III. JAHRGANG
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FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN EL
SAS S - LOTHRINGEN
STUTTGART, 1«. FEBRUAR 1906
NUMMER 6
ALLE RECHTE VORBEHALTEN. - INHALT; ALBRECHT DÜRER. - DENKMALPFLEGE UND MODERNE KUNST. — IN
TERIEURS VON PAUL HAUSTEIN. - WALDHAUS IN LIEBENZELL. - HAUS FÜR DIE LANDSMANNSCHAFT SCHOTT
LAND IN TÜBINGEN. - VEREINSMITTE1LUNGEN. - SÜDDEUTSCHER HOLZMARKT. - WETTBEWERBE. - KLEINE MIT
TEILUNGEN. — PERSONALIEN. — BÜCHER
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ALBRECHT DÜRER. (Tradition und Freiheit.)
„Dann es muß gar ein spröder Verstand sein, der Hirne
nit trauet auch etwas Weiters zu erfinden, sonder liegt
aUwegen auf der alten Bahn, folgt allein Änderen nach
und untersteht sich nichten weiter nachzudenken. Derhalh
gebührt einem jeglichen Verständigen, also einem Anderen
nachzufolgen, daß er nit verZweifel, daß er mit der Zeit
auch ein Bessers erfinden mög. Dann so das geschieht,
darf es keinen Ziveifel, daß diese Kunst mit der Zeit
wieder tuie vor Alter ihr Vollkommenheit erlangen mög. u
DENKMALPFLEGE UND MODERNE KUNST. VON
DR. GEORG HAGER IN MÜNCHEN (SCHLUSS)
Wie sehr wir noch in die Manier der Stileinheit ver
strickt sind, in das Streben, das den Weg alles Irdischen
Gegangene wieder aus dem Boden zu zaubern, das zeigt
sich ferner in jenen Fällen, da alte Bauwerke einstürzen.
Den Plan, den alten Bau in den alten Formen wieder
aufzurichten, halten wir gewöhnlich für so berechtigt
und selbstverständlich, daß wir die Möglichkeit, etwas
Neues, aber der Umgebung Angepaßtes an die Stelle zu
setzen, in der Regel gar nicht erwägen. Und doch wird
der dem alten möglichst ähnlich nachgeahmte Bau nichts
andres sein als eine sklavische Kopie, die schließlich bei
vielen als Täuschung und Fälschung wirkt, ja er wird
unter Umständen einer Kulissen- und Theaterdekoration
ähneln, weil nur das Aeußere beibehalten, das Innere
aber entsprechend unsern Bedürfnissen und unsern ent
wickelten Mitteln der Technik umgeändert wurde. Das
ist ein krankhafter Auswuchs des historischen Sinnes. Als
zum Beispiel der Markusturm in Venedig einstürzte, war
fast alle Welt darüber einig, daß nur der möglichst ge
treue Aufbau wieder in Frage komme. Das alte Wahr
zeichen Venedigs soll wieder erstehen. Kunsthistorisch
wird dieser wiedererstandene Turm so viel wie wertlos
sein. Eine künstlerische Tat aber wäre es gewesen,
einen neuen, selbständig entworfenen Turm in den Maß
verhältnissen, in den Umrissen, in Form und Farbe har
monisch in das alte Bild einzufügen.
Es sind nur wenige Beispiele, die ich aus der großen
Menge der die Denkmalpflege täglich beschäftigenden
Fragen und Aufgaben herausgegriffen habe. Aber sie
genügen, zu zeigen, welcherart das Problem ist, das
die Denkmalpflege zu berühren beginnt. Gerade jetzt,
da das Interesse für Denkmalpflege von Jahr zu Jahr,
ja von Tag zu Tag weitere Kreise zieht, da die Denkmal
pflege eine Macht geworden ist, die sehr tief in unsre
Verhältnisse, vor allem auch in die Gestaltung der in
alter Umgebung entstehenden Neubauten eingreift, er
wächst den mit ihr betrauten Organen die ernste, strenge
Verpflichtung, gegenüber dem Kultus der Vergangenheit
die Bedürfnisse der Gegenwart, die Hoffnungen der Zu
kunft nicht zu übersehen. Der Denkmalpfleger muß mit
der intimen Kenntnis und Wertschätzung des Alten auch
den Sinn für die lebende, nach neuen Ausdrucksformen
ringende Kunst vereinen. Er darf die künstlerische Ent
wicklung nicht aufhalten wollen. Er muß mithelfen, der
modernen Kunst die Bahn zu ebnen überall da, wo es
ohne Beeinträchtigung des guten Alten möglich ist. Je mehr
wir uns bei neuen Zutaten an alten Baudenkmälern frei
machen von der stiltreuen Verwendung alter Formen, desto
reiner, desto wertvoller bleibt das künstlerische Erbe der
Vergangenheit, das wir kommenden Generationen übergeben.
Unsern Künstlern wünsche ich etwas von dem Selbst
bewußtsein, von dem Selbstvertrauen, mit dem frühere
Jahrhunderte der älteren Kunst gegenübertraten. Der
Rücksichtslosigkeit, mit der man zum Beispiel im Barock
und Rokoko wertvolle alte Werke zugunsten der eignen
Schöpfungen zerstörte, rede ich selbstverständlich nicht
das Wort. Die Erkenntnis von der Gleichberechtigung
der verschiedenen Stilarten bedingt zugleich auch die
Verpflichtung, hei Zutaten auf möglichster Erhaltung des
Alten zu bestehen. Diese Erkenntnis und diese Ver
pflichtung nehmen wir, wie die wiedergewonnene Technik,
als schönstes und wertvollstes Ergebnis des Zeitalters ver
tiefter historischer Studien und retrospektiver Kunst
richtung mit in die Zukunft.
Aber nicht nur den Künstlern, auch den Auftraggebern,
den Bauherren möge der edle Ehrgeiz wiederkehren,
Kunstschöpfungen ins Leben zu rufen, die selbständig
neben und in den alten Werken stehen und kommenden
Generationen die Tatkraft, den frischen Wage- und Lebens
mut ihrer Urheber künden. Vor allem an den hoch
würdigen Klerus, der so großen und bestimmenden Ein
fluß auf die Kunst zu üben vermag, richte ich die Bitte,
eingedenk der ruhmvollen Traditionen der kirchlichen
Kunstpflege Vorsorge zu treffen, daß im Hause Gottes
nur wahre, innerlich erlebte Kunst Eingang finde.
Schlagen wir die Geschichte eines Klosters, einer Stifts
kirche, eines Domes nach, immer finden wir, daß der
Klerus, wenn die Mittel es nur erlaubten, das Schönste,
Beste und Eigenartigste bei Erbauung und Einrichtung
der Gotteshäuser zu erreichen suchte. Und das Schönste
und Eigenartigste fand man stets in dem Neuesten.
Wohl weiß ich, daß solche Anschauungen, die übrigens
vor mir bereits andre vertreten haben, nur langsam sich
Bahn brechen können. Jedes Uebereilen und Ueber-
stürzen wäre von Uebel. Aber es ist schon viel gewonnen,
wenn die Auftraggeber, wenn die Behörden Projekte, die
in dem angedeuteten freien Sinne gehalten sind, mit dem
gleichen Wohlwollen, mit der gleichen Unbefangenheit
prüfen wie die Projekte von Künstlern, die strenge in