BAÜZEITUNG
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Nr. 5
Gebiete des Brük-
kenbaues enthalten
gewiß viel Beach
tenswertes, sie wer
den aber in einigem
den Widerspruch
jener erwecken, die
nicht ganz derselben
Meinung sind.
Stellt die mit
Hilfe der gegebenen
Grundlagen — not
wendige Weite, ver
fügbare Höhe, Be
lastung, Baumaterial
und Baugrund — in rein verstandesmäßiger Weise er
mittelte Form eines massiven Gelenkbogeus unter allen
Umständen auch in künstlerischer Beziehung die voll
kommenste Gestalt dar, die wir zu finden vermögen? In
dieser Allgemeinheit wird sich die Frage nicht bejahen
lassen, da für gewöhnlich die Kunstform erst aus der
Zweckform hervorgeht. Ohne Zweifel hat die angewandte
Kunst unsrer Tage die Schönheit der nur vom Zweck
bestimmten Form eines Gegenstandes wieder zu Ehren
gebracht. Der mehr oder minder befriedigende Eindruck
der reinen Zweckform auf den Beschauer wird nicht zum
wenigsten Teil davon abhängen, inwieweit er die Zweck
mäßigkeit dieser Formgebung erkennt. Wir finden unter
den Werken des Ingenieurs fraglos solche, deren Ge
staltung, hervorgegangen aus lediglich konstruktiven
Gründen, vom Beurteiler als die vollkommenste empfun
den wird. Hierfür bieten Erzeugnisse des Maschinenbaues
hervorragende Beispiele. Das sichtbare Ineinandergreifen
und Zusammenwirken der verschiedenen Teile bei den
Bewegungsvorgängen der Maschine läßt oftmals selbst den
Laien die Zweckmäßigkeit der getroffenen Gesamtanord
nung nicht nur klar erkennen, sondern es drängt sich ihm
schließlich auch die Meinung auf, daß gerade diese be
sondere Gestaltung zur Erzielung der gewollten Wirkung
durchaus notwendig ist. Wir sagen, die Maschine ist
schön, wenn zu dieser uns vollkommen scheinenden Form
eine den Eigenschaften des Baumaterials gerecht werdende
Ausführung und gediegene Arbeit treten. Während jedoch
bei der Maschine der Zweck so sehr vorherrscht, daß Schön
heit der äußeren Erscheinung und harmonische Beziehung
zu der Umgebung zwar erwünschte, aber wobl nur selten
verlangte Eigenschaften sind, treten diese beiden Forde
rungen bei dem Brückenbauwerk als gewichtige Be
dingungen in den Vordei'grund. Sie machen sich um so
eindringlicher geltend, je bedeutender das Bauwerk ist,
je dauernder darum sein Bestand zu werden verspricht.
Zumal für die überwiegende Mehrheit der Beschauer ge
winnen diese Punkte gegenüber der durch den Zweck
bestimmten Gestaltung des Bauwerkes deswegen erhöhte
Bedeutung, weil die Zweckmäßigkeit der theoretischen
Formgebung der Allgemeinheit nicht mehr offensichtlich
zum Bewußtsein kommt. Die reine Zweckform wird vom
Laien nicht mehr verstanden, sie tritt für ihn in den
Hintergrund. Es soll damit keineswegs gesagt sein, daß
aus diesem Grunde die wissenschaftlich ermittelte
Form nicht das Recht hätte, den ihr gebührenden Platz
auch nach außen hin zu fordern. Der Zweck des Bau
werkes ist nur nicht mehr in dem Maße ausschlag
gebend, daß er allein berechtigt wäre, die Gesamt
erscheinung zu bestimmen. Der Ingenieur wird das Er
zeugnis seines Verstandes mit den Augen des Künstlers
prüfen müssen.
Die reine Zweckform wird dadurch zu ihrem Rechte
kommen, daß sie als Grundlage für die künstlerische Aus
gestaltung des Bauwerkes dient und respektiert wird.
