17. FEBRUAR 1906
BAUZBITUNG
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Im Monat September 1904 beschlossen die bürgerlichen
Kollegien der Stadt Heidenheim nach eingehender Prü
fung der auf ein Konkurrenzausschreiben eingereichten
Projekte, die Ausführung des Werkes den Siemens-
Schuckert Werken in Berlin-Nürnberg zu übertragen.
Als Stromsystem wurde das Gleichstrom-Dreileiter-System
mit geerdetem Mittelleiter und 2x220 Yolt Konsum
spannung gewählt.
Nach Abschluß des Vertrages zwischen der Stadtgemeinde
Heidenheim und den Siemens-Schuckert Werken beauf
tragte das Stadtschultheißenamt Heidenheim den Archi
tekten P. J. Manz in Stuttgart mit der Ausführung des
Gebäudes für das städtische Elektrizitätswerk. Da als
ßetriebskraft Gas vorgesehen war, wurde der Bauplatz
in unmittelbarer Nähe des Gaswerkes, am Fuße des
Schmittenberges, auf städtischem Grund und Boden ge
wählt, wobei gleich von vornherein auf eine zweckmäßige
Erweiterungsfähigkeit Bedacht genommen werden konnte.
Der Bau wurde am 21. September 1904 begonnen und
so rasch gefördert, daß derselbe noch vor Eintritt des
Winters unter Dach gebracht wurde.
Für die Außenseiten des Zentralengebäudes wurde eine
kräftige Backsteinarchitektur mit weißen Putzfeldern ge
wählt, die Fenstereinfassungen, Lisenen u. s. w. sind aus
roten Fassadesteinen, weiß ausgefugt, Fensterbänke, Ab
deckungen und Aufsätze in weißen überarbeiteten Kunst
steinen ausgeführt. Das Dach ist mit Falzziegeln nach
dem sogenannten ünterdecksystem eingedeckt; die Dach
binder sind mit einer Holzbalkendecke markiert.
In die Maschinenhalle gelangt man durch den auf der
Südwestseite des Gebäudes an der Straße zur Schmelz
ofenvorstadt gelegenen Haupteingang.
Durch große Bogenfenster dringt eine angenehme Hellig
keit in den schmucken Maschinenraum, dessen Decke und
Wände einen vollständig weißen Anstrich erhalten haben.
Der Fußboden des Maschinenraums ist mit Steinzeug
platten belegt, während die Wandflächen auf Manneshöhe
mit Fayenceplatten (weiß mit blauem Abschlußband) ver
kleidet sind.
Die beiden von der Gasmotorenfabrik Deutz aufgestellten
Zwillings-Gasmotoren leisten bei Betrieb mit Koks-Saug-
gas je 180 effektive Pferdestärken bei 180 Umdrehungen
pro Minute, während die beiden direkt gekuppelten
Dynamos je 124 Kilowatt bei 500 Yolt Spannung ab
geben können. Beide Motoren sind mit vorzüglicher,
äußerst empfindlicher Regulierung ausgestattet, welche
mit einer Tourenstellvorrichtung kombiniert ist, die eine
Verstellung der Tourenzahl um + 5% während des
Betriebes von Hand ermöglicht. Die Motoren sind mit
besonders schweren Schwungrädern, deren Gewicht je
ca. 11000 kg. beträgt, ausgerüstet, wodurch eine äußerst
konstante Spannung an den Dynamos und infolgedessen
auch ein ruhiges und angenehmes Licht erzielt wird.
Durch die schweren Schwungräder wird ein Ungleich
förmigkeitsgrad von 1: 150 erreicht.
Eine Beschreibung der Einzelheiten der beiden Gas
motoren und Dynamos würde hier zu weit führen, es sei
nur bemerkt, daß auf einfache Gesamtanordnung, gefällige
Form und äußerst sorgfältige konstruktive Durchbildung
der größte Wert gelegt wurde.
Sämtliche Rohrleitungen und Gaskessel sind in leicht
zugänglichen überwölbten Kanälen unter dem Boden des
Maschinenraums untergebracht; zur möglichsten Dämpfung
des Auspuffgeräusches ist für jeden Motor noch ein zweiter
Auspufftopf in die Auspuffleitung eingeschaltet.
Für die Montage und Demontage der Motoren und
Dynamos wurde von der Firma K. Haushahn in Stutt
gart ein Laufkran von 6000 kg Tragkraft (7500 kg Probe
belastung) und ca. 11,68 m Spannweite für Handbetrieb
in den Maschinenraum eingebaut.
Ferner ist in dem Maschinenraum eine aus 4 Feldern
bestehende einfache Schalttafel aufgestellt, welche zur
Aufnahme der erforderlichen elektrischen Apparate dient.
Zur Abführung der Speiseleitungen sowie zur Anbrin
gung der für das Leitungsnetz erforderlichen Meßinstrumente
ist in einiger Entfernung hinter der Hauptschalttafel eine
besondere Verteilungsschalttafel aufgestellt. Als Ver
bindungsleitungen zwischen den Dynamos und der Schalt
tafel wurden eisenbandarmierte Bleikabel verwendet,
welche im Maschinenhaussouterrain neben den zur Stadt
führenden Speiseleitungeu in einem abgedeckten Kabel
kanal untergebracht und zur Schalttafel durch den Ma
schinenhausfußboden hochgeführt sind.
Vom Maschinenraume aus führt eine Verbindungstüre
zum Generatorenraum, wo die zur Gaserzeugung erforder
lichen Apparate aufgestellt sind. Die Sauggasanlage,
„System Deutz“, besteht aus 2 Koksgeneratoren von je
180 PS Leistung mit Verdampfern nebst den erforder
lichen Reinigungsapparaten.
Die Anordnung der Gaszuleitung zwischen Generatoren
und Motoren ist in der Weise getroffen, daß es durch
geeignete Schaltung ermöglicht ist, jeden Motor mit jedem
Generator arbeiten zu lassen. Einer der beiden Motoren
ist außerdem mit Einrichtungen für eventuellen Leucht
gasbetrieb versehen, zu welchem Zweck eine besondere
Leitung vom Gaswerk herüber gelegt ist.
Zum Anblasen der Generatoren ist in einem weiteren
Nebenraum ein Ventilator von 2,5 PS sowie ein zum An
lassen der Gasmotoren dienender Druckluftkompressor
von 4 PS Kraftbedarf aufgestellt; das gemeinsame Vor
gelege wird durch einen Elektromotor angetrieben. Das
Anlassen der Gasmotoren kann, außer mit Druckluft, auch
auf elektrischem Wege unter Zuhilfenahme der Akku
mulatorenbatterie und des Zusatzausgleichaggregats er
folgen, indem die Dynamos als Motoren die Gasmaschinen
zu einigen Umdrehungen antreiben, bis die Zündung oin-
setzt. Für die Aufstellung von Akkumulatoren sind drei
übereinander liegende Räume im Souterrain, Erdgeschoß
und I. Stock vorgesehen, von welchen vorläufig die Hälfte
ausgebaut ist. Die Decken und Wände dieser Räume
sind mit einem weißen, säurefesten Anstrich versehen.
Brunnen von Professor Bernhard Pankok am Haus
Lange. Aus Bruckmann: „Das moderne Landhaus“