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BAUZEITUNG
NR. 7
Diele im Haus Lange in Tübingen. Von Professor Bernhard Pankok-Stuttgart. Außenansicht und Grundrisse um
stehend. Nach photographischen Aufnahmen von Dr. Pranok-Oberaspaoh
nachleben könnten, so wurde doch die Beschränkung aus
gesprochen, daß sie für ihr Bekenntnis nicht Propaganda
machen dürften und daß sie auch nicht eine Gemeinde
zu bilden hätten. So ist denn diese Yorstadt, die an
sich bereits im Jahre 1576 begründet ist, mit dem Namen
„Gotteslager“ ausgestattet worden, also etwa: Nieder
lassung um Gottes willen, und ähnliche Gründungen, die
auch den Namen Gottes in dieser Weise tragen, und
zwar reformierte Ansiedelungen bestehen jetzt noch im
nördlichen Hessen. Inzwischen begann aber zwischen
dem Herzog und seiner ersten Stadt Braunschweig ein
arges Zerwürfnis. Der Herzog, erbittert über den Wider
stand der Stadt, suchte sie und ihren Handel vollständig
zu unterdrücken, und nun tauchen ganz phantastische
Pläne auf, die gerade bei einem so nüchtern und ver
ständig denkenden Manne, wie Herzog Julius es war,
ganz besonders auffallen. Es begann also der Plan ganz
merkwürdig ins Ungemessene zu wachsen. Es sollten
nicht weniger als zwölf Dörfer der Umgehung und vier
Klöster in diese neue Stadt aufgenommen werden. Sie
sollte an Größe Braunschweig weit übertreffen, und weil
auch sie ja schließlich auf die Okerstraße angewiesen war,
so hatte bereits der Herzog Julius den Gedanken, einen
Kanal anzulegen, der um die Stadt Braunschweig herum
ging und schließlich die Verbindung mit der Aller und
Weser suchte. Dieser Plan, meine Herren, konnte nicht
verwirklicht werden. In den ersten Anfängen blieb die
Yorstadt stecken; auch, nachdem sie später wegen Er
weiterung der Festungswerke hinausgeschoben wurde,
blieb sie eine kleine, unscheinbare Yorstadt, die aber
ihren Namen „Gotteslager“ auch an die neue Stelle mit
hinübernahm. Da war es im Jahre 1879, daß die Be
wohner darum einkamen, den Namen ändern zu dürfen.
Es war nämlich, weil lauter kleine Leute im Gotteslager
wohnten, allmählich der Ausdruck „Gotteslagerscher“
von einem recht Übeln Klang geworden. Freilich von
diesem schlechten Ruf der Yorstadt war in dem Bitt
gesuch nicht weiter die Rede, sondern hier wurde aus
gesprochen, da nun die Yorstadt jetzt gerade 300 Jahre
bestanden hätte und eigentlich ihrem Namen nicht mehr
recht entspräche, weil ja jetzt kaum noch die Gefahr
wäre, daß die Lutheraner in dem Lande Braunschweig
verfolgt würden, wäre es wohl an der Zeit, den Namen
zu ändern, und indem sie vor allen Dingen darauf auf
merksam machten, welche Bedeutung der Herzog Julius
für diese Yorstadt gehabt hätte, meinten sie schließlich,
daß es dieser Bedeutung wohl entsprechen würde, wenn
die Vorstadt den Namen Juliusstadt erhielte. Das ist
denn auch in der Tat geschehen. Es fragt sich freilich,
meine Herren, ob es denn nun der Pietät besser entsprach,
wenn man den Namen des Herzogs auf die Yorstadt
übertrug, der eigentlich an einem ganz andern Teile von
Wolfenbüttel haftete, oder wenn man den alten Namen
Gotteslager, der ja so einzigartig ist, festhielt. Einige
Jahre später wurde an der Stelle, wo das ursprüngliche
Gotteslager gelegen hatte, ein Platz angelegt, und es
fragte sich, wie er zu benennen wäre. Ich schlug damals
vor, man sollte den alten Namen Gotteslager wieder ein
führen; aber die Stadtverwaltung entschied sich dafür,
den Platz Herzog Wilhelm-Platz nach dem letzten Herzog
aus wölfischem Stamme in Braunschweig zu nennen. So
bestehen denn Lauenkuhle und Gotteslager nicht mehr
für Wolfenbüttel.
Was lehren uns nun diese Beispiele? Zunächst einen
völligen Mangel an geschichtlichem Sinn. Freilich ist
solcher ja bei den kleinen Einwohnern — es handelt sich
in beiden Fällen um solche — nicht zu suchen. Aber
man hätte doch vielleicht erwarten können, daß die Be
hörden ihn besaßen oder daß sie sich doch wenigstens
in dieser Richtung belehren ließen. Beim Gotteslager
lag die Sache insofern noch ganz besonders eigenartig,
als mit der Umnennung die tatsächlichen Verhältnisse
nicht aus der Welt geschafft wurden; denn was ehemals
ein „Gotteslagerscher“ war, das war in nächster Zeit ja
natürlich ein „Juliusstädter“, und es fragt sich, ob die
guten Einwohner nicht nächstens noch einmal darum
einkommen, ihre Stadt anders nennen zu können.
Freilich, an sich ist ja eine Umnennung unter bestimmten
Bedingungen nicht immer zu vermeiden. Wenn zum
Beispiel eine Straße in einen besonders Übeln Ruf gerät,
die Verhältnisse sich aber in ihr bessern, nun dann kann
man es den Leuten nicht verdenken, wenn sie mit der
Aenderung der Verhältnisse auch den alten Namen los
sein möchten. So ist es zum Beispiel der Fall in Dresden
bei der Fischersgasse, die jetzt die Brühlsche Gasse heißt,
oder in Hannover bei der berüchtigten Umkehr, die freilich
jetzt den unschönen Namen Tivolistraße bekommen hat.
Aber in Wolfenbüttel sieht es doch eigentlich so aus, als
wenn ein armer Mann einen neuen Rock angezogen und
schließlich vergessen hat, auch die Wäsche zu wechseln.
Bei der Lauenkuhle lag der Fall etwas anders. Hier
war offenbar nur der Name Kuhle anstößig, man dachte