BÄUZEITU,
FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN EL
SAS S-LOTHRINGEN
STUTTGART, 17, MÄRZ 1006
ALLE RECHTE VORBEHALTEN. - INHALT: GEMEINNÜTZIGE GESELLSCHAFTEN FÜR WERKSTÄTTEN BAU. EIN DE
ZENTRALISATIONSMITTEL. —WETTBEWERB FÜR EIN REALGYMNASIUM IN ALTENESSEN. - EIN NEUES DEKORATIONS-
VERFAHREN. - DER BRAND DES LUDWIGSBURGER WARENHAUSES. - VEREINSMITTEILUNGEN. — WETTBEWERBE.
— KLEINE MITTEILUNGEN. - PERSONALIEN.
GEMEINNÜTZIGE GESELLSCHAFTEN FÜR
WERKSTÄTTENBAU. EIN DEZENTRALISATIONS
MITTEL. Kürzlich als Flugschrift der Deutschen Gar
tenstadt-Gesellschaft veröffentlicht mit folgender Vor
bemerkung; Die Arbeit erschien zuerst in der „Hand
werkszeitung“, dem amtlichen Organ der Handwerkskammer
zu Berlin. Sie ist nur als eine allgemeine Anregung
zu betrachten, die noch eingehenderen Studiums beidarf.
Die gemeinnützige Werkstättengesellschaft stellt sich unter
anderm als Mittel dar. das dem kapitalloseren Mittel- und
Kleingewerbe den Weg aus der Großstadt zur Gartenstadt
ebnen kann. Das ist der Grund, weshalb wir die Arbeit,
die mehr allgemeine Ziele sozialer Organisation verfolgt,
veröffentlichen.
Eine gemeinnützige Baugesellschaft ist heute nichts Un
bekanntes mehr. Es ist diejenige Form der praktischen
Wohnungsreform, die zuerst auf den Plan trat und wohl
bisher auch quantitativ am meisten geleistet hat.* Das
neue und sozial wichtige Prinzip in ihr ist der Verzicht
auf eine Aneignung der stets steigenden städtischen Grund
rente. Man erwirbt Terrain, baut Häuser und läßt sie
in Eigentum übergehen oder vermietet sie. Verkaufs-
resp. Mietspreis sind prinzipiell so gestellt, daß die Ge
sellschaft nie mehr als eine bescheidene Verzinsung (etwa
4 °/o) des angelegten Kapitals herauswirtschaftet. Speku
lationsgewinne werden nicht gemacht. Steigt der Grund
und Boden an Wert, so haben Käufer und Mieter den
Vorteil, ein Haus billiger zu erwerben oder eine nied
rigere Miete zu zahlen, als es sonst in der Nachbar
schaft üblich ist.
Doch das ständige Steigen der städtischen Grundrente
übt seine verteuernden Wirkungen nicht allein auf die
Wohnungen aus, sie hat auch eine Werkstättennot, ein
Werkstättenelend gezeitigt, das für das Volks- und Wirt
schaftsleben fast ebenso beklagenswert ist wie die Woh
nungsnot. Der weitaus größte Teil aller Gewerbetätig
keit der Großstädte vollzieht sich in gemieteten Werk
stätten. Dies gilt für fast alle kleinen und mittleren
Betriebe. Nur ganz große Betriebe besitzen gemeinhin
eigne Fabrikgrundstücke und sind damit von der Grund
rentensteigerung unabhängig, während die überwiegende
Mehrheit aller industriellen Betriebe einer ständigen Miets
steigerung infolge von Steigerung der städtischen Boden
rente ausgesetzt ist. Das Resultat ist, daß 1 qm Werk
statt heute in Berlin 8 M. Miete kostet. Das ist ein
* Es ist unmöglich, im ßahmen dieses Artikels auch auf die jüngeren,
aber nicht minder bedeutsamen Baugenossenschaften einzugehen.
landläufiger Preis — keineswegs der höchste Preis in
den Industriehöfen. Ein Quadratmeter Wohnraum kostet
aber kaum mehr als 10 M. Wenn man nun bedenkt,
daß Wohnungsbau ungleich viel teurer als Fabrikbau ist,
so ergibt sich daraus, daß für eine Werkstatt heute relativ
nicht weniger, wahrscheinlich sogar mehr Miete bezahlt
wird als für Wohnräume. Schreiber dieses sind mehrere
Fälle bekannt, wo Architekten durch eine Bebauung mit
Fabrikgebäuden eine höhere Ausnutzung eines Grund
stücks inmitten Berlins herausrechneten im Verhältnis
zu einer Bebauung mit Wohngebäuden. In einem Fall
bestätigte sogar eine gerichtliche Enteignung die Richtig
keit dieser Rechnung. Werkstättenbau scheint also allem
Anschein nach kein schlechtes Geschäft zu sein. Das
massenhafte, pilzartige Aufschießen der großen Industrie
höfe in Berlin und anderwärts ist wohl als eine unzwei
deutige Bestätigung dieser Annahme aufzufassen. Verhält
sich das Leihkapital gegenüber einer Finanzierung oder
Beleihung eines einzelnen für einen bestimmten Gewerbe
betrieb errichteten Gebäudes äußerst mißtrauisch, so tritt
der umgekehrte Fall ein, wenn es sich um eine Kollcktiv-
erzeugung von Werkstätten handelt. Hier tritt vielmehr
das gleiche ein wie beim Kleinwohnungsbau. An sich
ist jeder kleine Mieter keineswegs als eine finanziell sicher
und gefestigt dastehende Person auzusehen, und dennoch
ist wegen des absoluten Wohnbedürfnisses dieser Massen
kaum eine Kapitalsaniage sicherer als die im Klein
wohnungsbau. Auch bei den Industriehöfen beseitigt das
unbedingte Wohnbedürfnis zahlloser Gewerbebetriebe das
Risiko. Bei dem für den speziellen Betrieb gebauten
und nicht für jeden Betrieb tauglichen Einzelgebäude ist
das nicht der Fall. Hier hängt das Risiko von der Tüch
tigkeit der Betriebsleitung, von den Aussichten eines be
stimmten Betriebes, also wechselnden Momenten, ab,
während es bei einem Jndustriehof auf dem Wohlergehen
ganzer Industrie- und Handwerkszweige, der Gesamt
gewerbetätigkeit einer Stadt beruht. Die bauliche Ein
richtung eines Industriehofs ermöglicht zudem bei einem
Wechsel der Bewohner eine leichte Anpassung an die
Raumbedürfnisse neueinziehender Betriebe.
Ist nun in einer Stadt Werkstättenbau im großen als
eine sichere Kapitalsanlage zu betrachten, so scheint
damit die Bedingung für das Eingreifen einer gemein
nützigen Tätigkeit auf diesem Gebiete gegeben zu sein.
Für sie könnte die Form der Genossenschaft und die der
gemeinnützigen Aktiengesellschaft mit beschränkter Divi
dende in Betracht kommen. Es kann hier nicht unter
sucht werden, welche dieser beiden Formen die wirt
schaftlichere oder sozial höherstehende ist. Man wird