Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

BAUZEITl« 
FÜR WÜRTTEMBERG 
BADEN HESSEN EL- 
SASS - LOTHRINGEN 
Inhalt: Mehr Licht in der modernen Großstadt. — Einfache Landkirohen. — Aufbrechen des Beton 
pflasters. — Bauausstellung 1908. — Der Innungsverband deutscher ßaugewerksmeister. — Yereins- 
mitteilungen. — Wettbewerbe. — Kleine Mitteilungen. — Personalien. — Bücher. — Briefkasten. — 
An unsere Leser. 
ZE 
Alle Rechte Vorbehalten 
Mehr Licht in der modernen Großstadt 
Von Dr. Heinrich Pudor 
Wenn man gesagt hat, daß das zwanzigste Jahr 
hundert das Jahrhundert der Hygiene sei, so kann man 
dieses Wort weiter dahin ergänzen, daß man sagt, das 
zwanzigste Jahrhundert ist das Jahrhundert der Licht 
therapie. Namentlich Niels B. Einsen ist es, dem die 
grundlegenden Entdeckungen auf diesem Gebiete zu 
danken sind. Wir wissen jetzt, daß das Licht einerseits 
positiv das wichtigste Lebensagens ist und daß es ander 
seits negativ gerade die gefährlichsten Krankheitskeime, 
Bazillen und Mikroben, vernichtet. Deshalb lebt und 
strebt der Mensch dem Lichte entgegen, und wenn man 
analog dem Heliotropismus der Pflanzen (Richtung des 
Wachstums der Sonne entgegen) einen Heliotropismus 
der Tiere konstatiert hat (Löh, Wwedenkij, Edwards, 
Lubhock, Einsen, Moleschott), so kann man in ähn 
lichem Sinne von einem Heliotropismus des Menschen 
sprechen. Ein solcher kommt in dem heute erkennbaren 
Streben, mehr Licht in die Wohnungen, in die Straßen, in 
die Städte zu bringen, gleichsam mehr in der Richtung der 
Sonne Wohnung zu nehmen, unverkennbar zum Ausdruck. 
Bevor wir aber hierauf eingehen, wollen wir erst einen 
Blick auf diejenigen Faktoren werfen, von welchen das 
Lichtquantum innerhalb einer Stadt in erster Linie ab 
hängig ist. Wenn zum Beispiel Wien im November 
nur 65, Davos aber 109 Sonnenscheinstunden hat, wenn 
London jährlich nur 1030 Stunden Sonnenschein, Madrid 
dagegen 2930 Stunden Sonnenschein jährlich hat, so spielt 
hierbei natürlich in erster Linie die Breitenlage die ent 
scheidende Rolle. Madrid hat nicht nur mehr Sonnen 
tage als Berlin, sondern auch längere Tage und inten 
siveren Sonnenschein. Aber außer der Breitenlage kommt 
noch eine ganze Reihe andrer Faktoren in Betracht. 
Eine Stadt, die von Bergen.umschlossen tief liegt, wie 
z. B. Ferrara, ist dunkler als eine Stadt, die, wie 
z. B. Orvieto, auf der Höhe eines Berges liegt. Je höher 
eine Stadt relativ liegt, desto früher geht die Sonne auf 
und desto später geht sie unter. Und zwar kommt es 
darauf an, in welcher Himmelsrichtung die Berge liegen. 
Bei Florenz liegen sie im Norden, wirken also nicht 
hemmend der Sonne gegenüber, wohl aber schützend dem 
Nordwind gegenüber. Hochgelegene Städte sind nicht 
nur deshalb heller als tiefgelegene, weil die Sonne länger 
scheint, sondern auch, weil sie einen größeren Horizont 
haben. Bei Städten, die unterhalb von Bergen liegen, 
wie Innsbruck, Stuttgart, wirken die Berge geradezu 
verfinsternd, indem sie den Horizont verkleinern, sich 
selbst in die Sonne stellen und dadurch einen Schatten 
auf die Stadt werfen. 
Bezüglich der Stadt selbst kommt es dann darauf an, 
ob dieselbe weitmaschig gebaut ist oder engräumig, ob 
die Straßenzüge von Ost nach West oder von Süd nach 
Nord gehen, ob die Häuser sehr niedrig oder sehr hoch 
sind, ob hohe Bäume verdunkelnd wirken u. s. f. Ein 
breiter Strom, wie die Newa in Petersburg, der Rhein 
in Düsseldorf, die Elbe in Dresden, das Alsterbassin in 
Hamburg wirkt erhellend auf die ganze Stadt, weil das 
Wasser den Himmel spiegelt und infolgedessen als Licht 
quelle hervorragender Art wirkt, und deshalb sollten 
Städte wie Berlin, Leipzig, Bremen, welche nur über 
kleinere Flüsse verfügen, danach trachten, mit Hilfe 
künstlicher größerer Wasserbecken ein Aequivalent für 
die lichtgebenden Ströme zu schaffen. Riesenstädte, 
wie Paris an der Seine, London an der Themse, sollten 
dasselbe Mittel unterstützend anwenden. Nach dieser 
Richtung sind Seestädte, wie Le Havre, Edinburg, 
Marseille, Neapel, Genua, in Vorteil, denn das Meer ist 
naturgemäß ein Lichtfaktor ersten Ranges, und deshalb 
wirken Seestädte besonders hell im Gegensatz zu tief 
gelegenen Binnenstädten und zu Waldstädten. 
Weiter kommt es darauf an, ob das Steinmaterial 
der Häuser, bezugsweise der Anstrich derselben, licht- 
gebend oder nach der entgegengesetzten Richtung wirkt. 
Marmorstädte, wie Genua im Süden und Aberdeen im 
Norden, sind heller als Städte, welche dunkleres Stein 
material verwenden, wie Ohristiania, Helsingfors, Kopen 
hagen. Und Brüssel, Le Havre, auch Paris bevorzugen 
helleren Häuseranstrich als Berlin und wirken infolge 
dessen heller. 
Auch Räume, wie erwähnt, können verfinsternd wirken, 
sowohl ganze Anlagen, wie das Leipziger Rosental — der 
Berliner Tiergarten ist zur rechten Zeit gelichtet worden —, 
als auch Straßenbäume, die immer nur an der Südfront 
der Straßen, niemals an der Nordseite angepflanzt werden 
sollten. Und in ähnlicher Weise wirken Baikone ver 
finsternd auf die dahinter gelegenen Wohnungen, wenn 
nicht ihr Boden aus gläsernen Prismen besteht, wie es 
aber selbst bei Sanatorien selten vorkommt (ein Beispiel 
ist Krabbesholm in Jütland). Als ein Fortschritt ist es 
gewiß zu bezeichnen, daß man heute selbst kleine Arbeiter 
wohnungen mit Baikonen versieht, aber solange diese 
die dahinter liegenden Zimmer verdunkeln, ist ihr Wert 
sehr fragwürdig.
	        
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