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BAUZEITUNG
Nr. 47
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Papierfabrik Oberlenningen
Architekten Eisenlohr & Weigle, Oberbauräte in Stuttgart
unsern strengen Bauvorschriften solid gebaut, auf lange
Zeit da stehen werden. Andre, vielleicht noch ver
wegener aussehende Nachbarn werden hinzutreten, bis
— was ja zu erhoffen ist — ein mit gesund geschultem
Gefühl ausgestattetes neues Geschlecht diese Baublöcke
zur Erstellung besserer Baulichkeiten abreißen wird.
Man wird nun einen Unterschied machen müssen
zwischen Fabriken in Fahrikstädten und in freundlichen
Landstädten und Dörfern. In ersteren ist ja oft nichts
mehr zu verderben. Ist es aber wirklich nicht möglich,
auch für Fabrikbauten eine gefällige Form zu finden?
Es können ja, wie unsre neuere Architektur und Kunst
gewerbe oft beweisen, auch Zweckformen schön sein. Im
Fahrikbau wird es sich meist um ausgedehntere, teils
niedrige, teils höhere Gebäude handeln, die sich um ein
Hauptmotiv, den Schornstein, den wir fast bei allen der
artigen Anlagen finden, gruppieren. Andre interessante
und belebende Momente, die charakteristisch sein können,
kommen hinzu; so wird vielfach in einiger Höhe um den
Schornstein ein Reservoir gebaut, eine Anlage, die ge
wiß ihres dekorativen Reizes, der ganz aus der Praxis
entsprungen ist, nicht entbehrt. Ferner werden Wasser
türme in manchen Fällen erforderlich, die man ja auch
in Zweckformen ohne Altertümelei ausbilden kann und die
sich als willkommenes Motiv in der Gesamterscheinung
verwenden lassen.
Es wird nun mancher Spezialfabrikbaumeister lächeln
und antworten: Ihr habt gut reden, bei Fabriken heißt
es eben in erster Linie zweckmäßig und billig bauen unter
Anwendung von Papp- und Sheddächern und sonstigen
andern Fabrikschönheiten. Ich gebe zu, daß eine Rück
sichtnahme auf äußere gefällige Gruppierung dem Bau
meister oft Anlaß zu längerem Durchstudieren geben
wird, aber desto mehr Dank und Selbstzufriedenheit ist
beim guten Gelingen der Aufgabe ihm sicher. Mancher
praktische Fabrikbaumeister wird gut tun, entweder
einen tüchtigen Architekten im eignen Bureau mit der
harmonischen Gestaltung zu betrauen oder mit einem
Architekten von Ruf seinen Entwurf künstlerisch zu be
arbeiten.
Ich verweise auf die Ausführungen des Oberbaurats
Baumeister in Karlsruhe in der Versammlung des Ba
dischen Architekten- und Ingenieurvereins. „Befriedigende
Ergebnisse werden,“ so äußerte der Genannte, „selten
erzielt, wenn ein Ingenieur ein Werk entwirft und es
dann einem Architekten zur Umgestaltung übergibt.
Zweckmäßiger ist es, wenn ein Ingenieur und ein Archi
tekt von Anfang an Zusammenwirken. Anzustreben ist
aber, daß der Ingenieur selbst die architektonische Aus
arbeitung seiner Schöpfungen erlerne.“ Ich glaube, daß
namentlich bei größeren, im Landschafts- oder Städtebild
in Frage kommenden Bauten der Ingenieur immer gut
tun wird, wenn er das Projekt mit einem tüchtigen
Architekten zusammen bearbeitet. Der Ingenieur wird
bei seinen vielseitigen Anforderungen kaum Zeit zu fort
gesetzten Architekturstudien finden, und umgekehrt wird
der Architekt die Hilfe des Ingenieurs in technischen
Fragen benötigen. Wie brennend diese Frage ist, wird
durch die Tatsache bestätigt, daß sie gegenwärtig in den
berufenen Kreisen viel erörtert wird. So hat auch der
„Württembergische Verein für Baukunde“ eine Kommission
zum Studium der Frage gewählt, welche Wege ein
zuschlagen sind, damit bei Ingenieurbauten ästhetische
Rücksichten in höherem Grade zur Geltung kommen.
Leider sind noch wenig Spezialfirmen für Fabrikbauten
zu der Einsicht gekommen, daß man praktisch und ge
fällig bauen kann. Es ist schon viel Schlimmes durch
einseitiges Schaffen vollbracht worden, indem man an
einen praktischen Grundriß eine stilvoll sein sollende
Fassade in Backsteingotik oder Renaissance klebte.
Nein, wenn man hierin einen Wandel schaffen will,
und derselbe ist unbedingt nötig, so muß man sich darüber
klar sein, daß es möglich ist, Besseres zu schaffen. Als
Beweis für meine Ausführungen weise ich auf die zwei Ab
bildungen der neuen großen Papierfabrik in Oberlenningen,
erbaut von den Architekten Eisenlohr & Weigle,
Oberbauräten in Stuttgart, hin. Man kann sich herzlich
freuen, mit welchem Verständnis die Bauherrschaft für
eine einladende Arbeitsstätte sorgte und mit welcher
Liebe die Architekten an ihre Aufgabe herangetreten