19. Juni 1909
BAUZElTUfSG
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einer großen Talsperre mit bewohntem Einzugsgebiet zu
beurteilen. Bei Anlage von Talsperren für Wasserver
sorgungszwecke vermeidet man ein bewohntes Einzugs
gebiet. Die Stadt Zürich, welche filtriertes Wasser aus
dem Züricher See verwendet, hat bei der letzten Wasser
werkserweiterung nicht das Seewasserwerk vergrößert,
sondern eine Quellwasseranlage erbaut. Wenn das Boden
seewasser entfernt vom Land in beträchtlicher Tiefe ent
nommen und filtriert von der chemischen und' bakteriolo
gischen Untersuchung als vollständig einwandfrei befunden
wird, so bildet dies noch keine Gewähr, daß es ein
allgemein befriedigendes Genußmittel ist.
Neben der Wasserbeschaffenheit ist von ausschlag
gebender Bedeutung der Kostenaufwand. Die Summe
der finanziellen Belastung beträgt für weitere Beschaffung
von 10 Millionen Kubikmeter Wasser für das Projekt
Neckartal 20,3 Millionen Mark, Schwarzwald 13,4 Mil
lionen Mark, Illertal 23,6 Millionen Mark, Bodensee
40,2 Millionen Mark.
Was die Betriebssicherheit der verschiedenen
Projekte betrifft, so ist folgendes zu bemerken: Eine
Zuleitung von Neckargrundwasser wäre völlig betriebs
sicher, da sie keinem belangreichen Innendruck stand
zuhalten hat. Beim Schwarzwaldprojekt ist die Hoch
druckstrecke sehr kurz. Beim Illertalprojekt haben
trotz der getroffenen besonderen Anordnungen im Längen
profil die Strecken hohen Drucks eine größere Aus
dehnung. Eine Leitung vom Bodensee erscheint durch
lange Hochdruckstrecken betriebsunsicher. Das Schwarz
waldprojekt hat nur eine halb so lange Zuleitung wie
das Illertalprojekt. Eine Zuleitung vom Bodensee ge
staltet sich dreimal länger als eine solche vom Schwarz
wald. Die kostspielige Wasserhebearbeit ist bei allen
Projekten, ausschließlich beim Schwarzwaldprojekt, un
vermeidbar. Bei Beschaffung von Neckargrundwasser
sind die Schwierigkeiten geringer und die Bauzeit kürzer
als bei Ausführung des Schwarzwaldprojekts. Dagegen
ist das Grundwasser gegenüber Schwarzwaldwasser be
züglich der Beschaffenheit als ein Wasser zweiter Güte
zu bezeichnen. Das Quellwasser aus dem Schwarzwald
übertrifft nach den angestellten Untersuchungen an Rein
heit die Wasser der sämtlichen sonst in Betracht ge
zogenen Gewinnungsstellen. Nur für ein solches Wasser,
dessen Beschaffenheit durch keine im Laufe der Zeit
eintretende Entwicklung im Einzugsgebiet eine Ver
schlechterung erfahren wird, könne der Bat erteilt
werden, die in Frage kommenden hohen Geldsummen
aufzuwenden.
Des weiteren wird bestritten, daß durch die Wasser
entnahme im Schwarzwald die ganze dortige Gegend
aufs schwerste geschädigt werde, ebenso sei die Be
fürchtung unbegründet, der geplante Stausee oberhalb
Wildbad bilde eine Gefahr für die unten liegende Gegend
oder eine Schädigung der Wildbader Thermen.
Am Schlüsse rechnet die Denkschrift auf weitgehen
des Entgegenkommen und tatkräftige Unterstützung durch
die K. Staatsregierung und betont die Dringlich
keit der Lösung dieser für die Weiterentwicklung der
Haupt- und Residenzstadt bedeutsamen Lebensfrage. In
letzterem Punkte begegnen wir uns mit der Ansicht der
bürgerlichen Kollegien und wünschen, daß der Meinungs
streit um die verschiedenen Projekte, der seitens der
Techniker wohl nicht so ohne weiteres ruhen wird, zu
einem baldigen, ersprießlichen Ende führen möge. A.
Von den beigefügten Abbildungen, die mit freund
licher Erlaubnis des Bauamts der Städtischen Wasser
werke den von dieser Behörde ausgearbeiteten Plan
beilagen der Denkschrift entnommen sind, stellen 1—3
die Längenprofile der Schwarzwald-, Iller- und Bodensee
leitung dar. An den gefährlichen Punkten, d. h. bei den
üeberquerungen der verschiedenen tief eingeschnittenen
Täler, ist oben jeweils die Drucklinie für 500 Sek.-Liter
Durchfluß angedeutet und die zugehörige Pressung in
Atmosphären eingeschrieben.
So ist aus Abb. 1 ersichtlich, daß der größte Druck
in der Schwarzwaldleitung beim üeberschreiten des
Nagoldtals auftritt und 21 Atmosphären beträgt. Für Zu
leitungen aus dem Iller- und Bodenseegebiet wurden
bekanntlich seinerzeit von Prof. Dr. Lueger Pläne aus
gearbeitet. Diese ergaben indes bei Ueberquerung des
Neckars Pressungen von 33,6 bzw. 38 Atmosphären,
wurden daher vom Bauamt der Städtischen Wasserwerke
entsprechend den folgenden Abbildungen umgearbeitet.
Aus Abb. 2 ist ersichtlich, daß das Illerwasser, von
der Quellfassung bei Kirchberg unter natürlichem Druck
bis Söflingen Hießt, dort auf die Schwäbische Alb ge
hoben wird, die letztere in der Nähe von Geislingen ver
läßt und nun hier durch Einschaltung eines Absturzes
von 98 m Höhe seinen überschüssigen Druck abgibt, so
daß beim Üeberschreiten des Neckars nur noch ein Druck
von 19,2 Atmosphären auftritt. Dabei ist der Stuttgarter