Das letztere gilt für den zur Mitarbeit an den Werken
des Ingenieurs berufenen Künstler. Wenn dessen Be
streben darauf ge
richtet ist,dieGrund-
lagen, die Wirkung,
das Kräftespiel der
vom Ingenieur ge
gebenen Gestalt des
Bauwerkes zu er
fassen, so ist er
einerseits davor be
wahrt, Sünden wi
der den Geist des
Werkes zu begehen,
anderseits kommt er
Architekt Oswald, Stuttgart aber erst dadurch
in die Lage, dem
Wesen des vom Ingenieur Geschaffenen vollkommen ge
recht zu werden.
Wir wollen darum nicht gerade verlangen, daß der
mit der künstlerischen Behandlung eines Brückenwerkes
Betraute gezwungen ist, die theoretische Bogenlinie als
ein Rührmichnichtan zu betrachten, wenn er glaubt, sie
innerhalb der konstruktiv zulässigen Grenzen verbessern
zu können. Im übrigen wird schon der gute Geschmack
ihn davor bewahren, ohne Not von der gegebenen Form
abzugehen. Ein Gleiches gilt schließlich von der Wulst
form des Dreigelenkgewölbes, insofern als wir nicht fordern
wollen, daß diese charakteristische Form nun unter allen
Umständen nach außen hin in die Erscheinung treten
müsse. Wir dürfen es wohl auch nicht als einen Mangel
an künstlerischer Wahrhaftigkeit ansehen, wenn die Ge
lenke etwa nicht in allen Fällen sichtbar gelassen werden.
Sie können dem Künstler in der Form von Stahlgelenken
den erwünschten Fluß des Bogens beeinträchtigen; viel
leicht stehen sie auch nicht immer im gewünschten Ver
hältnis zu den übrigen Bauteilen u. dergl. m. Damit
geben wir noch nicht zu, daß ein Vertuschen der Gewölbe
erlaubt ist. Wir wollen nur dem künstlerischen Gestalter
die Art und Weise seiner Ausdrucksmittel überlassen,
wir gestehen ihm die Freiheit zu, in seiner Weise jeden
Teil des Bauwerkes im Rahmen des Ganzen zum Aus
druck zu bringen.
Wenn wir heutzutage einsehen, daß es eine Sünde
wider den Charakter des Bauwerkes war, sobald ein Drei
gelenkbogen als gelenkloser Massivbogen erscheinen mußte,
oder daß es eine Versündigung am Baumaterial bedeutete,
wenn ehedem reine Betonbrückengewölbe nach außen hin
durch Fugenteilung, Bossierung und Färbung zu Hau
steinbögen gestempelt wurden, so möchten wir am Ende
geneigt sein, um dies fürderhin zu vermeiden, das Kind
mit dem Bade auszuschütten. Dies würde geschehen,
wenn der reinen Zweckform ein allzu großer Einfluß zu
gestanden werden sollte. Oskar Waas.
Zur Revision der Wegordmmg* in
Württemberg
Als ein Teil der Tätigkeit des neuen Landtages
wurde nach den Programmen der verschiedenen Parteien
anläßlich der Landtagswahl die Revision der Bau- und
Wegordnung aufgeführt.
Während wir über die beabsichtigte Revision der
Bauordnung dadurch besser unterrichtet sind, daß die
Regierung durch Ausarbeitung eines Entwurfes bereits
dieser Frage nähergetreten ist, wissen wir über die Art
der Revision der Wegordnung noch sehr wenig. Obwohl
das Älter der Bauordnung bedeutend geringer ist als das
der Wegordnung, erscheint hiernach die Revision der
Bauordnung dringender zu sein, oder vielmehr die Oeffent-
lichkeit hat sich seither mit der Revision der Bauordnung
mehr beschäftigt als mit derjenigen der Wegordnung.
Unsre jetzige Bauordnung stammt vom Jahre 1872, ist