15. Mai 1909
BAÜZEITÜNÜ
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Alle andern Anträge, so ein sozialdemokratischer, daß
unter der Hälfte der Bauschöffen, die aus Bausachver
ständigen bestehen solle, „mindestens ein Bauarbeiter
sein müsse“, wurden abgelehnt.
Damit ist die Annahme des Gesetzes so gut wie
sicher. Für das Baugewerbe wäre es wünschenswert,
daß die hochgespannten Erwartungen, die sich zum Teil
an die Neuordnung knüpfen, nicht allzusehr enttäuscht
werden. Der erste Teil des Gesetzes ist, wie der Ab
geordnete Mugdan richtig betonte, wohl geeignet, Schä
den im Baugewerbe zu beseitigen, der zweite Teil fordert
aber schwere Bedenken heraus, die dadurch etwas ge
mildert werden, daß diese Bestimmungen nur auf Grund
landesherrlicher Verordnung für einzelne Gemeinden nach
Anhörung der Gemeinden, Handwerkskammern, Handels
kammern und gesetzlichen Arbeitervertretung in Kraft
treten.
Architektonische Ausbildung ganzer
Straßen
Zu diesem Artikel in voriger Nummer möchte ich
nachstehend einiges hinzufügen. Verschiedene Stadtver
waltungen haben in richtiger Erkenntnis, daß durch ein
zelne Bauten ganze Straßenzüge zerstört werden können,
Vorschriften dahin erlassen, daß die Bebauung bestimmter
Straßen und Plätze der Begutachtung hervorragender
Architekten untersteht. So muß in Ludwigsburg zum
Beispiel jedes Bauprojekt in der Umgebung der neuen
Garnisonskirche vom Erbauer derselben begutachtet
werden. Ebenso hat man es dort hei der Bebauung des
Feuerseeplatzes gehalten. Alle Neubauten der umschließen
den vier Straßen unterliegen dem Urteil eines tüchtigen
Architekten. Die Stadtverwaltung hat immer noch freie
Hand, auf Grund dieses Sachverständigenurteils ihre
Beschlüsse zu fassen. Auf diese Weise läßt sich wirk
lich etwas erreichen; man sehe in Ludwigsburg die neuen
Häuser in der Alleestraße am Feuerseeplatze an. Da ist
ein harmonisches Bild zu finden, das hoffentlich auch
weiter vorbildlich wirkt.
Mit gutem Willen läßt sich überhaupt viel tun, und
möchte ich den Architekten, die insbesondere Rathäuser,
Schulen und andre Gemeindebauten errichten, ans Herz
legen, die Verordnung ähnlicher Vorschriften, wie oben
erwähnt, für die Umgebung ihrer Neubauten zu erwirken.
Es ist dies in den meisten Fällen leichter, als man denkt,
und bin ich in dieser Beziehung noch nie auf Widerstand
gestoßen. Die Begutachtung der betreffenden Projekte
wird meistens kostenlos geschehen müssen, aber so viel
Interesse an der Umgebung seines Baues wird jeder
Architekt haben, daß er gern dies kleine Zeitopfer bringt.
Eventuell kann für diesen Zweck die Beratungsstelle für
das Baugewerbe vorgeschlagen werden. Die Gemeinde
vertretung kann dann an Hand des Gutachtens ihre Vor
schriften treffen. Vielleicht ist in Jahrzehnten eine solche
Begutachtung überflüssig, wenn das Publikum seihst sich
geschmacklose Bauten nicht mehr erstellen läßt; vor
läufig dürfte aber dieses Verfahren nur zu empfehlen
sein. Klatte.
Ein Denkmalfrevel vor Gericht
Vor dem Landgericht zu Aachen ist in zwei Ter
minen eine Verhandlung wegen Abbruch eines histo
rischen Denkmals geführt worden, der mit der Ver
urteilung der Schuldigen seine Sühne gefunden hat. Der
Vorgang ist nach der „Tägl. Rdsch.“ folgender:
In Dürbislar im Kreise Jülich war eine neue katho
lische Pfarrkirche errichtet worden. Die Genehmigung
zum Abbruch der alten konnte aber nicht erteilt werden;
der Kultusminister entschied vielmehr unter dem 4. Au-
Grabdenkmal in Nagold
gust 1905, daß der Turm als der wertvollste Teil der
Kirche erhalten bleiben müsse. Er gehörte zu den
ältesten romanischen Anlagen des Gebietes aus
dem ersten Jahrtausend. Das Untergeschoß bestand aus
Peldkapelle