Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1906)

3. FEBRUAR 1906 
Bauzeiten u 
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sich vielmehr, wie Stübben auf dem Denkmalpflegetag 
in Mainz so trefflich ausgeführt hat, um die Anpassung 
der Umrißlinien, der Höhen der Dächer, der Ausbauten 
und Aufbauten an das alte Gesamtbild. Den modernen 
Bedürfnissen eines Hauses, den modernen Kunstformen 
soll innerhalb dieses Gesamtrahmens völlig freie Bahn 
gelassen werden. Die Wahrung des allgemeinen künst 
lerischen Charakters des Platzes darf nicht auf Kosten 
des notwendigen Fortschrittes in Wirtschaft und Kunst 
geschehen. Wir besitzen glücklicherweise Architekten, 
welche die Forderung der allgemeinen künstlerischen An 
passung mit Selbständigkeit der Erfindung und Formen, 
kurz mit moderner Behandlung zu vereinen wissen. Ge 
rade auch auf dem Gebiete des Profanbaues ist die uns 
beschäftigende Frage besonders aktuell. Die große durch 
greifende Bewegung, die auf den Schutz unsrer Städte 
und Dörfer vor der trostlosen Verödung durch die aller 
künstlerischen Empfindung baren, im langweiligsten Ka 
sernen-, Zuchthaus-, Fabriken-, Bahnhof- und Baukastenstil 
hingesetzten Häuser und Villen abzielt, muß vor allem das 
Verständnis für das geistige Wesen, für die Seele unsrer 
alten bürgerlichen und bäuerlichen Bauten wieder wecken. 
Die traute Behaglichkeit der alten Häuser, die individuelle, 
nach Ort und Landschaft immer wieder verschiedene Aus 
gestaltung und Lösung der Bauaufgaben soll wieder zum 
Gemeingut werden. Wir erreichen das nicht durch eine 
äußerliche Nachahmung der Formen. Was damit seit 
Jahrzehnten erzielt wurde, davon zeugen landauf, landab 
die erschreckendsten Beispiele. Wir müssen wieder lernen, 
daß in den Maßverhältnissen des ganzen Baues zur Um 
gebung und der einzelnen Teile zum Ganzen das Ge 
heimnis der künstlerischen Wirkung liegt. Die Einzel 
formen sind etwas Untergeordnetes, Nebensächliches. Sind 
sie individuell, eigenartig, so werden sie den Beiz des 
Baugerüstes erhöhen. Oeffnen wir daher auch hier 
unsern Künstlern das Feld für Fortentwicklung der 
Formen! (Schluss folgt in der nächsten nummerj 
HAUSTEIN-AUSSTELLUNG 
Der Olbrich-Ausstellung in den Räumen des 
bergischen Kunstgewerbevereins im Stutt 
garter Landesgewerbemuseum ist jetzt eine 
Ausstellung von Arbeiten Paul Hausteins 
gefolgt, die einige Proben von dem tüchtigen 
Können dieses Künstlers gibt. Ausgestellt 
sind zwei Zimmer und eine große Anzahl 
kunstgewerblicher Arbeiten aller Art. Das 
vordere der beiden Zimmer ist für die dies 
jährige Kunstausstellung in Köln bestimmt, 
wo das württembergische Kunstgewerbe einen 
von Professor Pankok entworfenen Pavillon 
ausstatten wird. (Eine Abbildung des Pankok- 
schen Ausstellungspavillons werden wir dem 
nächst geben.) Die Möbel des Repräsentations 
raumes —• von naturfarben-poliertem Eschen 
holze mit rindsledernen Polsterbezügen — 
zeigen kräftige Formen; infolge der un 
günstigen Raumverhältnisse konnte die Auf 
stellung nicht im beabsichtigten Sinne er 
folgen, wie ihn unsre Abbildung zeigt. Aus 
geführt wurden die Möbel dieses und die 
Sofas und Stühle des nächsten Zimmers 
von der Stuttgarter Möbel- und Lederfabrik 
Alfred Bübler, die Kastenmöbel des Damen 
zimmers von M. Köhler. Das Damenzimmer 
ist für die Villa Barth in Ludwigsburg 
bestimmt, zu deren Innenausstattung der 
Architekt, Fr. Haußer in Ludwigsburg, 
Paul Haustein herbeizog. Einige der aus 
gehängten Photographien zeigen die übrigen 
Hausteinschen Räume in der Villa Barth, 
von denen wir in der nächsten Nummer 
Württem- 
BELEUCHTUNOSKÖRPER VON P. 
