FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSE
SASS - LOTHRI
Stuttgart, 23. März 1907
Inhalt: Anforderungen der modernen Baukunst und Technik. — EntwunvrVwrSchülern der Stuttgarter
Baugewerkschule. — Die neue Bauordnung für Württemberg. — Mitgliederversammlung des Württ. ßau-
bearateu -Vereins. — Deutscher Arbeitgeberbund für das Baugewerbe (E. V.). — Vereinsmitteilungen. —
Kleine Mitteilungen. — Personalien.
• HAi-jgrmisi.
Alle Rechte Vorbehalten
Anforderungen der modernen Baukunst und Technik
In seiner Rede, die Direktor P. Schmohl bei der dies
jährigen Schlußfeier des Schuljahrs hielt, ist das neue
Programm, sind die Grundsätze ausgesprochen, die für
den gegenwärtigen Leiter der Kgl. Baugewerkschule be
stimmend sein sollen. Die Darlegungen sind bedeutsam
genug, um an dieser Stelle ausführlich gewürdigt zu werden.
In der Einleitung wies Redner darauf hin, daß die vor
62 Jahren von Hof baudirektor v. Egle geschaffene Orga
nisation der Anstalt in jeder Hinsicht mustergültig ge
wesen sei, so daß sie bei der Gründung zahlreicher andrer
Schulen als Vorbild gedient habe. Direktor Walter,
während dessen zehnjähriger Amtsführung die neuen Be
strebungen in der Baukunst mit Macht nach Geltung
rangen, habe zwar für seine Person an der Kunstrichtung
der italienischen Renaissance festgehalten, in der er so
viel Schönes und Bleibendes geschaffen, er habe aber
auch der gemäßigt modernen Richtung im Unterricht an
der Anstalt Einlaß gewährt. Doch habe seine durch
Krankheit gebrochene Kraft nicht mehr ausgereicht, das
Schulprogramm im Sinne unsrer Zeit umzugestalten.
Nun gilt es für uns, so fuhr der Vortragende fort,
das Unsre zu tun. Wir müssen unser Ohr öffnen den
Rufen, die von allen Seiten den Baugewerkschulen und
im speziellen auch unsrer Stuttgarter Baugewerkschule ent
gegenschallen und
die mit unwider
stehlichem Nach
druck von uns die
Neuorganisation
der Schule ver
langen , eine An
passung an den
zeitgemäßen Ge
schmack und die
eingehendste Be
rücksichtigung
aller neuen Kon
struktionsarten
und Techniken, die
in den letzten
Jahrzehnten in die
Praxis des Bau
technikers einge
führt wurden.
Freudig folgen
wir dem Ruf, denn
wir alle sind gerüstet und stehen heute auf dem Plan mit
Zuversicht und stolzer Hoffnung in dem Bewußtsein, daß
wir die Kraft besitzen, uns das neu zu erwerben, was wir
ererbt von unsern Vätern, und daß wir es vermögen,
dieses Erbe auszubauen im Geist unsrer Zeit, würdig
unsrer Vorgänger. Die Zeiten eines Egle sind dahin
geschwunden, ein neuer Geist durchzieht das Land, neue
Anschauungen haben sich verbreitet, neue Grundsätze
wurden aufgestellt, und an uns ist es, von neuem uns
das Beste auszuwählen und es nutzbar zu machen für
unsre Sache.
Groß sind die Wandlungen der letzten 30 Jahre, und
doch liegt nur eine kurze Spanne Zeit zwischen heute
und jenen Tagen, in welchen man sehnsuchtsvoll die
Blicke zu dem heiligen Lande der Architektur wandte,
in welchen man, durchdrungen von der Pracht italienischer
Paläste, versuchte, ihre Formen auch auf unsre Verhält
nisse zu übertragen, in denen man eingedenk ihrer ewigen
Schönheit die Tempel des sonnigen Griechenlandes in
den kalten Norden verpflanzte. Ihre Schönheit und der
Zauber ihrer Umgebung hatte uns betört und auch wir
wollten uns mit jener fremden Pracht umgeben.
So entstanden in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr
hunderts jene Bauten, in welchen die italienische Renais
sance eine zweite
Auferstehung fin
densollte. Und wie
in allen Epochen
hervorragendeBei-
spiele den Glanz
ihrer Zeit und die
Kenntnisse ihrer
Meister beweisen,
so sind auch aus
jener Periode Bau
ten auf uns ge
kommen von voll
endeter Schönheit
und unvergäng
licher Pracht, die
uns einen Begriff
geben von dem
Können der Besten
jener Zeit. Reiche
Villen und Paläste
sind es, bei welchen
Entwürfe von Schülern der Stuttgarter Baugewerkschule unter Leitung von Direktor
P. Schmohl. Landhausentwurf von H. Münz