Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

BAÜZEITUNG 
34 
Nr. 5 
Gebiete des Brük- 
kenbaues enthalten 
gewiß viel Beach 
tenswertes, sie wer 
den aber in einigem 
den Widerspruch 
jener erwecken, die 
nicht ganz derselben 
Meinung sind. 
Stellt die mit 
Hilfe der gegebenen 
Grundlagen — not 
wendige Weite, ver 
fügbare Höhe, Be 
lastung, Baumaterial 
und Baugrund — in rein verstandesmäßiger Weise er 
mittelte Form eines massiven Gelenkbogeus unter allen 
Umständen auch in künstlerischer Beziehung die voll 
kommenste Gestalt dar, die wir zu finden vermögen? In 
dieser Allgemeinheit wird sich die Frage nicht bejahen 
lassen, da für gewöhnlich die Kunstform erst aus der 
Zweckform hervorgeht. Ohne Zweifel hat die angewandte 
Kunst unsrer Tage die Schönheit der nur vom Zweck 
bestimmten Form eines Gegenstandes wieder zu Ehren 
gebracht. Der mehr oder minder befriedigende Eindruck 
der reinen Zweckform auf den Beschauer wird nicht zum 
wenigsten Teil davon abhängen, inwieweit er die Zweck 
mäßigkeit dieser Formgebung erkennt. Wir finden unter 
den Werken des Ingenieurs fraglos solche, deren Ge 
staltung, hervorgegangen aus lediglich konstruktiven 
Gründen, vom Beurteiler als die vollkommenste empfun 
den wird. Hierfür bieten Erzeugnisse des Maschinenbaues 
hervorragende Beispiele. Das sichtbare Ineinandergreifen 
und Zusammenwirken der verschiedenen Teile bei den 
Bewegungsvorgängen der Maschine läßt oftmals selbst den 
Laien die Zweckmäßigkeit der getroffenen Gesamtanord 
nung nicht nur klar erkennen, sondern es drängt sich ihm 
schließlich auch die Meinung auf, daß gerade diese be 
sondere Gestaltung zur Erzielung der gewollten Wirkung 
durchaus notwendig ist. Wir sagen, die Maschine ist 
schön, wenn zu dieser uns vollkommen scheinenden Form 
eine den Eigenschaften des Baumaterials gerecht werdende 
Ausführung und gediegene Arbeit treten. Während jedoch 
bei der Maschine der Zweck so sehr vorherrscht, daß Schön 
heit der äußeren Erscheinung und harmonische Beziehung 
zu der Umgebung zwar erwünschte, aber wobl nur selten 
verlangte Eigenschaften sind, treten diese beiden Forde 
rungen bei dem Brückenbauwerk als gewichtige Be 
dingungen in den Vordei'grund. Sie machen sich um so 
eindringlicher geltend, je bedeutender das Bauwerk ist, 
je dauernder darum sein Bestand zu werden verspricht. 
Zumal für die überwiegende Mehrheit der Beschauer ge 
winnen diese Punkte gegenüber der durch den Zweck 
bestimmten Gestaltung des Bauwerkes deswegen erhöhte 
Bedeutung, weil die Zweckmäßigkeit der theoretischen 
Formgebung der Allgemeinheit nicht mehr offensichtlich 
zum Bewußtsein kommt. Die reine Zweckform wird vom 
Laien nicht mehr verstanden, sie tritt für ihn in den 
Hintergrund. Es soll damit keineswegs gesagt sein, daß 
aus diesem Grunde die wissenschaftlich ermittelte 
Form nicht das Recht hätte, den ihr gebührenden Platz 
auch nach außen hin zu fordern. Der Zweck des Bau 
werkes ist nur nicht mehr in dem Maße ausschlag 
gebend, daß er allein berechtigt wäre, die Gesamt 
erscheinung zu bestimmen. Der Ingenieur wird das Er 
zeugnis seines Verstandes mit den Augen des Künstlers 
prüfen müssen. 
Die reine Zweckform wird dadurch zu ihrem Rechte 
kommen, daß sie als Grundlage für die künstlerische Aus 
gestaltung des Bauwerkes dient und respektiert wird. 
