FÜR WÜRTTEMBERG
BADEN HESSEN EL
SAS S - LOTHRINGEN
Stuttgart, 15 Mai 1909
Inhalt: Grabanlage in Nagold. — Zum Wettbewerb Lutherhaus der Paulusgemeinde in Stuttgart. —
Sicherung der Bauforderungen. — Architektonische Ausbildung ganzer Straßen. — Ein Denkmalfrevel
vor Gericht. — Gefahren der Abbrucharbeiten. — Die neue Bauordnung in der Ersten Kammer. —
Vereinsmitteilungen. — Kleine Mitteilungen. — Bauteohnische Rundschau. — Bücher. — Briefkasten.
Alle Rechte Vorbehalten
Grabanlage
Es war einmal — aucli eines unsrer interessantesten
alten schwäbischen Städtchen, dieses Nagold, mit mäch
tigen alten Giebelhäusern im Ring um die alte Kirche
geschart, bis eine Reihe verheerender Brände fast den
ganzen alten Kern vernichtet hat. Ein interessanter
alter Holzfachwerkgiehel (siehe Abb. 2), der allerdings
auch schon recht reparaturbedürftig ist und auf den die
Stadt ein wachsames Auge haben sollte, ist als letzter
Zeuge einstiger Schönheit noch übriggeblieben. Interessant
sind auch noch das alte Rathaus (siehe Abb. 3) und die
Brunnen der Stadt (über
denen aber schon seit einiger
Zeit das Damoklesschwert
der Beseitigung schweben
soll!). Die Bautätigkeit des
letzten Jahrzehntes hat dann
das ihrige noch getan, um
durch ödesten Fabrikschema-
tismus und Backsteinkästeu
bekannter Art das alte Bild
noch weiter zu beeinträch
tigen. Allerdings den Reiz
der Lage kann man dem
Städtchen trotz allem nicht
rauben. Zu einem der poesie
vollsten Flecke gehört der
hoch über der Stadt gelegene
alte Friedhof mit der uralten
Kirche, der ja auch schon
seinen Schilderer gefunden
hat (siehe Abb. 1). Hier
wurde nach der schreck
lichen Einsturzkatastrophe
vom 5. April 1906, die wohl
noch in allgemeiner Er
innerung ist, den unglück
lichen Opfern von der
Stadt ein schlichtes Denk
mal errichtet. Regierungs
baumeister F. Schuster
in Stuttgart, ein geborener
Nagolder, stellte einen Ent
wurf dazu zur Verfügung,
der zur Ausführung bestimmt
wurde.
In der Aufregung und
Eile nach dem Unglück
wurde damals natürlich keine
in Nagold
weitere Rücksicht auf eine günstige Platzform für ein
späteres Denkmal genommen. Es entstanden eben zwei
ungleich lange Grabreihen auf etwas abfallendem Terrain.
Mit diesen gegebenen Verhältnissen und mit sehr be
schränkten Mitteln mußte von Anfang an gerechnet werden.
Der Architekt wollte nun kein Denkmal im landläufigen
Sinne erstellen, das in seiner Umgebung nur „Stein
unter Steinen“ geworden wäre, sondern den Gedanken
der gemeinsamen Todesursache in der Anlage mit
folgenden Mitteln zum Ausdruck bringen:
Der ganze Bezirk wurde
mit einer niedrigen Mauer
aus einheimischem Bunt
sandstein umgeben, darauf
der Dauerhaftigkeit wegen
ein einfaches schmiede
eisernes Geländer zwischen
kräftigen Steinpfosten ge
stellt. Durch terrassen
förmige Abstufungen des
abfallenden Geländes ergab
sich eine natürliche Glie
derung der übermäßig langen
Fläche. Der Länge nach
führt ein schmaler Weg
durch die Anlage, zu dessen
beiden Seiten die Grab
platten liegen. Diese sind
niedrig gehalten, lauter
gleiche liegende Platten, nur
mit Namen und Geburts
datum der Begrabenen. In
der unteren Hälfte des
Platzes stand eine Erwei
terung zur Verfügung, auf
welcher vorher die Auf
stellung eines Gedenksteins
geplant war. Dieser Teil
erhielt quadratische Gestalt,
und hierher stellte der
Architekt einen kleinen,
schlichten Bau in der Art
einer Feldkapelle, um eine
Stufe überdas übrige Terrain
erhöht. Den Giehel krönt ein
schlichtes Steinkreuz, über
dem Eingang ist eine Tafel
mit Widmung angebracht.
Abb. 1 Alter Friedhof in Nagold
Nach einer im Verlag von K. Ad. E. Müller-Stuttgart erschienenen,
von Eugen Fischer herausgegebenen Lithographie