Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

2. Februar 1907 
BAUZEITUNG 
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also erst 34 Jahre alt, während die Wegordnung im 
Jahr 1809 in Kraft getreten ist, somit bald ihr hundert 
jähriges Jubiläum feiern kann. 
Die Veränderungen in unserm Verkehrswesen, welche 
das vergangene Jahrhundert gezeitigt hat und das Alter 
der Wegordnung haben es mit sich gebracht, daß zu 
dieser im Laufe der Zeit ergänzend eine Reihe von 
Ministerialverfügungen und Ministerialerlasse getreten 
sind. Schon aus diesem Grunde ist es nötig, daß wieder 
etwas Ganzes, Zusammenhängendes geschaffen wird. 
Die alten Handels- oder Kommerzialstraßen haben 
durch die Eisenbahnen diejenige Bedeutung, welche sie 
früher gehabt haben, verloren. An ihre Stelle sind die 
vom Staat unterhaltenen sogenannten Staatsstraßen ge 
treten. Es hat jedenfalls eine Zeit gegeben, wo man 
hätte glauben können, durch die Eisenbahnen werden die 
Straßen immer mehr in Hintergrund gedrängt. Durch 
das Erscheinen der Fahrräder und der Motorfahrzeuge 
hat sich jedoch in neuerer Zeit die Sachlage wieder 
wesentlich geändert. Die Ansprüche an gute Straßen 
haben sich trotz des ausgedehnten Eisenbahnnetzes ver 
mehrt. Fahrrad und Automobil haben sich überall ein 
gebürgert und es tritt das Verlangen nach jederzeit gut 
fahrbaren Straßen immer stärker hervor. 
Die technischen Mittel zur Herstellung und Unter 
haltung der Straßen haben sich ebenfalls seit 100 Jahren 
wesentlich geändert. Es ist möglich geworden, Straßen 
Realschule Tübingen, angekaufter Entwurf 
Architekten Staiger & Mössinger, Stuttgart 
herzustellen und zu unterhalten, welche jederzeit eine 
glatte Oberfläche zeigen und für den Verkehr eines jeden 
Fahrzeuges tauglich sind. 
Trotz dieser bedeutenden technischen Errungenschaften 
und trotzdem das Verlangen nach guten, jederzeit be 
fahrbaren Straßen immer stärker wurde, besitzen wir in 
unserm Land noch einen großen Teil von Verkehrsstraßen, 
welche den heutigen Ansprüchen nicht genügen. Während 
diejenigen Straßen, welche vom Staat mit bedeutenden 
Kosten unterhalten werden, sich allgemein in einem guten 
Zustand befinden, ist die Unterhaltung der Nachbarschafts 
straßen (Vizinalstraßen) eine sehr verschiedenartige und 
hängt der oft schlechte Zustand hauptsächlich mit den 
aufgewendeten Unterhaltungskosten zusammen. 
Nach § 1 der Wegordnung vom Jahre 1809 ist jede 
Kommune verpflichtet, die Wege auf ihrer Markung, in 
sofern sie keine Post- und Kommerzialstraßen sind, stets 
in brauchbarem und fahrbarem Zustand zu erhalten. Nach 
§ 3 dieses Gesetzes gibt die Kgl. Straßenkasse weder zur 
Anlegung noch zur Unterhaltung der gewöhnlichen Kommun 
straßen Beiträge. 
Dieser letzte Paragraph wird jedoch in der Praxis 
nicht eingehalten, es werden vielmehr von der Kgl. Straßen 
bauverwaltung seit langer Zeit zum Bau und zu der Unter 
haltung von Nachbarschaftsstraßen, welche für den all 
gemeinen Verkehr von Bedeutung sind, erhebliche Beiträge 
geleistet. 
In den meisten Oberamtsbezirken ist die Unterhaltung 
der Straßen in der Weise geregelt, daß die wichtigeren 
Straßenzüge des Bezirks in die Unterhaltung der Amts 
körperschaft übernommen sind, während die weniger 
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Realschule Tübingen, angekaufter Entwurf 
Architekten Staiger & Mössinger, Stuttgart 
wichtigen Nachbarschaftsstraßen von den Gemeinden unter 
halten werden. 
Die Kosten für die Unterhaltung der Körperschafts 
straßen werden von der Amtskorporation entweder ganz 
oder nur zum Teil getragen. Im letzteren Fall wird der 
übrigbleibende Teil auf die betreffenden Gemeinden je 
nach der Größe der auf ihrer Markung liegenden Weg 
strecke verteilt. 
Die Amtskörperschaft übernimmt gewöhnlich nur dann 
eine Straße in ihre Unterhaltung, wenn dieselbe zuvor 
von der Gemeinde in einen vorschriftsmäßigen Stand ge 
setzt wurde. Dieser Umstand ermöglicht es mancher 
Gemeinde nicht, die Straßen ihrer Markung in die Unter 
haltung der Amtskörperschaft zu geben, wenn sie nicht 
eine durchgreifende Korrektion vornehmen und bedeutende 
Kosten aufwenden will. 
In manchen Gegenden findet man auch, daß eine 
größere Anzahl von Gemeinden sich zu einem Verband 
zusammenschließt, um gemeinschaftlich die Unterhaltung 
der Straßen zu besorgen. 
Während die Staats- und Körperschaftsstraßen von 
einem ständigen Personal bedient werden, ist die Unter 
haltung der Nachbarschaftsstraßen durch die Gemeinden 
eine sehr verschiedenartige. 
Die ursprüngliche Art der Wegunterhaltung findet 
man noch in Gemeinden mit Realrechten. Die Real 
berechtigten sind verpflichtet, den ihnen zufallenden Teil 
der Wege auf ihre Kosten zu unterhalten, während die 
Realschule Tübingen, angekaufter Entwurf 
Architekten Staiger & Mössinger, Stuttgart
	        
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