren, fester geschlossenen Kunstleben 
war die Zimmerausstattung, zumal im Eigenhause, Sache 
der Tradition. Die Wände und die Decken gingen mit 
der Tradition des Hauses zusammen. Das 19. Jahr-
	        
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