FÜR WÜRTTEMBERG'
BADEN HESSEN ELr
SASS - LOTHRINGEN
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Stuttgart, 16. November 1907
Inhalt: Aussichtstürme. — Architektenfragen. — Baukunst auf der Mannheimer Jubiläumsausstellung 1907. —
Zur Kläranlage von Stuttgart. — Bauausstellung in Stuttgart. — Vereinsmitteilungen. — Wettbewerbe. —
Kleine Mitteilungen. — Personalien. — Bücher. — Briefkasten.
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Alle Rechte Vorbehalten
Aussichtstürme
In einem Vertrag, den Prof. P. Schultze-Naum-
burg auf der Jahresversammlung des Bundes Heimat
schutz in München über Naturverschönerung hielt, be
schäftigt er sich, wie wir aus den Mitteilungen des Bundes
Heimatschutz ersehen, mit der Frage: Kann man die Natur
durch harmonische Verbindung mit einem Werke mensch
licher Kunst verschönern? und meint, daß wir diese Frage
ganz unbedenklich mit ja beantworten dürfen. Man denke,
so deduziert er, an das Bild irgendeines schlichten Bauern
hauses am Rande eines Waldes; auch hier erlebt unser
Auge durch das Vorhandensein dieses Hauses eine reichere
Freude, als wenn es nur den schlichten Waldrand in sich
aufnähme. Man darf das natürlich nicht so auffassen, als
müßte nun vor jedem Waldrand ein hübsches Bauernhaus
stehen. Wir werden der Waldeinsamkeit nicht entbehren
wollen; aber die gelegentliche Unterbrechung und Be
reicherung wird uns sogar den Genuß der darauffolgenden
Einsamkeit erhöhen.
Eine jede gute menschliche Anlage bildet, wenn sie
sich harmonisch mit ihrer Umgebung verbindet, ein Stück
Naturbereicherung. Das Grauen, das wir heute vor dem
bloßen Worte „Naturverschönerung“ empfinden, rührt
doch eigentlich allein von den unwürdigen menschlichen
Leistungen her, die seit einigen Menschenaltern unsre
Erde zu entstellen anfangen. Und zwar in beiderlei
Sinn: sowohl bei den Werken, die in der guten Absicht
zu schmücken und zu verschönern, aber mit unzuläng
lichem Vermögen entstehen, wie bei den Werken, bei
deren Gründung nicht der
Schmuckwert die Veran
lassung bildet, sondern die
zur Befriedigung unsrer
menschlichen Bedürfnisse
dienen.
Ein böses Kapitel im
Buche unsrer Natur Ver
schönerung bilden die
Aussichtstürme. Ich will
wahrhaftig nicht behaupten,
ein Aussichtsturm sei in
jedem Fall ein Uebel und
könne nicht schön sein.
Ich zeige auf Abb. 1 einen
der bekanntesten und viel
leicht schönsten Aussichts
türme Deutschlands, den
Fuchsturm bei Jena. Seine
einfache, schlichte Zylinder
form paßt vortrefflich auf den langgestreckten Buckel des
Hausberges und gibt auch sonst das Bild ab, das wir hier
trotz aller Einfachheit als eine gute architektonische Form
erkennen. Er ist vor kurzem abgebrannt, ist aber in seiner
alten Form von neuem erstanden. Aber wie selten ist heute
so etwas! Das Turmunkraut, das heute überall auf unsern
Bergen wuchert, sieht meist so aus wie Abb. 2. Ohne diese
beinahe krankhaft zu nennenden Formen scheint unserm
Spießbürger und gar manch einem, der kein Spießbürger
sein sollte, ein Aussichtsturm nichts Rechtes zu sein.
Und doch müßte das natürliche Empfinden ihnen sagen,
daß nirgends mehr als auf diesen exponierten Bergspitzen
geschlossene Ruhe und mächtige Gedrungenheit erste
Anforderung ist. Als zweite, ja kaum minderwertige
Forderung müßte hinzutreten, daß der richtige Maßstab
für das ganze Bauwerk gewählt wird. Die Sünden, die
gerade hierbei, auch von sonst bedeutenden Künstlern,
bei Türmen und Burgdenkmälern begangen werden, sind
gar nicht aufzuzählen. Es ist doch sehr leicht einzu
sehen, daß, je größer das Bauwerk auf dem Berge ist,
um so kleiner der Berg erscheinen muß. Die Mächtig
keit des Eindrucks hängt durchaus nicht mit der absoluten
Größe des Bauwerks zusammen, sondern im Gegenteil
scheint ein Wachsen der Größe des Baues über dieses
Maß hinaus dem Gesamteindruck eine gewisse Kleinlich
keit aufzudrücken. Dieses Nirgends-Maß-halten-können ist
ja ein allgemeines Kennzeichen unsrer Zeit, nicht nur im
allgemeinen, sondern auch der gesamten Architektur im
besonderen. Doch bleiben
wir hier beim Aussichts
turme. Bei der Bestimmung
seiner Größe genügt es ja
vollkommen, wenn er hoch
genug ist, um über die ersten
Hindernisse des Vorder
grundes hinwegblicken zu
können. Bei höheren Ber
gen, denen der Hochwald
mangelt, genügt es zumeist,
den freien Ausblick über
Unterholz und die kleinen
Terrainunebenheiten zu ge
winnen. Als ein Beispiel
von feinem Takt hierfür
zeige ich auf Abb. 3 den
kleinen Aussichtsturm auf
der Hornisgrinde im
Schwarzwald, dessen primi-
Abb. 1. Fuohsturm bei Jena