Das letztere gilt für den zur Mitarbeit an den Werken 
des Ingenieurs berufenen Künstler. Wenn dessen Be 
streben darauf ge 
richtet ist,dieGrund- 
lagen, die Wirkung, 
das Kräftespiel der 
vom Ingenieur ge 
gebenen Gestalt des 
Bauwerkes zu er 
fassen, so ist er 
einerseits davor be 
wahrt, Sünden wi 
der den Geist des 
Werkes zu begehen, 
anderseits kommt er 
Architekt Oswald, Stuttgart aber erst dadurch 
in die Lage, dem 
Wesen des vom Ingenieur Geschaffenen vollkommen ge 
recht zu werden. 
Wir wollen darum nicht gerade verlangen, daß der 
mit der künstlerischen Behandlung eines Brückenwerkes 
Betraute gezwungen ist, die theoretische Bogenlinie als 
ein Rührmichnichtan zu betrachten, wenn er glaubt, sie 
innerhalb der konstruktiv zulässigen Grenzen verbessern 
zu können. Im übrigen wird schon der gute Geschmack 
ihn davor bewahren, ohne Not von der gegebenen Form 
abzugehen. Ein Gleiches gilt schließlich von der Wulst 
form des Dreigelenkgewölbes, insofern als wir nicht fordern 
wollen, daß diese charakteristische Form nun unter allen 
Umständen nach außen hin in die Erscheinung treten 
müsse. Wir dürfen es wohl auch nicht als einen Mangel 
an künstlerischer Wahrhaftigkeit ansehen, wenn die Ge 
lenke etwa nicht in allen Fällen sichtbar gelassen werden. 
Sie können dem Künstler in der Form von Stahlgelenken 
den erwünschten Fluß des Bogens beeinträchtigen; viel 
leicht stehen sie auch nicht immer im gewünschten Ver 
hältnis zu den übrigen Bauteilen u. dergl. m. Damit 
geben wir noch nicht zu, daß ein Vertuschen der Gewölbe 
erlaubt ist. Wir wollen nur dem künstlerischen Gestalter 
die Art und Weise seiner Ausdrucksmittel überlassen, 
wir gestehen ihm die Freiheit zu, in seiner Weise jeden 
Teil des Bauwerkes im Rahmen des Ganzen zum Aus 
druck zu bringen. 
Wenn wir heutzutage einsehen, daß es eine Sünde 
wider den Charakter des Bauwerkes war, sobald ein Drei 
gelenkbogen als gelenkloser Massivbogen erscheinen mußte, 
oder daß es eine Versündigung am Baumaterial bedeutete, 
wenn ehedem reine Betonbrückengewölbe nach außen hin 
durch Fugenteilung, Bossierung und Färbung zu Hau 
steinbögen gestempelt wurden, so möchten wir am Ende 
geneigt sein, um dies fürderhin zu vermeiden, das Kind 
mit dem Bade auszuschütten. Dies würde geschehen, 
wenn der reinen Zweckform ein allzu großer Einfluß zu 
gestanden werden sollte. Oskar Waas. 
Zur Revision der Wegordmmg* in 
Württemberg 
Als ein Teil der Tätigkeit des neuen Landtages 
wurde nach den Programmen der verschiedenen Parteien 
anläßlich der Landtagswahl die Revision der Bau- und 
Wegordnung aufgeführt. 
Während wir über die beabsichtigte Revision der 
Bauordnung dadurch besser unterrichtet sind, daß die 
Regierung durch Ausarbeitung eines Entwurfes bereits 
dieser Frage nähergetreten ist, wissen wir über die Art 
der Revision der Wegordnung noch sehr wenig. Obwohl 
das Älter der Bauordnung bedeutend geringer ist als das 
der Wegordnung, erscheint hiernach die Revision der 
Bauordnung dringender zu sein, oder vielmehr die Oeffent- 
lichkeit hat sich seither mit der Revision der Bauordnung 
mehr beschäftigt als mit derjenigen der Wegordnung. 
Unsre jetzige Bauordnung stammt vom Jahre 1872, ist
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.