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BAUZEITUNG
Nr. 50
gehend untersucht. Als neues Material kommt der Beton
immer mehr in Aufnahme, der zum ersten Male bei der
1886 bei Weisenbach in Baden nach dem Entwurf des
Ingenieurs Karl Müller in Preiburg von der Unternehmung
Thormann & Schneller in Augsburg gebauten reinen Beton
kanalbrücke in größtem Maßstab verwendet wird. Das
genannte gelenklose Bauwerk zeigt bei 4 m Breite rund
44 m gesamte Spannweite, 1,31 m Scheitelstärke und rund
V 7 Pfeil.
Die Materialuntersuchungen, hauptsächlich von Bach,
Föppl und Bauschinger durchgeführt, sowie die Versuche
des österreichischen Gewölbeausschusses schaffen für die
Berechnung der Gewölbe als elastischer Bogen sichere
Unterlagen und damit die Möglichkeit besserer Aus
nutzung der Druckfestigkeit, als dies hei der früher
üblichen unzuverlässigen Berechnungsweise möglich ist,
nach welcher ein Gewölbe standfest ist, solange noch
eine durchweg im mittleren Querschnittsdrittel liegende
Drucklinie gezeichnet werden kann. Die Berechnung
findet statt unter Berücksichtigung der ungünstigsten
Stellung der Verkehrslast und der sehr bedeutenden
Temperatureinflüsse.
Die Vervollkommnung der Berechnung kann aber eine
Beihe gewichtiger Bedenken gegen die Anwendung des
elastischen Bogens nicht beseitigen. Zunächst sind
Spannungen und Längenänderungen hei Beton und
Stein nicht, wie bei Eisen, einander proportional,
sondern wir haben es mit einem verwinkelteren, noch
nicht völlig erforschten Gesetz zu tun. Dabei herrscht
selbst bei scheinbar völlig gleichem Material die größte
Verschiedenheit. Bach ermittelte bei zwei äußerlich genau
gleichen, aus demselben Bruch stammenden Granitblöcken
Dehnungszahlen, die um 40 % auseinander gingen. Dazu
treten die Verkürzungen, welche infolge der erst nach
langer Zeit zur Buhe kommenden allmählichen Zusammen
pressung des Materials und infolge des Schwindens von
Mörtel und Beton beim Austrocknen eintreten, die sich
der Bechnung völlig entziehen, aber von sehr großer
Bedeutung sind, was sich aus den durch sie hervor
gerufenen Scheitelbewegungen, besonders im Vergleich zu
der Senkung heim Ausschalen ergibt. So zeigte die
Plauensche Brücke heim Ablassen von Juli bis Sep
tember 1904 nur 82 mm Scheitelsenkung, bis Juni 1905
wuchs dieselbe auf 140 mm, bis Januar 1906 auf 210 mm,
und erst im zweiten Sommer verursachte die Erwärmung
auch eine Aufwärtsbewegung, was aber noch keinen
Schluß zuläßt, ob das Gewölbe für Normaltemperatur
schon seine endgültige Buhelage erreicht hat. Diese Ver
hältnisse können nur durch jahrelange Beobachtung ge
klärt werden.
Die Größe der Temperatureinflüsse zeigt die Tatsache,
daß sogar ein so geschlossener Biesenhau wie die Cabin-
John-Brücke dadurch ausgeschalt werden konnte, daß
man das im Winter geschlossene Gewölbe sich im Sommer
selbsttätig vom Lehrgerüst abheben ließ. In Plauen kann
man etwa auf 5 cm Scheitelschwankung zwischen Sommer
und Winter rechnen. Bei Brücken, die nicht direkt auf
Felsen gegründet sind, tritt noch zu diesen Einflüssen
die ebenfalls erst nach Jahren zur Buhe kommende
Zusammenpressung des Untergrunds, deren Größe nicht
einmal durch Schätzung berücksichtigt werden kann.
Alle diese Einflüsse, die besonders bei kleinem Pfeil
verhältnis gefährlich werden können, werden bei Ver
wendung von Gelenken ausgeschaltet. Nachdem solche
schon früher vorgeschlagen waren, führte sie Köpke 1880
zum ersten Male bei einer Brücke über die Gottleuba bei
Langhennersdorf in die Praxis ein. Ihre Anwendung ist
bei Flachbrücken, die nicht auf absolut unnachgiebigem
Baugrund stehen, unbedingt zu raten. Zusammen
drückungen des Untergrunds sind hei Pfahlgründung und
bei weichem Kies öfter, zum Beispiel in Munderkingen be
obachtet. Bei den meisten neuen Ausführungen sind
dementsprechend Gelenke eingelegt. Wenn eingewendet
wird, daß auch gelenklose Flachbrücken sich gut gehalten
hätten, so ist zu erwidern, daß dies nur einer unrationellen
Materialausnutzung in den unverhältnismäßig starken Ge
wölben zu danken ist. Der Sicherheitskoeffizient kann
bei Gelenkbrücken wesentlich herabgesetzt und diese damit
viel leichter konstruiert werden.
