158
BAUZEITUNG
Nr. 20
Wettbewerb Lutberhaus
Architekten Th. Dolmetsch und Professor F. Schuster-Stuttgart
Grundstücks abzudecken, war aber von diesem abschlägig
beschieden worden. Da jedoch die bei dem angestrengten
Entschädigungsprozeß vernommenen Sachverständigen be
gutachteten, man habe noch weitere Schutzvorrichtungen
anbringen können und sollen, wenn auch Unglücksfälle
durch auffallende und von Vorsprüngen abspringende
Steine nicht ganz zu vermeiden seien — auch der vor
liegende Unfall war in dieser Weise zustandegekommen —,
verurteilte das Landgericht die ausführende Firma zum
Schadenersatz. Der Verletzten wurde jedoch, weil sie
fahrlässigerweise an einer ihr als gefährlich bekannten
Stelle unnötigerweise geweilt hätte, ein Drittel des Schadens
auferlegt. Das von der Verletzten angerufene Oberlandes
gericht fand seinerseits nicht einmal eignes Verschulden
der Klägerin vorliegend, da wohl vorher Steine auf ihr
väterliches Haus, nicht aber auf ihren Hof gefallen seien,
sie also den Unfall nicht habe voraussehen können. In
folge dieses Urteils hatte die Firma an Entschädigung
und Kosten 14865 M. zu zahlen, konnte sich aber auch
in diesem Palle durch Rückgriff auf den sie gegen Haft
pflicht versichernden Stuttgarter Verein schadlos halten.
A. V.
Die neue Bauordnung' in der Ersten
Kammer
I. Der erste Abschnitt
Es war vorauszusehen, daß die Erste Kammer wesent
liche Aenderungen an den Beschlüssen des andern Hauses
treffen werde und insbesondere die Fragen der Zuständig
keit der Behörden wieder den Wünschen der Regierung
entsprechend regeln würde. Und so weist bereits der
erste Abschnitt der Bauordnung ganz prinzipielle Unter
schiede auf. Er handelt von der Bauberechtigung und
von den Bauvorschriften im allgemeinen.
Die Beschränkung, die die Zweite Kammer der Ver
ordnung auferlegt, milderte die Erste Kammer und
schmälerte die Rechte der Ortsbausatzung. Besonders
wichtig ist, daß die Errichtung oder die Abänderung
bestehender Ortsbausätzungen der Genehmigung des Mi
nisteriums bedürfen. Damit wurde der Regierung ein
größeres Recht eingeräumt, als sie es im Entwurf fordert,
und der Bezirksrat, den die Zweite Kammer mit Aus
nahme der mittleren und großen Städte als Vollziehbar
keitsinstanz vorsieht, gänzlich ausgeschaltet. Auch für
die mittleren und großen Städte soll das Ministerium
nun nicht mehr vollzugsberechtigt sein,
sondern dasselbe soll die eigentliche Ge
nehmigungsbehörde bilden. Dabei steht
den Gemeinden die Rechtsbeschwerde zu,
und zwar nach Art. 13 des Gesetzes der
V erwaltungsrechtspflege.
Dieser Beschluß in Art. 3 wird wohl
den bisherigen Verhandlungen zufolge
lebhafte Widersprüche in der Zweiten
Kammer verursachen.
Man hat nun über die Wirkungen der
neuen Gemeindeordnung bezüglich der
Zusammensetzung der bürgerlichen Kol
legien noch keine geltenswerten Erfahr
ungen. Das allerdings steht fest, daß
die Zusammensetzung auf absehbare Zeit
hinaus nach Parteigrundsätzen erfolgen
wird und in erster Linie von der Partei
leitungen Gunst und Haß abhängt. Eben
in jenen Gemeinden, welche ein# rege
Bautätigkeit aufweisen, wird naturgemäß
ein Schwanken in der Machtstellung der
rechts- und linksstehenden Parteien zu
erwarten sein. Dies ist aber nicht ohne
Einfluß auf die Feststellung, Abänderung,
ja sogar auf den Vollzug der Ortsbausatzungen, was aber
den Interessen der Techniker in der Regel stark zuwider
läuft. Der Bezirksrat setzt sich ähnlich wie die Ge
meindeverwaltungen zusammen und dürfte an dieser Stelle
erwähnt werden, daß die Haupt- und Residenzstadt Stutt
gart keinen Techniker als Mitglied des Bezirksrates be
stimmt hat. Ob nun ein Bezirksrat den Anforderungen
zu entsprechen vermag, die eine sachkundige Beurteilung
der Ortsbausatzungen beansprucht, muß dahingestellt
bleiben. Stimmen aus technischen Kreisen zufolge müßte
dies bezweifelt werden.
Es ist über den Wert der Ortsbausatzungen au dieser
Stelle schon viel geschrieben worden; der Techniker hat
es zur Genüge kennen lernen müssen, dieses tiefschneidende
Schwert, das so großmütig die technischen Wissenschaften
behütet. Gottlob ist es jetzt nicht mehr nötig, die Orts
bausatzungen zu kritisieren. Selbst die maßgebenden
Behörden sind nun von der Mangelhaftigkeit derselben
überzeugt, und diese Einsicht berechtigt zu guten Hoff
nungen. Wie viele unnötigen Gelder und Kräfte den
selben geopfert werden mußten, und daß dies außerdem
auf Kosten einer einfachen Natürlichkeit sowohl des
Zweckmäßigen als auch des Schönen ging, darüber wird
allerdings erst die Zeit Aufschluß geben.
Im Interesse der Techniker und deren Bauherren
ist es deshalb, wenn die Ortsbausatzungen durch ein