3. FEBRUAR 1906
BAUZEITUNG
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EIN NEUES ORTSBAUSTATUT
Aus Ludwigsbüeg geht uns folgende Mitteilung zu:
Mit dem 1. Januar 1906 ist in Ludwigsburg ein Orts
baustatut in Kraft getreten, das sieb in mannigfacher
Hinsicht von den Statuten aller andern württembergischen
Städte unterscheidet. Schon äußerlich durch seinen Um
fang; während die andern Statuten 80—90 Paragraphen
haben, hat das unsrige nur 30. Eine große Anzahl von
Bestimmungen ist weggelassen, die überall sonst wieder
kehren und uns zum Teil als überflüssig, zum Teil als gerade
zu schädlich erschienen. So fehlen Bestimmungen über
die Zulässigkeit und äußere Gestalt von Doppelhäusern,
eingehende Vorschriften über die Baumaterialien, die
Vorschrift des unbedingten Massivbaus und viele andre.
Zu den schädlichen rechneten wir hauptsächlich die be
engenden Vorschriften über die Gestaltung der Dächer
und den fast überall geltenden schematischen Abstand
von 2,8—3 m in den neueren Straßen. Wir fördern die
geschlossene Bauweise, wo wir können; erscheinen Ab
stände nötig, so machen wir sie so groß, daß sie wirklich
etwas nützen, gestatten aber innerhalb zulässiger Grenzen
beliebige Verteilung der Abstände. So beschränkt sich
das Statut auf Vorschriften über den Bau der Dohlen,
den Ersatz der Gruuderwerbungskosten durch die Eigen
tümer, über Gehwege, Vorgärten, Aborte, Treppen u. s.w.
Von allgemeinem Interesse dürfte der § 17 sein, er lautet:
„Es ist zulässig, die Gebäude ganz oder teilweise hinter
die Baulinie zurtickzusetzen; sie brauchen in diesem Fall
nicht gleichlaufend mit der Baulinie erstellt zu werden.
Der Baupolizeibehörde bleibt überlassen, in diesem Fall zu
bestimmen, daß der Raum zwischen den Gebäuden und der
Baulinie gegen die Straße abgegrenzt wird. Sie kann
auch anordnen, daß dieser Raum, soweit er nicht als
Gehweg befestigt wird, als Vorgarten gemäß der Vor
schrift des § 15 angelegt wird.“
Die Vorschrift war für die Vorstadt Eglosheim schon
im Jahr 1904, als der Stadtbauplan dort festzustellen
war, erlassen worden und hat sich dort bestens bewährt.
Insbesondere wenn die Eigentumsgrenzen schräg zur
Baulinie laufen, ermöglicht sie dem Grundbesitzer ein
Bauen, ohne daß er auf den guten Willen des Nachbars
angewiesen ist. Daß damit aber auch das Straßenbild
viel abwechslungsreicher und schöner gestaltet werden
kann, zeigt ein Blick in die einfachste ältere Dorfstraße.
Mit der neuen Bestimmung ist für Ludwigsburg der Bau
linienzwang endgültig beseitigt, die Baulinie bezeichnet
lediglich noch die vordere Grenze des Bauens, Wir hoffen,
daß nun auch die Architekten und Bauunternehmer nicht
im alten Schema verbleiben, sondern die Freiheit be
nutzen zum Besten der Bauherren und zum Vorteil des
Straßenbildes. Oberbürgermeister Hartenstein.
VEREINSMITTEILUNGEN
Württembergischer Baubeamten- Verein. Einladung
des Ausschusses zu einer Sitzung am Sonntag, den
11. Februar, nachmittags l 1 / 2 Uhr im Jagdzimmer des
Hotel Royal. Gegenstand: Einlauf, Ausschuß des Südd.
Techn.-Verb., Statutenänderung, Vorberatung der Mit
gliederversammlung, Feststellen des Jahresetat. Voll
zähliges Erscheinen sehr erwünscht. Mit kollegialem
Gruß Der Vorstand.
Württ. Verein eür Baukundb. Der in der 2. ordent
lichen Versammlung des Vereins am 20. Januar stell
vertretenderweise den Vorsitz führende Oberbaurat Zügel
gedachte zuerst der seit der letzten Sitzung verstorbenen
Mitglieder Oberbaurat v. Ehmann und Bauinspektor
Gugler, die mitten in der Arbeit (beide auf einer Dienst
reise) vom Tod ereilt wurden. Anschließend daran wur
den verschiedene geschäftliche Angelegenheiten erledigt
und namentlich die Frage einer Aufhebung des Zeit
schriftenumlaufs und einer Ueberweisung der Bücherei
an irgendeine größere Lehranstalt besprochen. Der
wissenschaftliche Teil des Abends bestand in zwei Vor
trägen, von Professor Maurer über die Wasserversorgung
Berkheims, OA. Eßlingen, sowie von Baurat Woltz über
einige in den letzten Jahren von der Firma Bihl & Woltz
hier ausgeführte Neubauten.