HAUSTEIN. AUSOEFÜHRT VON 
K. M, SEIFERT & CO., DRESDEN-A. 
einige abbilden können. Die Möbel des Damenzimmers 
sind in poliertem deutschen Nußbaumholze ausgeführt, 
mit Polsterbezügen von rotem Saffianleder. Wand 
und Decke des Zimmers zeigen die Verwendung eines 
neuen Dekorationsverfahrens, das die hiesige Firma 
Friedr. Rock unter dem Namen Flachreliefdekoration 
eingeführt hat. Auch die Decken des Repräsentations 
raumes und des Raumes mit den Töpfereien zeigen An 
wendungen desselben. Flächenmuster werden mit Scha 
blonen wenig erhaben in einer besonderen Stuckmasse 
direkt auf den Wand- oder Deckenputz aufgetragen, an 
dem die aufgebrachte Masse außerordentlich fest haftet 
und sogar der Witterung standhalten soll. Wie die Aus 
stellung zeigt, lassen sich damit sehr hübsche Wirkungen 
erzielen. (Der Wandfries des in dieser Nummer ab 
gebildeten Schlafzimmers der Münchner Ausstellung 1905 
wurde gleichfalls in dieser Art ausgeführt.) 
Die ausgestellten Töpfereien sind zumeist Modellformen 
mit der Anwendung eines alten hessischen — des sog. 
Marburger — Zierverfahrens und sind bei Gelegenheit 
eines Kurses entstanden, den Haustein im Aufträge der 
Regierung unter den hessischen Hafnern zur Wieder 
belebung jener alten Technik gab. Die Gefäße sind frei 
auf der Scheibe gedreht und zeigen freihändig geformte 
und aufgelegte Ornamente oder farbige, mit dem so 
genannten Malhorn angebrachte Verzierungen. 
Im vorderen Rundraume, dessen Decke jetzt nach einem 
Vorschläge von Professor Pankok eine originelle Ge 
staltung erhalten hat, sind eine Anzahl kunstgewerblicher 
Kleinarbeiten aller Art ausgestellt: Schmucksachen, ge 
triebene Gefässe, Buchschmuck, Lederarbeiten, Stickereien 
u. a. Unter den ausgebängten Abbildungen ist besonders 
interessant der Entwurf für eine Neuausstattung eines 
alten Saales mit gotischer Holzkonstruktion. Es ist dies 
der Festsaal des Frankfurter Architekten- und Ingenieur 
vereines im sog. „Steinernen Hause“ in Frankfurt, für 
dessen Einrichtung der Verein einen engeren Wettbewerb 
unter Haustein, Riemerschmid und Architekt Körnig aus 
schrieb (vgl. Nr. 50 Jahrgang II). Der Verein soll 
neuerdings die Absicht haben, zum gleichen Zwecke noch 
mals einen Wettbewerb unter seinen Mit 
gliedern auszuschreiben; es wäre jedoch ge 
wiß das klügste, statt dieser unnützen Kraft 
vergeudung einen der drei vorhandenen Ent 
würfe ausführen zu lassen. 
Alles in allem zeigt uns die Ausstellung, so 
klein und unvollständig sie auch ist, Hau 
stein als einen tüchtigen, selbständigen und 
vielseitigen Künstler, von dem wir gewiß noch 
viel erwarten dürfen. Ein paar Angaben 
über den Entwicklungsgang des Künstlers 
dürften interessieren. 
Haustein ist 1880 in Chemnitz in Sachsen 
geboren. Er besuchte ein Jahr lang die 
Dresdner Kunstgewerbeschule, kam 1897 nach 
München, wo er nach einjährigem Studium 
an der Kunstgewerbeschule an der Akademie 
2 Semester lang Malunterricht bei Johann 
Herterich nahm. Von da an ging er seine 
eignen Wege, die ihn bald zu Erfolgen führ 
ten. Für eine Dresdner Firma entwarf er 
Beleuchtungskörper; in weiteren Kreisen 
machte er sich durch seine Zierleisten und 
Umrahmungen in der „Jugend“ bekannt. 1899 
trat er in Beziehungen zu den Münchner 
„Vereinigten AVerkstätten“, wo er sich be 
sonders mit Metallarbeiten beschäftigte. 
Später schuf er für den Münchner Kunst 
keramiker J. J. Scharvogel Entwürfe für 
Kunsttöpfereien, Fliesen undähnliches. Fürden 
um moderne Buchkunst hochverdienten Verlag 
Eugen Diederichs in Jena zeichnete er Buch-
	        

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