Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1907)

23. Februar 1907 
BAUZEITUNG 
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meisten „stilgemäßen“ Wiederherstellungsarbeiten der 
letzten Jahrzehnte gerichtet. Wo hinzuzufügen ist, soll 
es in den Formen unsrer Zeit geschehen, aber unter Fest 
halten der Einheit des Ganzen; damit lassen sich äußerst 
reizvolle Lösungen erzielen. 
Ein mittelalterlicher Münsterturm, der unvollendet 
blieb, kann hohen Kunstwert und noch höheren Alter 
tumswert haben. Er erzeugt historische Stimmung und 
wirkt malerisch pikant; er reizt die Phantasie zu freier 
Ergänzung des Bildes. Ausgebaut ist er nicht mehr so 
echt und nicht mehr so malerisch. Die Nachwelt wird 
die vermeintliche Stiltreue der Nachahmung immer 
kritischer beurteilen und im besten Fall eine geschickte 
Fälschung einer monumentalen Urkunde halb ärgerlich 
anerkennen. Muß der Turm aber aus praktischen Gründen 
ausgebaut werden, so geschehe es in Formen der Neuzeit, 
selbstverständlich unter Wahrung einer künstlerischen 
Harmonie des Ganzen, in Rücksicht auf Ton und Umriß. 
Aber womöglich erhalte man das altüberlieferte charak 
teristische, ob auch inkorrekte Bild ganz unverändert. 
Das ist ein Stück Heimatschutz. Es gilt auch vom 
Schloß und Rathaus, von der Brücke und vom Kirchhof. 
Die Bestrebungen des Heimatschutzes haben sich 
vor allem aufs Land zu erstrecken. Während in den 
größeren Städten in der Regel genügend Stimmen laut 
werden, wenn ein Denkmal in Frage kommt, ist auf dem 
Land häufig noch niemand, der das richtige Verständnis 
hat. Und hier kann namentlich der Bauführer, der hinaus 
kommt, manches Gute wirken; auch für die Pfarrer und 
Lehrer ergibt sich nach dieser Richtung eine dankenswerte 
Aufgabe. Rückständig ist die Verachtung des Einfachen, 
Ursprünglichen, Dorf liehen. Beim Umbau einer Dorfkirche 
oder Neubau einer solchen soll man nicht eine moderne 
Vorstadtkirche entstehen lassen. Die Bauern wollen es 
zwar häufig, weil es ihnen früher so vorgeredet worden ist; 
allein hier ist es nun die Aufgabe des Baumeisters, sie 
über die Wandlung der Anschauungen zu unterrichten 
und von der Schönheit des seitherigen Bestands zu über 
zeugen. Wertvoll sind hierbei alle Einzelheiten, nicht 
aus künstlerischen, sondern aus malerischen und Pietäts 
gründen. Friedhofmauern samt Tor sollen nicht abge 
brochen und durch Staketenzäune auf Betonfundament 
ergänzt werden. Zersprungene Glocken lassen sich nach 
der heutigen Technik oft ganz gut wieder flicken; müssen 
sie umgegossen werden, so sind die alten Inschriften mit 
dem entsprechenden Vermerk auf der neuen Glocke an 
zubringen. Wappen sollen nicht übermalt, Inschriften 
nicht überstrichen werden. Wo alte Wappen neu gemalt 
werden, darf es nicht nach Gutdünken geschehen, sondern 
unter sachverständiger Leitung; es ist daher eine Anzeige 
an das Konservatorium unbedingt erforderlich, damit wieder 
ein Kunstdenkmal entsteht. Namentlich ist auch Pietät 
gegen die Bilder dringend zu empfehlen. Die Kirchen 
böden sollen mit Steinplatten oder Backsteinen, nicht mit 
Mettlacher Plättchen u. dergl. gedeckt werden, die Dächer 
keine Falzziegel, namentlich keine glasierten Ziegel er 
halten. Ebenso sind bei den Fenstern moderne, kunst 
volle Glassorten, auch das sogen. „Kathedralglas“, zu ver 
meiden. Bei Um-und Neubauten sind überall entsprechende 
Inschriften anzubringen, dadurch wird das Geschaffene 
für spätere Zeiten zum Denkmal. Weiterhin gilt es zu 
erhalten: alte Bauernhäuser, Mühlen, Weinberge mit ihren 
Stützmauern und Staffeln, alte Stein- und Holzbrücken 
(sogen. Archen) u. s. w.; denn alle diese Gegenstände sind 
Denkmäler unbewußter Kunst und besitzen daher passiven 
Kunstwert, welcher dem heutigen Künstler zur Anregung 
zu dienen vermag. Desgleichen sollte bei Regulierung von 
Straßen und Wasserläufen, Bau von Eisenbahnen u. dergl. 
stets nur mit größter Vorsicht verfahren werden. Nament 
lich bei Bebauungsplänen möge die Obrigkeit in weitest 
gehender Weise Nachsicht üben gegen Dinge, die im 
Weg sind. Das schönste Bild ergibt eine naturgemäße 
Baureihe. Was zugrunde gehen muß, sollte aber wenigstens 
im Bild aufgenommen werden, wozu, soweit es nicht 
Behörden tun, alle Freunde der Sache mitwirken sollten. 
