17. FEBRUAR 1906
BAUZEITUNG
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Elektrizitätswerk Heidenheim a. Br. Von Architekt Manz-Stuttgart. Eingerichtet von den Siemens-Schuckert Werken
der wichtigsten und schwierigsten Fragen für Eltern ist die
Berufswahl für ihre Söhne. Wie oft legen sich dieselben die
Frage vor, welcher Beruf bietet, bei Berücksichtigung
der jeweils zur Verfügung stehenden Mittel für die Aus
bildung, die besten Aussichten, und für welchen Beruf
eignet sich, nach eigner Wahrnehmung, der junge Mann
am besten?
Diese Fragen beschäftigen namentlich im Frühjahr, wenn
der Schulschluß in nicht allzu weiter Ferne steht, die meisten
Täter, Mütter und Vormünder von jungen 14—16jährigen
Söhnen. Wie oft hört man namentlich Eltern von minder-
begabten oder gar faulen Schülern, die wenig oder gar
keine Aussicht haben, den Befähigungsnachweis für die
VII. Klasse einer höheren Lehranstalt zu erhalten, wo
durch ihnen auch die Laufbahn im mittleren Eisenbahn-,
Post-, Notariatsverwaltungs- oder Finanzdienst abgeschnit
ten wäre, sagen; Mein Sohn hat keine Freude an den
fremden Sprachen und auch kein Talent dazu, dagegen
glaube ich, daß er die technischen Fächer besser lernen
und begreifen würde, ich lasse ihn deshalb Bautechniker
werden, dann kann er später, wenn es ihm nicht gelingt,
ein eignes Geschäft zu erhalten, zu dem ich ihm die
Mittel nicht geben kann, immer noch technischer Beamter
werden. So denken zu ihrem eignen Nachteil sehr viele
Eltern und Vormünder, doch nicht etwa, weil sie wirk
lich der Meinung sind, daß minderbegabte Schüler sich
besonders zu Bautechnikern eignen, sondern weil sie in
dieser Laufbahn den fast noch einzig möglichen Weg
sehen zu einer mittleren Beamtenstelle, und weil sie
glauben,"Jes wäre für . sie und Ähre Familie eine Schande,
Das städtische Elektrizitätswerk in Heidenheim a. Brenz
wenn der Sohn ein einfacher Handwerker würde, wo er
doch bei einigem Fleiß und Sparsamkeit viel bälder eine
sichere, meist viel selbständigere und oft auch angesehenere
Stellung im Leben einnehmen könnte. Es ist daher auch
die Kgl. Baugewerkschule gegenwärtig stets überfüllt; so
waren es im letzten Frühjahr 155 Kandidaten, die die
Bauwerkmeisterprüfung bestanden, während nach den
bisherigen Erfahrungen jährlich höchstens nur 15—20
Kandidaten auf eine definitive Anstellung im Staats-,
Korporations- oder städtischen Dienst rechnen dürfen.
Wie und wo sollen nun die übrigen Kandidaten in ge
sicherten Lebensstellungen untergebracht werden? Wohl
kann man darauf rechnen, daß mehrere dieser geprüften
Techniker eigne Geschäfte übernehmen oder gründen,
ebenso verschiedene im Privatdienst, sowohl im Inland
als auch im Ausland, gesicherte Stellungen erhalten, doch
werden immerhin hiervon gegen 100 geprüfte Bauwerk
meister übrigbleiben, darunter namentlich die weniger
talentierten mit geringeren Examensnoten, die teilweise
nur deshalb Bautechniker geworden sind, weil es in der
Schule nicht gereicht hat, das Einjährige zu erhalten,
und die es auch hier wegen des großen Andrangs nur
in seltenen Fällen zu einer befriedigenden Lebensstellung
bringen. Ja ein großer Teil dieser Bauwerkmeister wird,
trotz der sehr beträchtlichen Auslagen für den langen
Studiengang, in ihrem späteren Alter noch gezwungen
sein, zu einem andern Fach oder Geschäft überzugehen.
Aber auch diejenigen, denen es durch ihre Tätigkeit,
ihre gute Examensnote, ihren Fleiß oder aus sonstigen
Ursachen gelungen ist, eine sichere Lebensstellung, sei
es im Staats-, Korporations- oder Gemeindedienst, zu
erhalten, finden in den meisten Fällen auch hier ihre
volle Befriedigung nicht, denn trotz der großen Verant
wortlichkeit, die meist mit der technischen Beamten
stellung verbunden ist, ist es dem Techniker nur in ganz
wenigen Ausnahmsfällen möglich geworden, in gleich
hoch bewertete und gleich gut besoldete Beamtenstellen
vorzurücken, wie dieses bei dem übrigen mittleren Be
amtendienst einem großen Teil möglich ist. Zu einer
vollständigen Gleichbewertung der mittleren Baubeamten
mit den übrigen mittleren Beamten wird für die ersteren
wohl zukünftig ein gleicher Vorbildungsnachweis nötig
werden wie für die letzteren, denn tatsächlich ist diese
Vorbildung für beiderlei Beamte ganz gleich nötig.
Nimmt man sodann die beträchtlichen Kosten für die
technische Ausbildung auf einer Baugewerkschule in
Rechnung, so ist die technische Beamtenlaufbahn eine
ungleich teurere und unbefriedigendere als diejenige der
nichttechnischen Beamten.
Wenn diese Tatsachen von den Eltern und Vormündern
bei der Berufswahl ihrer Söhne in Betracht gezogen