Full text: Bauzeitung für Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen (1909)

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BAUZEITUNG 
Nr. 20 
Wettbewerb Lutberhaus 
Architekten Th. Dolmetsch und Professor F. Schuster-Stuttgart 
Grundstücks abzudecken, war aber von diesem abschlägig 
beschieden worden. Da jedoch die bei dem angestrengten 
Entschädigungsprozeß vernommenen Sachverständigen be 
gutachteten, man habe noch weitere Schutzvorrichtungen 
anbringen können und sollen, wenn auch Unglücksfälle 
durch auffallende und von Vorsprüngen abspringende 
Steine nicht ganz zu vermeiden seien — auch der vor 
liegende Unfall war in dieser Weise zustandegekommen —, 
verurteilte das Landgericht die ausführende Firma zum 
Schadenersatz. Der Verletzten wurde jedoch, weil sie 
fahrlässigerweise an einer ihr als gefährlich bekannten 
Stelle unnötigerweise geweilt hätte, ein Drittel des Schadens 
auferlegt. Das von der Verletzten angerufene Oberlandes 
gericht fand seinerseits nicht einmal eignes Verschulden 
der Klägerin vorliegend, da wohl vorher Steine auf ihr 
väterliches Haus, nicht aber auf ihren Hof gefallen seien, 
sie also den Unfall nicht habe voraussehen können. In 
folge dieses Urteils hatte die Firma an Entschädigung 
und Kosten 14865 M. zu zahlen, konnte sich aber auch 
in diesem Palle durch Rückgriff auf den sie gegen Haft 
pflicht versichernden Stuttgarter Verein schadlos halten. 
A. V. 
Die neue Bauordnung' in der Ersten 
Kammer 
I. Der erste Abschnitt 
Es war vorauszusehen, daß die Erste Kammer wesent 
liche Aenderungen an den Beschlüssen des andern Hauses 
treffen werde und insbesondere die Fragen der Zuständig 
keit der Behörden wieder den Wünschen der Regierung 
entsprechend regeln würde. Und so weist bereits der 
erste Abschnitt der Bauordnung ganz prinzipielle Unter 
schiede auf. Er handelt von der Bauberechtigung und 
von den Bauvorschriften im allgemeinen. 
Die Beschränkung, die die Zweite Kammer der Ver 
ordnung auferlegt, milderte die Erste Kammer und 
schmälerte die Rechte der Ortsbausatzung. Besonders 
wichtig ist, daß die Errichtung oder die Abänderung 
bestehender Ortsbausätzungen der Genehmigung des Mi 
nisteriums bedürfen. Damit wurde der Regierung ein 
größeres Recht eingeräumt, als sie es im Entwurf fordert, 
und der Bezirksrat, den die Zweite Kammer mit Aus 
nahme der mittleren und großen Städte als Vollziehbar 
keitsinstanz vorsieht, gänzlich ausgeschaltet. Auch für 
die mittleren und großen Städte soll das Ministerium 
nun nicht mehr vollzugsberechtigt sein, 
sondern dasselbe soll die eigentliche Ge 
nehmigungsbehörde bilden. Dabei steht 
den Gemeinden die Rechtsbeschwerde zu, 
und zwar nach Art. 13 des Gesetzes der 
V erwaltungsrechtspflege. 
Dieser Beschluß in Art. 3 wird wohl 
den bisherigen Verhandlungen zufolge 
lebhafte Widersprüche in der Zweiten 
Kammer verursachen. 
Man hat nun über die Wirkungen der 
neuen Gemeindeordnung bezüglich der 
Zusammensetzung der bürgerlichen Kol 
legien noch keine geltenswerten Erfahr 
ungen. Das allerdings steht fest, daß 
die Zusammensetzung auf absehbare Zeit 
hinaus nach Parteigrundsätzen erfolgen 
wird und in erster Linie von der Partei 
leitungen Gunst und Haß abhängt. Eben 
in jenen Gemeinden, welche ein# rege 
Bautätigkeit aufweisen, wird naturgemäß 
ein Schwanken in der Machtstellung der 
rechts- und linksstehenden Parteien zu 
erwarten sein. Dies ist aber nicht ohne 
Einfluß auf die Feststellung, Abänderung, 
ja sogar auf den Vollzug der Ortsbausatzungen, was aber 
den Interessen der Techniker in der Regel stark zuwider 
läuft. Der Bezirksrat setzt sich ähnlich wie die Ge 
meindeverwaltungen zusammen und dürfte an dieser Stelle 
erwähnt werden, daß die Haupt- und Residenzstadt Stutt 
gart keinen Techniker als Mitglied des Bezirksrates be 
stimmt hat. Ob nun ein Bezirksrat den Anforderungen 
zu entsprechen vermag, die eine sachkundige Beurteilung 
der Ortsbausatzungen beansprucht, muß dahingestellt 
bleiben. Stimmen aus technischen Kreisen zufolge müßte 
dies bezweifelt werden. 
Es ist über den Wert der Ortsbausatzungen au dieser 
Stelle schon viel geschrieben worden; der Techniker hat 
es zur Genüge kennen lernen müssen, dieses tiefschneidende 
Schwert, das so großmütig die technischen Wissenschaften 
behütet. Gottlob ist es jetzt nicht mehr nötig, die Orts 
bausatzungen zu kritisieren. Selbst die maßgebenden 
Behörden sind nun von der Mangelhaftigkeit derselben 
überzeugt, und diese Einsicht berechtigt zu guten Hoff 
nungen. Wie viele unnötigen Gelder und Kräfte den 
selben geopfert werden mußten, und daß dies außerdem 
auf Kosten einer einfachen Natürlichkeit sowohl des 
Zweckmäßigen als auch des Schönen ging, darüber wird 
allerdings erst die Zeit Aufschluß geben. 
Im Interesse der Techniker und deren Bauherren 
ist es deshalb, wenn die Ortsbausatzungen durch ein
	        

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