Ein weiteres Feld der Betätigung bildet die Erhaltung 
der Flur- und Straßennamen, sodann der Schutz der 
Naturschönheiten. Diese haben ja nicht wie die Kunst- 
und Geschichtsdenkmäler nur für den Gebildeten eine 
Stimme, sondern sie will heute auch schon der Arbeiter 
genießen. Hierher gehört namentlich der Wald mit 
seinem urwüchsig gemischten Wachstum, nicht lauter 
Forste, keine Kahlhiebe; vielmehr tunlichste Schonung 
der urwüchsigen Mannigfaltigkeit. Vielleicht gelingt auch 
bei uns noch einmal die Anlage von Nationalparken mit 
Freiluftmuseen für Volkskunst wie in Skandinavien und 
Amerika! Auch Wandervereine können des Guten zuviel 
tun mit Wegbezeichnen, Bankaufstellen, Aussichtstürme 
bauen. Oft kann auch der Ingenieur und Geometer bei 
seinen Arbeiten durch geringfügige Aenderungen des 
ursprünglichen Entwurfs Wertvolles retten. 
Diesen sogenannten unbeweglichen Denkmälern stehen 
die beweglichen gegenüber. Hier liegt die Schwierig 
keit gerade in der Beweglichkeit. Es handelt sich vor 
allem darum, dem Eigentümer die Sache lieb und wert 
zu machen, damit ist am besten den Händlern und der 
Verschleppung entgegengewirkt. Das Hamburger Museum 
hat hier den Weg eingeschlagen, sich für ein derartiges 
Kunstwerk (z. B. einen alten geschmiedeten Wirtshaus 
schild u. dergl.) das Obereigentumsrecht zu erwerben. 
Hat der eigentliche Besitzer später Lust, das Werk zu 
veräußern, so geht es in den Besitz des Museums über. 
Wertvoller und zweckdienlicher ist es aber, wenn es an 
seinem alten Platz bleibt. Auch ganz unscheinbare Sachen 
fangen an, Kunstwert zu bekommen; in einer Zeit, wo 
sich der üebergang von der Manufaktur zum Fabrik 
betrieb mit Riesenschritten vollzieht, gewinnt alles Hand 
gemachte an Wert; deshalb ist zu sammeln und zu erhalten, 
was noch vorhanden ist. Vielleicht erblüht daraus für 
unsre Nachkommen eine neue Kunstepoche. Die alt 
deutschen Zimmer hätten sehr wohl mit ihrer Sachlich 
keit und Einfalt das moderne Kunstgewerbe anregen 
können, wenn man in den Museen aufs Ganze gesehen 
hätte statt auf reichverzierte Einzelstücke. 
Schwierigkeiten ergeben sodann besonders unbeweg 
liche Denkmäler mit beweglichem Inhalt: alte Gräber. 
Hier eröffnet sich eigentlich ein unlösbares Problem; einer 
seits hat das Grab bloß so lange seinen Altertumswert, 
als es nicht geleert ist, anderseits ist es für die Kunst 
und Wissenschaft wertlos, solange man seinen Inhalt 
nicht kennt. Jedenfalls soll die Eröffnung nur unter sach 
verständiger Leitung erfolgen, um die einzelnen Epochen, 
namentlich auch etwaige Nachbestattungen genau fest 
zulegen, andernfalls ist die Eröffnung als Raubbau zu 
bezeichnen. Des weiteren soll nach der Eröffnung wieder 
eine sorgfältige Aufschüttung erfolgen; auch empfiehlt sich 
zur Hervorhebung des Punktes etwa das Pflanzen eines 
Baumes auf dem Grabhügel. Ein Beseitigen eines der 
artigen Denkmals im Interesse der Landwirtschaft, der 
Industrie und des Verkehrs sollte nur in den allernot 
wendigsten Fällen gestattet und dann erst die Aus 
räumung vorgenommen werden. 
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine riesengroße 
Aufgabe unsrer harrt, aber eine schöne und befriedigende! 
Es ist schon vieles zerstört und verschleppt worden und 
wird vielleicht noch manches zugrunde gehen müssen, ehe 
die Allgemeinheit Sinn für die Aufgabe bekommt. Einst 
weilen ist es Sache von einzelnen wie von Vereinen, 
sich der Angelegenheit anzunehmen. In Bayern bestehen 
zum Beispiel verschiedene derartige Vereine (so in Alt 
rothenburg), die seit Jahren eine sehr verdienstvolle Tätig 
keit entfalten und durch Ratschläge, Ausschreiben von 
Preisen u. s. w. schon manches Gute geschaffen haben. 
In dieser Weise sollte man auch in Württemberg vor-
	        

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