27. Oktober 1906
BAUZEITUNG
341
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Beurteilung der Entwürfe
Es kann wohl, so wird von amtlicher Seite aus Ulm
geschrieben, für die Besprechung der Entwürfe keine ge
eignetere Einleitung geben, als wenn wir ihr, dem wesent
lichen Inhalt nach wenigstens, die Worte vorausschicken,
mit denen Geh. Oberbaurat Hofmann in der Sitzung
der bürgerlichen Kollegien und des Kirchengemeinderats
am 19. September die Verkündigung des Ergebnisses be
gleitet hat: „Der Wettbewerb“, führte er aus, „kann als
höchst befriedigend bezeichnet werden. Ein reiches
Material von Ge
danken und An
regungen ist ge
wonnen worden.
Es war gut, daß
dem Ausschreiben
kein Bauprogramm
zugrunde lag, daß
die Konkurrenz
frei ihren Zweck
erfüllen durfte, Ge
danken zu liefern,
Möglichkeiten vor
zuführen, wie dem
Münster wieder ein
Kähmen zu schaf
fen sei. Denn dar
über ist kein Zwei
fel, die heutige Be
trachtung ist un
erfreulich ; schon
der Vergleich mit
dem stimmungs
vollen Bild andrer
Ulmer Plätze sollte
dies jedem nahele
gen. Bezüglich des
Wegs haben sich
einige Hauptan
haltspunkte ziem
lich klar ergeben.
Einmal die Ueber-
zeugung, daß die
Straßenbahn, statt
wie bisher denPlatz
quer zu durch-
schneiden, um ihn
westlich herumzu
führen ist. So wird,
wie das allerwärts
der Fall ist, die
Kirche dem Ver
kehr ein wenig ent
rückt, die Schaf
fung eines intimen
Platzes ermöglicht.
Dieser sollte aber, das ist gleichfalls als notwendige For
derung zu bezeichnen, ein mehr geschlossenes Gepräge er
halten, das ihm die meisten Entwürfe durch ein Gebäude
an Stelle der einstigen Barfüßerkirche geben wollen. Gewiß,
wenn die Häuserinsel, die durch diese Kirche und das
alte Gymnasium gebildet wurde, heute noch stünde, so
würde man nicht daran denken, sie einzureißen. Aber
freilich, nicht als ob nun gerade eine der hier vor
geschlagenen Bauten errichtet werden müßte; Nein, es
sind nur Vorarbeiten, die zu verwerten sind, wenn über
kurz oder lang die Frage mit Notwendigkeit an die Stadt
herantreten wird. Und zum Besitz dieser Vorarbeiten
werden alle Techniker der Stadt Glück wünschen; ganz
Deutschland blickt auf das, was für die Umgebung des
Münsters getan wird. Keinerlei extreme Gedanken werden
hier empfohlen, sondern praktische Gedanken, die
so einwandfrei sind, daß sie von jedem Künst
ler gebilligt werden können.“
Nun zu den Entwürfen selbst, und zwar zunächst zu
allgemeinem Ueberblick, der allerdings zur Folge haben
wird, daß den preisgekrönten und angekauften Arbeiten
eine eingehendere Würdigung erst im zweiten Teil dieses
Berichts zuteil werden wird.
Es braucht kaum besonders betont zu werden, daß
bei einer so großen Zahl von Plänen die bunteste Man
nigfaltigkeit künstlerischer oder auch unkünstlerischer Ge
danken, die stärk
sten Gegensätze
von bedeutsamer
Geistesarbeit, ba
rocker Laune und
platter Unfähigkeit
nebeneinander ver
treten sind.
So gilt es, zu
nächst einmal den
massenhaften Stoff
in große Gruppen
zu zerlegen und
aus den gemein
samen Zügen ein
Bild zu gewinnen.
Sichtet man ein
mal, zunächst ohne
Rücksicht auf den
Wert, nach der
Gesamtauffassung,
soweit dies an
nähernd möglich
ist, so finden wir,
daß 13 Entwürfe
in der Hauptsache
durch Bepflanzung
allein wirken wol
len und (abgesehen
von den kleinen
Bedarfshauten, be
sonders am nörd
lichen Platz) auf
architektonische
Zutat verzichten.
16 weitere Ent
würfe ziehen in be
schränken! Umfang
baulichen Schmuck
heran, während
sich die Stimmung
der Mehrheit der
Sachverständigen
unzweideutig in
der Tatsache aus
spricht, daß 35 Ent
würfe auf einem größeren oder kleineren Stück des Platzes
Bauten von zum Teil sehr beträchtlichem Umfang zu
erstellen vorschlagen; unter ihnen sind sämtliche vom
Preisgericht ausgezeichneten Entwürfe.
Betrachten wir zwar die auf pflanzliche Anlagen
sich beschränkenden Vorschläge, so dürfen wir über die
Versuche, dem Platz durch die Mosaik einer mehr oder
weniger sinnreichen Teppichgärtnerei ein aus der Vogel
schau besonders liebliches Ansehen zu geben, füglich
stillschweigend Weggehen. Ernstlicher zu nehmen ist der
Gedanke, durch Baumpflanzungen, die ja eines Zusammen
wirkens mit der Architektur unter Umständen sehr wohl
fähig sind, dem Münster den Anschluß an seine Um
gebung zu vermitteln, wie er etwa in dem Entwurf „Ohne
Blume und Busch“ (Nr. 5) oder „Einfach“ (Nr. 20) yer-
I. Preis. Innenraum der Markthalle. Verfasser: Reg.-Bauführer Theod. Fauser und
Reg.-Bauführer Rieh. Wörnle, Stuttgart-Saaleck