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BAUZEITUNG
Nr. 20
Augen für diese Schönheiten zu öffnen und dafür zu
sorgen, daß sie möglichst erhalten werden. Aber auch
in Abs. 2 handelt es sich bloß um die Zulassung einer
suasorischen Einwirkung der Baupolizeibehörden auf die
Eigentümer der in Frage stehenden Bauwerke.
Weiter geht der Abs. 3, indem er die Baupolizei-
behörden ermächtigt, die Ausführung von Bauten,
welche ein eigenartiges, einem Orte zur Zierde
gereichendes Straßen-, Platz- oder Laud-
schaftsbild in auffälliger Weise verunstalten
würden, zu untersagen. Zwar ist auch hinsichtlich
des Vorhandenseins einer Verunstaltung die Möglichkeit
subjektiver Meinungsverschiedenheiten und eines zeit
lichen Wechsels der Anschauungen nicht ausgeschlossen.
Aber im allgemeinen wird doch darüber, ob eine auf
fällige Verunstaltung eines Bildes, also eine das Schön
heitsempfinden gröblich verletzende und peinlich be
rührende Beeinträchtigung vorliegt, zur jeweils gegebenen
Zeit eine einheitliche Auffassung bei der weitaus über
wiegenden Mehrheit sowohl der Laien als der Kunst
verständigen bestehen. Ob diese Voraussetzung im
einzelnen Falle zu trifft, wird auch die Baupolizeibehörde
nach Einziehung sachverständiger Begutachtung zu be
urteilen in der Lage sein. Wo aber jene Voraussetzung
zutrifft, erscheint es nicht gerechtfertigt, das öffentliche
Interesse der Erhaltung schöner Landschafts- und Straßen
bilder dem Eigensinn oder der Böswilligkeit eines einzelnen
preiszugeben.
Durch die auf Grund des Art. 55 zu erteilenden
(ästhetischen) Vorschriften sollen den Bauenden in der
Regel nennenswerte Mehrkosten nicht entstehen. Ueber-
haupt soll der allgemeine Grundsatz gelten, daß bei Durch
führung der Vorschriften Härten jeder Art einerseits unter
nüchterner Abwägung der neuzeitlichen Bedürfnisse, ander
seits unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des
Bauenden nach Tunlichkeit zu vermeiden sind. Zur
richtigen und ersprießlichen Hand
habung der Vorschriften des Art. 55
und der Vollzugsvorschriften müssen
auch die richtigen Sachverstän
digen aufgestellt werden. Die ge
wöhnlichen technischen Berater der
Baupolizeibehörden sind hierzu nicht
durchweg geeignet. Es wird daher
anzuordnen sein, daß in allen wich
tigeren Fällen des Art. 55 das Gut
achten einer von der Regierungs
behörde berufenen oder gutgeheißenen
örtlichen Künstlerkommission oder
eines hierzu zu berufenden Baukunst
sachverständigen einzuholen ist. Ein
solcher für das ganze Land auf
zustellender Sachverständiger hätte die
Aufgabe, das Baupolizeiwesen ein
schließlich der Feststellung der Orts
baupläne (zu vergl. die höchst be
achtenswerten Ausführungen des Geh.
Oberbaurats Hofmann-Darmstadt auf
dem vierten Denkmaltag in Erfurt 1903)
und die Schutzmaßregeln für künst
lerisch und geschichtlich wertvolle
Bauten zutreffendenfalls im Benehmen
mit dem Landeskonservator für vater
ländische Altertümer und die dem
selben beigegebene Kommission in
künstlerischer Beziehung zu über
wachen, das Ministerium des Innern,
die ordentlichen Baupolizeibehörden
und die Bauenden in Fragen des
Art. 55 zu beraten und Anregungen
zur Pflege und Förderung einer schönen,
einfachen, charakteristischen und volks
tümlichen Bauweise im ganzen Lande
zu gehen. Zu dessen Unterstützung
und zur Entscheidung schwierigerer
Fragen wird die nebenamtliche Be
rufung eines Landeskunstrats, be
stehend aus Vertretern der Baukunst
und der Kunstgeschichte, in Frage zu
kommen haben. Die Zusammensetzung
und Geschäftsordnung dieses Be
ratungskörpers hätte das Ministerium
des Innern im Einvernehmen mit dem
Ministerium des Kirchen- und Schulwesens zu bestimmen.
Oertliche Kunstsachverständigenkommis
sionen zur Beratung der Baupolizeibehörden in den
einschlägigen Fragen sollten überall, wo ein Bedürfnis
besteht, aufgestellt werden, wenn es auch namentlich in
kleineren Orten zuweilen schwer halten wird, die nötige
Zahl unabhängiger Leute für solche Kommissionen zu
finden, zu welchen mangels berufsmäßig gebildeter Sach
verständiger oder neben solchen etwa nach dem Vor
schläge des Professors Dr. Weber in Jena auf der General
versammlung des Thüringischen Städtetages im Juni 1902
machte, Vertreter der Geistlichkeit und Lehrerschaft,
Kunst- und Altertumsfreunde u. dergl. zuzuziehen wären,
die „viel gereist und gesehen haben und die so viel eignes
Evang. Kirche in Königsberg a. Eger Architekten Eisenlohr & Weigle, Oberbauräte, Stuttgart