Bei großem Pfeilverhältnis sind die genannten Ein
flüsse viel weniger schädlich. Dieser Umstand und der
bei hohen Gelenkbrücken sehr starke Ausschlag der Druck
linie in der Nähe der Bruchfuge, welcher eine starke,
unschöne Gewölbeverdickung an dieser Stelle bedingt,
führt dazu, in solchen Fällen auf Gelenke zu verzichten.
Oder man rückt die Gelenke, wie bei der Wallstraßen
brücke in Ulm, von den Kämpfern nach dem Scheitel zu
vor, wodurch der Ausschlag der Drucklinie vermindert
wird.
Die Berechnung der Flachhrücken hat unter Auf
suchung der ungünstigsten Belastung zu erfolgen; die
Untersuchung lediglich für einseitige Vollbelastung genügt
nicht.
Der zuverlässigeren Spannungsermittlung entspricht
die Zulassung höherer Pressungen. Bei bestem Beton
kann man bis 70 Atm. gehen und bei in Fugen einge
schlossenem Mörtel unbedenklich bis 100 Atm., da er
sich wie ein plastischer Körper verhält. Das Bruchstein
mauerwerk der Plauenschen Brücke wird mit 69 Atm.
beansprucht. Steine können je nach Zuverlässigkeit des
Steinbruchs mit 1 h 0 bis 1 / g der Bruchfestigkeit, die bei
Basalt bis 3500 Atm. beträgt, ausgenutzt werden.
In der wirtschaftlichen Ausnutzung der Festigkeit
gingen Beinhard und Präsident Leibbrand bahnbrechend
vor. Ersterer ließ bei der 1886 erbauten gelenklosen
Hesselbachbrücke mit 33,4 m Weite im Bruchsteinmauer
werk 45 Atm. zu, Leibbrand 1900 bei der Munderkinger
Brücke bei Beton 40 Atm. Diese Brücke ist außerdem
durch ihre Gründung auf schräge Pfähle bei stark ver
breitertem Fundament für die Entwicklung des Steinhaus
von großer Bedeutung.
Die Zulassung hoher Pressung verlangt eine Aus
führung, welche die theoretische ermittelte Lage im
Gewölbe gewährleistet. Die besonders in Frankreich, so
bei der im übrigen vorbildlichen 61,5 m weiten, 27,5 m
hohen Lavourbrücke von Sejourney, angewandte Wölbungs
art in konzentrischen Bingen, die eine Ersparnis durch
Erleichterung der Lehrgerüstkonstruktion erzielen soll,
gewährleistet die Erfüllung obiger Forderung nicht. Der
dadurch bedingte größere Sicherheitskoeffizient erfordert
stärkeres Gewölbe, das die anderweitigen Ersparnisse
wieder aufhebt. Dagegen drückt volle Ausnutzung der
Materialfestigkeit die Baukosten einschließlich der Lehr
gerüstkosten herab.
Allgemein verfährt man daher bei großen Brücken in
Deutschland in der Weise, daß man, einerlei ob Beton-,
Bruchstein- oder Quadergewölbe, eine Beihe durchgehen
der Querfugen offenläßt, die ein Anschmiegen des Ge
wölbes an die Lehrgerüstbewegungen während desWölbens
ermöglichen und erst nach Fertigstellung des ganzen Bogens
geschlossen werden. Künstliche Belastung des Lehrgerüste
wird dabei nicht oder nur in geringem Maße nötig. Bei
Betongewölben werden einzelne Schichten quer über das
ganze Lehrgerüst wegbetoniert und später die Zwischen
schichten eingebracht; ähnlich werden Bruchsteingewölbe
behandelt. Werkstein- und Quaderbrücken werden trocken
versetzt und die Fugen nachträglich mit bestem erdfeuchten
Mörtel ausgestampft. Die Fugen sind zu diesem Zwecke
genügend weit — etwa 2,5 cm — anzuordnen. Auch
bei Backsteingewölben stößt die Ausbildung durchgehen
der Fugen nicht auf Schwierigkeiten.
Bis zum Schluß des Gewölbes gewährleisten diese
Ausführungsarteu mit weitgehender Sicherheit die Ver
hinderung der Bißbildung. Die nach diesem Zeitpunkt