15. Mai 1909
BAUZEITUNG
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stört, wird mit Gefängnis bis zu drei
Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 1500 M.
bestraft.“ Die Verhandlung, zu der eine
außerordentlich große Zahl von Zeugen
geladen war und der im Zuschauerraum
das halbe Dorf beiwohnte, ergab ein sehr
betrübliches Bild. Es wollte nachträg
lich niemand bei der Sache beteiligt
gewesen sein. Selbst unmittelbar neben
dem Turm wohnende Dorfinsassen be
haupteten, von dem Einreißen nichts
vernommen zu haben. Die meisten, die
früher bei der ersten Vernehmung eine
Aussage gemacht hatten, widerriefen
diese jetzt. Der Pfarrer des Ortes ward,
wie der Vorsitzende bei beiden Verhand
lungen hervorhob, nicht vereidigt, weil
gegen ihn der Verdacht vorlag, Anstifter
des ganzen Vorgehens zu sein.
Nach dem ganzen Ergebnis der Ver
handlungen ward festgestellt, daß der
Abbruch planmäßig und unter Leitung
des Kirchenrendanten erfolgt sei. Der
als Sachverständige anwesende Provinzial
konservator Professor Clemen erklärte,
daß der Turmstumpf eine solche Festig
keit besessen habe, daß er unmöglich
ohne mühsame Abbruchsarbeit habe be
seitigt werden können. Nachgewiesen
werden konnte die Schuld nur dem
Kirchenrendanten, der sich vergebens zu
reinigen suchte, und einigen der Hauptbeteiligten. Der
Kirchenrendant wurde auf Grund des § 304 des Straf
gesetzbuchs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt,
ein andrer Mithelfer zu drei Wochen Gefängnis, die
übrigen zu Geldstrafen. Die weiteren Teilnehmer konnten
nicht ermittelt werden; der Verteidiger wies mit Recht
darauf hin, daß sie wohl im Zuschauerraum zu suchen
seien. Der Fall beweist, daß im Interesse der Denkmal
pflege eine Verurteilung auf Grund des § 304 sehr wohl
möglich ist und dürfte bei ähnlichen Vorkommnissen als
Warnung dienen.
Gefahren der Ahhrucliarbeiten
Beim Abbruch eines Doppelhauses in Erfurt durch
den dortigen Bauunternehmer H. ereignete sich ein be
dauerlicher Unfall, indem zwei Brüder, die angekaufte
Türen und andres Abbruchmaterial in dem abzubrechen
den Hause abholen wollten, von plötzlich durch die Decke
brechenden Schuttmassen verschüttet und erheblich verletzt
wurden. Der Unfall wurde, wie man annehmen muß,
Wettbewerb Lutherhaus
Architekten Th. Dolmetsch und Professor F. Schuster-Stuttgart
dadurch veranlaßt, daß H.s Vorarbeiter die noch stehende
gemeinsame Giebelwand der beiden Häuser durch Ab
sägen der Längsbalken des Dacbrahmeus vom Nacbbar-
hause jedes Haltes beraubte und dann durch Axthiebe
beim Absteifen des nachbarlichen Dachstuhls zum Stürzen
brachte. Die niederfallenden Massen durchschlugen zum
Teil zwei Stockwerksdecken, von denen der Fußboden
belag entfernt war, während die Balkenlagen mit den
Lehm winkeln noch erhalten waren. Auf Grund dieses
Sachverhalts wurde H. in zwei Instanzen zum Schaden
ersatz verurteilt und zwar wegen eignen Verschuldens.
Dies wurde von den erkennenden Gerichten darin ge
funden, daß H. trotz des gefährlichen Zustandes des Ab
bruchhauses zuließ, daß die gekauften Sachen in den
betreffenden Raum gebracht wurden und daß er die
Käufer nicht sofort aus diesem gefährdeten Raum aus
wies. Das Reichsgericht fand in dieser eine sehr weit
gehende Auffassung von der Haftpflicht des Bauunter
nehmers bekundenden Urteilsbegründung keinen Rechts
irrtum. Infolge der reichsgerichtiichen Urteilsbestätigung
kam es dann über die Höhe der Entschädigung zu einem
Vergleich, der den Unternehmer bzw.
den ihn gegen Haftpflicht versichernden
Stuttgarter Verein mehr als 11000 M.
kostete.
ln gleich scharfer Weise wurde in
einem andern Falle geurteilt, wo es sich
um das Abbrechen eines Turmes in
einer rheinischen Stadt handelte. Hier
war die zweiundzwanzigjährige Tochter
eines angrenzenden Hausbesitzers, als
sie in ihrem Hofe wusch, von einem
herabfallenden Steine am Kopf getroffen
und schwer verletzt worden. Die aus
führende Firma war den vertragsmäßigen
Verpflichtungen nachgekommen, sie
hatte anerkannt tüchtige Leute einge
stellt, einen Bauzaun errichtet und
Warnungstafeln aufgestellt, sie hatte
sogar dem Vater der Verletzten ange-
boten, die gefährdeten Teile seines