22. September 1906
BAUZEITUNG
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Dagegen sind einzelne Formen neu, z. B. die Fabrik
mit ihren eigenartig gelagerten Dächern und dem Schorn
stein. Doch das sind keine Aufgaben von umfassender
Bedeutung. Die alten Formen sind mit neuem Geist
auszufüllen. Die Persönlichkeit des einzelnen drückt
dem Werke den Stempel der heutigen Zeit auf. Wir
leben in ernster sachlicher Arbeit, das Symbol unsrer
Kultur ist die Maschine. Die konstruktive Sachlichkeit
waltet vor und das Ornament beginnt abzuwirtschaften.
Die Zweckformen werden schön, wenn sie in Verhält
nissen und Farben künstlerisch empfunden sind. Es
scheint, daß die germanischen Länder in der neuen Stil
gestaltung die Führung übernehmen. Frankreich haftet
noch an der alten Schablone, von Italien kann man vor
erst überhaupt kaum reden. Dagegen leistet Amerika
im modernen Geschäftshaus Vorbildliches und ebenso
England im Bau des kleinen Wohnhauses.
Hiermit waren die Vortragsveranstaltungen zu Ende.
Als Ort der nächsten WanderVersammlung im Jahr 1908
wurde Danzig bestimmt.
Der Nachmittag des 4. September führte die Teil
nehmer in einer hochinteressanten Bundfahrt zu Schiff
durch die Mannheimer Häfen, wobei die gewaltige Ent
wicklung von Handel und Industrie allgemeine Bewun
derung erregte, und den Abend verbrachte man sehr
genußreich bei einer von der Stadt Mannheim gegebenen
Festvorstellung im Hof- und Nationaltheater, vor dem
die Denkmäler Schillers, Iff-
lands und Dalbergs an die
ruhmreiche Zeit dieser be
rühmten Bildungsstätte er
innern.
Der 6. September endlich
war Ausflügen nach Worms
und Speier und in das land
schaftlich so schön gelegene
weinfrohe Dürkheim a. d. H.
mit seiner herrlichen Kloster
ruine Limburg (Führung
durch Professor Manchot in
Frankfurt) gewidmet, wäh
rend der folgende und letzte
Tag die schöne Beihe der
Besichtigungen durch den
Besuch des Heidelberger
Schlosses und seine nächt
liche Festbeleuchtung in
wohlgelungener Weise zum
Abschluß brachte. Begünstigt
vom schönsten Wetter und ge
tragen von allseitiger liebens
würdigster Gastfreundschaft, werden die auf der 17. Wan
derversammlung gewonnenen Eindrücke den sämtlichen
Teilnehmern stets in freundlicher Erinnerung verbleiben.
—r.
Die Bayrische Landesausstellung- in
Nürnberg
Von Baurat Professor C. Schmid.
„Aus den heutigen Jüngern werden die einstigen
Meister.“ Von dem Standpunkte aus, welcher durch
dieses Wort gekennzeichnet ist, möchte ich eine kurze
Betrachtung über den Wert von Ausstellungen und über
die Benutzung dieser Bildungsgelegenheit im Anschluß
an die Bayrische Landesausstellung anstellen. Beide sind
unanfechtbar vom Standpunkt der allgemeinen Bildung
aus hervorzuheben; wenn ich die Erörterung speziell in
bezug auf das bautechnische Gebiet vornehme, so hat
dies namentlich seinen Grund darin, daß die beiden
früheren bayrischen Landesausstellungen in Nürnberg auf
meine ganze berufliche Entwicklung entscheidenden Ein
fluß ausgeübt haben und daß ich in bautechnischer Hin
sicht am ehesten in der Lage bin, eine richtige Wertung
der Ausstellungen zum Ausdruck zu bringen.
Ich widme diese Zeilen vorzugsweise den jüngeren
Kollegen, weil sie den größten Nutzen vom Besuche von
Ausstellungen haben.
Ihnen steht noch die ganze Frische der Empfäng
lichkeit zu Gebot, ihnen eröffnet sich in der Fülle des
hier vereinigten reichen Materials eine erweiterte Welt,
deren Anblick ganz unwillkürlich zu reger Arbeit, zu
eifriger Aufnahme des Dargebotenen unwiderstehlich an
regt. Der junge Techniker erkennt dort die enge Be
grenzung seiner eignen Kenntnisse und sieht zugleich die
abwechslungsreiche Fülle der Anwendungen der Kennt
nisse andrer; es steht klar vor seinem Auge, daß auch
er sich vorbereiten muß, um weitergehenden, ja den
weitestgehenden Ansprüchen, welche sein Beruf an ihn
stellen kann, einstens genügen zu können. Er wird über
wältigt von der Erkenntnis, daß sein Studium nicht ab
geschlossen ist, sondern jetzt erst recht von neuem ein-
setzen muß, daß das seitherige mannigfach nur Vorberei
tung war, um das, was er hier aus der Praxis vorgeführt
sieht, fassen zu können, um in edlem Wetteifer den
Meistern gleichzukommen.
Nach diesen einleitenden Worten sollte ich eine Ueber-
sicht über die Darbietungen der gegenwärtigen Nürn
berger Ausstellung geben. Der Versuch dazu hat mich
Saalbau Mülhausen i. E. Ein II. Preis Architekt Professor Dr. Yetterlein, Darmstadt