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ÖAUZEITUNG
Nr. 7
Villa in Freiburg i. B., Grundrisse. Architekten Regierungsbaumeister Mallebrein und Professor Billing, Freiburg-Karlsruhe
geht hervor, daß eine Verkehrssteigerung, die für jene
Stadt einen Stundenverkehr von 420 Fußgängern
neben einer stark benutzten elektrischen Bahn ermit
telt, für diese Stadt aber 540 stündliche Fußgänger
und 10 Wagen aufweist, sich noch bewältigen läßt ohne
besondere Vorkehrungen. Solche Feststellungen sind von
Wichtigkeit für unsre alten Straßen und Brücken, die
in ihren Verkehrsmöglichkeiten so häufig unterschätzt
werden. Für die bedrohte Jopengasse, die an ihren
engsten Stellen noch immer 7,50 m breit ist, rechnet
Genzmer eine Fahrbahnbreite von 5—5,50 m Breite aus,
die im Gegensatz zu den erwähnten Straßen der größeren
Städte Köln und Dortmund vollauf genügen sollte. Danzig
hat bereits durch die Beseitigung der Beischläge in der
Hundegasse ein Beispiel gegeben von der Wirkung solcher
„Verbreiterungen“, das — wie man annehmen dürfte —
keinen zur Nachahmung reizen sollte.
Doch gegen solche Beweisführung ist man häufig taub.
Darum geht Genzmer in seinen Ausführungen auch auf
die Entwicklung unsrer Großstädte etwas näher ein und
zeigt, wie mit der Steigerung der Mietspreise fast all
gemein andre soziale und hygienische Mißstände verbunden
sind, Mißstände von so großer Bedeutung, daß sie durch
kleinliche Sanierungen nur wenig von ihrer volksver
heerenden Kraft verlieren. Man solle daher lieber durch
Vermehrung der Verkehrsmittel die Altstädte entlasten
und durch geeignete Bebauungspläne, die vor allem
zwischen Wohn- und Verkehrsstraßen unterscheiden, auch
den Verkehr in verschiedene Wege leiten. Die Stadt
erweiterungen dürfen nicht mehr als private Aufgaben
der Interessenten gelten, sondern müssen als eine öffent
liche Angelegenheit behandelt werden. Die Rückwirkung
auf die Auswüchse der Bodenspekulation, die sich — wie
es der Redner aus verschiedenen Städten belegte — zu
nächst in der Besteuerung nach dem gemeinen Werte
äußern würden, könnten nicht nur als eine sozial höchst
bedeutungsvolle Grundlage einer gesunden Wohnungs
politik betrachtet werden, sondern auch der Erhaltung
unsrer Städtebilder überhaupt zugute kommen. Durch
das Wachsen der Vorstädte würde allerdings als erste
Folge ein Sinken der Wohnungsmiete und dadurch eine
Wertverminderung der alten Häuser eintreten; aber diese
letztere ist das natürliche Ergebnis der Entwicklung und
nur künstlich zurückgehalten worden. Gehen die Er
trägnisse der Grundstücke im Innern der Städte zurück,
so steigert sich auch der Wunsch, sie „gegebenenfalls
mit fremder finanzieller Beihilfe“ durch Neubauten zu
ersetzen. Gerade in dieser allmählich sich vollziehenden
Sanierung erkennt Genzmer „einen Vorzug in künst
lerischer Beziehung vor den gewaltsamen Durchführungen
durch die Gemeinde“.
Die an Anregungen reiche Rede, welche in mehr als
einer Beziehung sich mit den Bestrebungen für Heimat
schutz berührt, schließt mit den Bemerkungen: „Niemand
wird daran denken wollen, für alle Zeiten die malerischen
alten Gebäude, welche den heutigen hygienischen An
forderungen nicht mehr entsprechen, lediglich einer ufer
losen Kunstschwärmerei zuliebe erhalten zu wollen. Aber
das unterliegt keinem Zweifel, daß die künstlerischen
Reize unsrer alten Städtebilder gerade in der individuellen
Ausbildung der zu verschiedenen Zeiten und durch
verschiedene Baukünstler nach und nach entstan
denen Baulichkeiten liegt.“
Gurlitt führt einen Ausspruch von Adickes an, den
dieser im Jahre 1898 tat, als einige Stadtverordnete den
Wunsch äußerten, die Triersche Straße in Frankfurt a. M.
möchte geradlinig korrigiert werden. Adickes sagte: „Man
würde die ganze, von allen Fremden bewunderte Altstadt
ruinieren, wenn man in dieser anfange, mit dem Lineal zu
arbeiten. Ein solches Verfahren sei geradezu barbarisch.“
Das Publikum müßte vor allem durch Maßnahmen
der Behörden selbst zu einer pietätvollen Schonung der
von den Vorfahren überkommenen Kunstdenkmäler er
zogen und, wenn einmal Neubauten nötig sind, zur An
passung an die charaktervollen Vorbilder aus alter Zeit
hingeleitet werden, wie das letztere in einer großen Reihe
von Städten, von denen nur Nürnberg, Hildesheim, Lübeck
und Danzig genannt sein sollen, neuerdings schon mit
gutem Erfolge geschieht.
Alle diese Erwägungen sollten dazu führen, daß die
Stadtverwaltungen nur dann, wenn ganz besonders un
günstige, eine rasche Abhilfe bedingende Mißstände vor
liegen, zu durchgreifenden Aus- oder Umgestaltungen im
Stadtinnern schreiten. Dieser Zwang dürfte aber bei
näherer Betrachtung nur ganz ausnahmsweise obwalten.
Denn einmal wird sich schwerlich beweisen lassen, daß
gerade jetzt, und nicht etwa erst nach zehn Jahren, die
seit lange bestehenden Zustände eine Abhilfe unbedingt
erheischen; sodann würde die Ausführung, wenn über
haupt Mittel vorhanden sind, zu jeder andern Zeit, und
zwar (bei der zunehmenden Baufälligkeit der alten Häuser
und bei der notwendigen Verschärfung der Anforderungen
an einen gesundheitsmäßigen Zustand der Wohnungen)
je später, desto billiger ausgeführt werden können,
während andre vielleicht noch viel wichtigere Aufgaben
der Gemeindepolitik, wie die Eingemeindung aller der
jenigen Vororte, welche mit ihr eine wirtschaftliche und
eine Verkehrseinheit bilden, der Erwerb von Ländereien
im Vorgelände, die zeitgemäße Ausgestaltung der Ver
kehrsverhältnisse, die Aufstellung von Bebauungsplänen
und Bauordnungen, überhaupt nur dann erfüllt werden
können, wenn der richtige Zeitpunkt nicht versäumt wird.