Professor Maurer teilte etwa folgendes mit; Die Ge
meinde Berkheim, die bisher von drei laufenden Brunnen,
deren Wasser aber nicht einwandfrei ist, versorgt wurde,
entschloß sich 1904 zum Bau einer eignen Wasserleitung.
Das nördlich des Orts vorhandene Quellgebiet lag leider
nicht hoch genug, um mit natürlichem Druck zur Ver
wertung gelangen zu können; es mußte deshalb zu einem
Pumpwerk gegriffen werden. Als treibende Kraft hierzu
wurde, obwohl die von Altbach aus nach Hohenheim
gehende Starkstromleitung in nächster Nähe des Sammel
schachtes vorbeiführt, nicht die Elektrizität, sondern
Wasserkraft gewählt, um im Hinblick auf ein etwaiges
Versagen des Stroms später keinen Unannehmlichkeiten
ausgesetzt zu sein. Da der Berkheimer Bach nicht ge
nügend Wasser führt, um unmittelbar eine Turbine an
zutreiben, wurde er durch einen quer über die Klinge
gebauten Staudamm in einen Weiher umgewandelt, aus
dem nun je nach Bedürfnis das zum Betrieb der kleinen
Hochdruckturbine notwendige Wasser entnommen werden
kann. Für die Errichtung eines Erddamms lagen die
Verhältnisse insofern günstig, als die geeigneten Bau
stoffe sämtlich in unmittelbarer Nähe zu haben waren.
Der Damm hat bei 6 m Kronenbreite eine Höhe von
ca. 9 m. Im Innern enthält er einen Betonkern bis auf
3,45 m unter Oberfläche, wodurch die Festigkeit beträcht
lich erhöht wurde. Die Rohrleitung besteht ganz aus
Mannesmannröhren und ist insofern bemerkenswert, als
sie einen ersten Versuch der Einführung dieser Rohrart
in Württemberg bedeutet. Schon im Jahre 1904 hatte
sich Redner von ihren Vorteilen bei dem Bau der Wasser
versorgung in Kirchheim a. N. überzeugt. Auch hier in
Berkheim machte sich ihre bedeutend größere Zähigkeit
gegenüber den Gußrohren verschiedentlich aufs ange
nehmste geltend. Der Hochbehälter ist von einem nach
der Drucklinie ausgeftihrten Gewölbe überspannt und in
seinen Abmessungen so gehalten, daß er imstande ist,
die Ortschaft D/2 Tage lang zu versorgen sowie im Falle
eines Brands 2 Hydranten 3 bezw. bei laufender Pumpe
4 Stunden lang zu speisen. Die Kosten der ganzen
Anlage (einschließlich Grunderwerb) kamen auf rund
100000 M. zu stehen.
Nachher sprach Baurat Woltz zunächst über den Neu
hau der Stuttgarter Diakonissenanstalt in der Roseuberg-
straße. Die Fassade ist in weißem Keupersandstein
gehalten, die Felder sind in Verblendern ausgeführt. Im
Innern ist den modernsten Anforderungen Rechnung ge
tragen, namentlich was die Einrichtung der Operations
räume betrifft. Um das für Kranke wie Krankenträger
gleich unangenehme Begehen der Treppen mit Tragbahren
zu vermeiden, ist ein durch das ganze Haus durchgehen
der, entsprechend großer Fahrstuhl eingebaut, in welchem
die Beförderung zu und von der Operation mühelos vor
sich geht. Der ausgedehnte Hofraum dient zur Auf
nahme des Wasch- und des Leichenhauses sowie eines
dazwischen gelegenen Gartens. Weiterhin wurde sodann
an der Hand umfangreichen Materials an Zeichnungen
und Photographien das in der „Bauzeitung“ bereits be
sprochene Tietzsche Warenhaus geschildert sowie das zu
gleicher Zeit entstandene Kaufhaus Schaarschmidt am
Markt. Lehrreich war hier eine Vergleichung der beiden
hauptsächlichsten für derartige Bauten in Betracht kom
menden Deckenkonstruktionsarten; die Eisenbetondecke
hat den Vorzug weitaus größter Billigkeit, besitzt aber
anderseits den Nachteil, daß spätere Aenderungen in
der Raumeinteilung so gut wie ganz ausgeschlossen sind
sowie daß während des Baus mit den Außenmauern fort