170
BAUZEITUNG
Nr. 22
Altes Haus in Stäffis
Kanton Freiburg
Altes Fachwerkhaus in Steckborn Kanton Thurgau
der Gewohnheiten und Bedingungen des bürgerlichen
Lehens der Vorfahren der zusammenfassende Rahmen
und für die W eiterentwicklung der Kunst die notwendige
Tradition verloren. Es ist daher eine der vornehmsten
Pflichten, gerade des Fortschritts wegen, alte Bauten
nach Möglichkeit zu schonen, dort aber, wo wir ab
reißen und zerstören müssen, das mit der Pietät zu tun,
die wir der Erinnerung an unsre stolze Vergangenheit
und der eignen Selbstschätzung schuldig sind.
Die wichtigste Aufgabe der heutigen Architekten be
steht zweifellos darin, den Wohnhaustypus zu finden,
der den gesteigerten Ansprüchen des modernen Lebens
genügt und zugleich ästhetisch befriedigt. Was bis jetzt
auf diesem Gebiet geschaffen wurde, kann nur teilweise
und nur in Ausnahmefällen befriedigen. Erst wenn die
Durchschnittsleistungen im Hausbau dartun, daß die
künstlerischen Kräfte der Baumeister den vorhandenen
Mitteln entsprechen, werden wir jene Kultur im Haus
bau und häuslichen Leben wieder besitzen, die Grund
bedingung jeder künstlerischen Kultur ist, einst unser
war, aber verloren ging und nur mit Hilfe der Werke
unsrer Vorfahren wiedergewonnen werden kann. Jeder
Bruch mit der Tradition ist auf allen künstlerischen
Gebieten mit einer Einbuße an formaler Schönheit ver
bunden. Wir müssen uns daher an Vergangenes zurtick-
erinnern, müssen, wie Muthesius ungemein prägnant sich
ausdrückt, statt einer stilgerechten wieder eine bau
gerechte Behandlung anstreben und diese uns entfremdete
Kunst an den vorhandenen alten Bauten studieren. Dazu
sind weniger anerkannte Meisterwerke geeignet, sondern
vor allem jene schlichten, unbedeutenden Häuser, die in
unscheinbarem Gewände doch beredte Kunde geben von
dem Anpassen an den Charakter, die Lebensgewohn
heiten und Bedingungen ihrer bürgerlichen Bewohner.
Solch einfache Wohnhäuser verkörpern aufs lebensvollste
den Schweizer, der in ihnen haust. In sorgfältiger,
handwerklich sauberer Arbeit sind sie erstellt ohne
Prahlen mit Können und Wissen, ohne Schwelgen in
Landgut „Sandgrub“ an der Riehenstraße in Basel